Die Stimmenanteile und Mandate der acht Fraktionen
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Die Erleichterung war groß, als am Donnerstag kurz vor 15 Uhr die Vertreterinnen und Vertreter der kandidierenden Listen gemeinsam den Countdown zum Wahlschluss der Österreichischen Hochschülerschaft (ÖH) vor dem Wiener Juridicum herunterzählten.

Bei Sonnenschein und Regenschauern wurde zuvor noch auf den letzten Metern um jede mögliche Stimme geworben. Studierende, die sich trotz Distance-Learnings an die Uni Wien begeben hatten, wurden, dort angekommen, gleich von Wahlwerbern aller acht bundesweit antretenden Fraktionen – AG, Flö, Gras, Junos, KSV-KJÖ, KSV-Lili, RFS und VSStÖ – belagert.

Bis zum Schluss wurde um Stimmen gefeilscht.
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Nach mehreren Verzögerungen und Verzählungen beim Auszählprozess lag in der Nacht auf Freitag kurz vor Mitternacht schließlich ein Ergebnis vor. Gewinner des Abends war der VSStÖ. Die sozialistischen Studierenden erreichten mit 24,6 Prozent und 14 Mandaten Platz eins. Die AG, vormals Nummer eins, rutschte mit 21,0 Prozent und zwölf Mandaten auf Platz drei ab. Die Gras wurde Zweite mit 21,7 Prozent und ebenfalls zwölf Mandaten. Die Junos schafften es mit 11,3 Prozent erneut auf Platz vier und erhielten sechs Mandate – ebenso viele wie die Flö, sie kamen auf 10,5 Prozent. KSV-Lili und KSV-KJÖ konnten je ein Mandat dazugewinnen und halten bei zwei Mandaten – sie kamen auf 4,5 bzw. 3,7 Prozent. Der RFS stagniert bei einem Mandat. Er erhielt 2,7 Prozent.

Die aktuelle ÖH-Chefin Sabine Hanger (AG) fordert aufgrund der niedrigen Wahlbeteiligung eine Urabstimmung.
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"Positiv überrascht"

"Wir sind positiv überrascht, wir hätten nicht gedacht, dass wir zwei andere Listen überholen", freute sich VSStÖ-Kandidatin Sara Velić. Und: "Unser Erfolg ist ein Zeugnis dafür, dass die Studierenden nicht mit der Hochschulpolitik der Regierung zufrieden sind."

Sara Velić freut sich über den Wahlsieg für den VSStÖ
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An der größten Hochschule des Landes, der Universität Wien, konnte der VSStÖ seinen ersten Platz mit 34,6 Prozent ausbauen. Die Gras verlor hingegen rund sechs Prozentpunkte; die AG verlor acht und wurde auf den vierten Platz verdrängt. Starke Zugewinne erzielte an der Uni Wien eine der beiden kommunistischen Listen, der KSV-Lili erhöhte von 6,5 auf 11,8 und wurde Dritter.

Rekordtief bei Beteiligung

Besonders freuen konnten sich aber auch die erfolgreichen Listen nicht. Denn nur wenige Studierende zog es an die Urnen. Während die Beteiligung an den ÖH-Wahlen in den 1960er-Jahren ihren Höchststand mit bis zu 70 Prozent erreichte, war sie bei den vergangenen Terminen bereits traditionell niedrig. Bei der vergangenen Wahl im Jahr 2019 gingen nur rund 26 Prozent zur Wahl. Heuer erreichte die Wahlbeteiligung einen historischen Tiefpunkt: Nur 15,8 Prozent der der rund 345.000 wahlberechtigten Studierenden gingen zur Wahl – ein Minus von rund zehn Prozentpunkten.

Neben der AG musste auch die Gras Einbußen hinnehmen. Spitzenkandidatin Keya Baier wünscht sich eine linke Koalition
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Trotz Pandemie seien viele auf die Uni zur Wahl gegangen, sagte die ÖH-Chefin und Spitzenkandidatin der AG, Sabine Hanger, zu dem niedrigen Wert. Trotzdem sei die Wahlbeteiligung dramatisch. "Das wird uns in den nächsten Jahren vor große Herausforderungen stellen." Es werde eine standortspezifische Analyse brauchen, um das Rekordtief aufzuarbeiten.

"So erschütternd die Zahlen sind, die ÖH würde eine Lebenslüge begehen, wenn sie die Beteiligung auf die Pandemie schiebt", sagt Politikwissenschafter Peter Filzmaier. Aber: Die Ursache sei ein viel tiefer