Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg wacht über die Einhaltung der Konvention.

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2021 ist das Jahr der nachgeholten Jubiläen. Man feiert aber besser spät als nie, besonders wenn es um das 70-jährige Bestehen des wichtigsten europäischen Grundrechtsdokuments geht. Pünktlich zur Wiedereröffnung nach Monaten des Lockdowns hielten das Ludwig-Boltzmann-Institut für Grund- und Menschenrechte und die Universität Wien am Donnerstag eine Festtagung zum 70-Jahr-Jubiläum der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ab. Diskutiert wurde deren gesellschaftliche, rechtliche und politische Relevanz im Jahr 2021.

Besondere Bedeutung in Österreich

Die Europäische Menschenrechtskonvention wurde als völkerrechtlicher Vertrag im Rahmen des Europarats ausgearbeitet. Ihre Unterzeichnung fand am 4. November 1950 in Rom statt, am 3. September 1953 trat sie in Kraft.

Österreich ist seit 1958 Teil der Konvention. Im Jahr 1964 hob die Republik den völkerrechtlichen Vertrag auch innerstaatlich in den Verfassungsrang – eine Einzigartigkeit unter den 47 Vertragsstaaten der EMRK. Die in der Konvention verankerten Rechte sind seither zentraler Bestandteil des österreichischen Grundrechtsbestands und als unmittelbar anwendbares Verfassungsrecht vor Gerichten und Verwaltungsbehörden durchsetzbar. Die EMRK ist für Österreich auch deshalb so bedeutend, weil es hierzulande keinen eigenen modernen Grundrechtskatalog gibt.

Lebendiges Instrument

Heute wird die Konvention als "lebendiges Instrument" verstanden, das sich im Rahmen der jeweils aktuellen sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten weiterentwickelt. Die Bedeutung für die österreichische Rechtsordnung ist laut Verena Mader, Vizepräsidentin des Verfassungsgerichtshofs, "kaum zu überschätzen". Für viele Menschen habe die Pandemie greifbar gemacht, wie wichtig Grundrechte und Abwägungsfragen sind.

Die Europäische Menschenrechtskonvention habe den österreichischen Grundrechtsbestand "grundlegend verändert", sagt Franz Merli, Professor für Verfassungsrecht an der Universität Wien. Dass Österreich nie einen eigenen modernen Grundrechtskatalog entwickelte, lag laut Merli auch an der EMRK. Anläufe dazu gab es mehrere, deren Scheitern war aber weniger dadurch bedingt, "dass man sich nicht einigen konnte, sondern dass man sich aufgrund der EMRK nicht einigen musste".

Externe Kontrolle

Die besondere Bedeutung der EMRK für Österreich liegt auch an ihrem internationalen Charakter, meint Merli. Durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte floss früh internationale Rechtsprechung in die nationale Rechtsordnung ein – lange bevor Österreich der EU beitrat. Zudem ermöglicht der Gerichtshof eine "externe Kontrolle". Er garantiert, dass der grundrechtliche Maßstab nicht allein in nationalen Händen liegt, sagt Merli, der auf aktuelle Debatten rund um die Einschränkung des Demonstrationsrechts oder das Kopftuchverbot verweist. "Die EMRK schützt uns auch vor uns selbst." (Jakob Pflügl, 20.5.2021)