Das "Wow!" kommt nicht nur von Kindern. Nur haben die weniger Hemmungen, mit offenen Mündern zu staunen, als Erwachsene. Doch auch die gaffen. Greifen zum Handy, machen Fotos, sagen: "Pfoah, super!"

Zu Recht: Wenn ein Mensch, der soeben noch hinter einem "Fallschirm" übers Wasser glitt, plötzlich gen Himmel entschwebt, fünf Meter über dem Wasserspiegel spektakuläre Verrenkungen macht, locker landet und weitersaust, als wäre nix – das kann was. Macht staunen. Das nötigt selbst Menschen Applaus ab, die das Wort "Kitesurfen" noch nie gehört haben. Nicht nur wenn sie zu jung für das Vokabel sind, sondern weil sie oft nicht zu jener Zielgruppe gehören, die auf Youtube Action- und Trendsportarten abonniert.

Oder die den Begriff und die Bilder zwar kennen, Kiter aber noch nie live gesehen haben. Etwa weil man derzeit nur selten aus Wien rauskommt – und Kitesurfen anderswo verortet: auf dem Meer. Auf großen Seen. Dem Neusiedler See etwa. Aber in Wien? Auf der Donauinsel? Dass sich Surfer hier von einem zehn bis 18 Quadratmeter großen Schirm an 25 bis 30 Meter langen Leinen durchs und hoch übers Wasser schleppen lassen, ist neu. Nicht nur für das Publikum, auch für die Stadtverwaltung.

Ein Kite-Spot in der Stadt

Doch Kiten findet Stadt: Auf Höhe des Kaisermühlen-Parkplatzes zwischen Reichs- und Tangentenbrücke entsteht gerade ein Wiener Kite-Spot. Windsurfer gibt es hier schon länger: Einige stellen ihre zu Camping- und Materialbussen umgebauten Lieferwägen hier zu Saisonbeginn dauerhaft ab – und haben ihr Equipment so immer griffbereit. Kiter brauchen zwar weniger Material, wenden den Trick mit dem Lieferwagen-Campingbus aber auch gerne an attraktiven Gewässern an. "Dank" der Reiseeinschränkungen des Vorsommers gesellen sich manche nun aber zu ihren Kollegen in Kaisermühlen – und bieten dem Stadtpublikum eine gute Show: Die Bilder landen auf Social Media, der Spot spricht sich immer mehr herum.

Kitesurfen auf der Neuen Donau gibt spektakuläre Bilder her. Die 160 Meter sind aber gefährlich schmal.
Foto: Thomas Rottenberg

Sicher: Einen Himmel voller Drachen – wie Podersdorf – hat Wien nicht. Aber im ohnehin bunten Strauß der Sport- und Freizeitmöglichkeiten der Bundeshauptstadt knospt eine weitere Blüte. Kiten kostet – hat man das Equipment beisammen – nichts. Es ist abgas- und lärmfrei. Es ist schnell und dynamisch. Und in der Beinahe-zwei-Millionen-Metro pole kann man sogar mit der U-Bahn zum Kiten fahren. Toll! Oder?

Oder. Denn auch wenn eine Handvoll Kiter niemanden stört und alle die Bilder lieben, ist der Konflikt vorprogrammiert. Zum einen wegen der erwartbaren kritischen Masse, sobald der Sommer Fahrt aufnimmt: Schon bei drei oder vier Kites wird es auf der 160 Meter schmalen Neuen Donau eng. Und zwar auch ohne Tret- oder Elektroboote, Luftmatratzen, Schwimmtiere, Stand-up-Paddler oder Schwimmer. Theoretisch ist der "Spielplatz" hier zwar etwa einen Kilometer lang: Flussaufwärts begrenzt ihn der Kaisermühlensteg, flussabwärts der Wakeboardlift. Doch tatsächlich wird nur beim Parkplatz gefahren: "Der Wind weht in Wien parallel zum Ufer. Niemand will Höhe verlieren und mühsam wieder zurück aufkreuzen", erklärt der Kitelehrer Daniel Hammerle. Wobei das, betont der Profi, der in Podersdorf die Kite schule Kitesurfing.at leitet, das kleinere, weil "interne" Problem sei. Kopfzerbrechen bereitet Hammerle etwas anderes: die Sicherheit. Nicht die der Kiter: Jetzt, so der Kitelehrer, könne man "gerade noch" wegschauen. Denn bei Wassertemperaturen um die 15 Grad ist die "Rinne" menschenleer. Da geht sich der international gültige Sicherheitsstandard, wonach Kiter zu anderen zwei Leinenlängen Abstand zu halten haben (50 bis 60 Meter), aus. Doch da ist noch etwas: "In Binnengewässern darf man nicht näher als 200 Meter beim Ufer kiten", so Hammerle, "aus guten Gründen." Die Leinen mit bis zu 200 Kilo Zug und die Bretter sind nämlich "für alle gefährlicher als für den Menschen, der den Kite lenkt". Die Finnen der Boards nennt man scherzhaft "Fish-Chopper" – aber sie können schwere Verletzungen verursachen: Weltweit gibt es deshalb Korridore zum Raus- und Reinfahren. Also No-Go-Zonen für Schwimmer, Paddler und Schwimmtierdümpler.

Ist Kiten in Wien also verboten? Jein. Die Stadt hat sich bisher keine Gedanken darüber gemacht. Nicht machen müssen: Als im Frühsommer 2020 die erste Kiteanfrage bei der MA 45, der für die Verwaltung der Donauinsel zuständigen Magistratsabteilung, eintrudelte, war man überrascht: In einer Notiz, die im Mai im Falter erschien, gab Gerald Loew, Chef der Wiener Gewässer, unumwunden zu, dass die Flugdrachen hier bisher schlicht und einfach nie Thema gewesen seien.

Bald ist hier der Bär los

Nachvollziehbar: Als die Neue Donau Anfang der 70er-Jahre zum Freizeitspielplatz wurde, gab es Kitesurfen noch nicht. Also auch nichts zu regeln: Wassersport ist im Entlastungsgerinne – ohne Verbrennungsmotor – erlaubt. Ruderer und Segler haben eigene, von Badehotspots abgelegene Trainingszonen. Revierstreitigkeiten gab es nie.

Die gibt es, bestätigt Loew, auch heute, im Mai 2021, nicht. Logischerweise gelte daher, dass, wo kein Problem existiert, auch keine Regeln oder Verbote nötig sind, um es zu lösen. Das ist pragmatisch, vernünftig und nachvollziehbar – aber vielleicht auch kurzsichtig: Sobald die Wassertemperaturen steigen, wird genau hier im Wasser der Bär los sein. Festlandseitig wegen des Parkplatzes, der Gastro des benachbarten Vienna City Beach Clubs und des Stand-up-Paddle-Board-Verleihs. Gegenüber, auf der Insel, weil es neben von Baumgruppen beschatteten Plätzen seit dem Vorjahr sogar kinderfreundlich schottrig-abgeschrägte Zugänge ins Wasser gibt.

Mehr Publikum für Poser

Schon im Vorsommer, als selten mehr als zwei Kites zugleich Muster in den Himmel zeichneten, gab es Beinahekollisionen. Meist gar nicht wegen unvorsichtiger Kiter: Bikini-Pics auf dem SUP-Board kommen auf Instagram noch besser, wenn dahinter jemand vorbeifliegt ... Aber vor allem: Die Insel und ihr Wasser waren noch nie so voll wie im Vorsommer.

Der Grund dafür brachte auch die Kites hierher: Corona. Nicht nur ferne Strände, auch der Neusiedler See war zeitweise unerreichbar: Als die burgenländische Landesregierung im Frühjahr 2020 Seeufer und See sperrte, verlegten einige Kiter ihren Surfplatz nach Wien. Einige blieben. Und nun, spottet Podersdorf-Profi Hammerle, "haben ein paar wohl gemerkt, dass man hier beim Posen besser gesehen wird – und weniger Konkurrenz hat". Wirklich lustig findet er das aber nicht: "Ich will niemandem irgendetwas verbieten. Und solange es keine Probleme gibt, ist alles gut. Aber so nett das aussieht: Wer vom Kiten etwas versteht, weiß, dass das in Wirklichkeit so nicht geht." (Thomas Rottenberg, 21.5.2021)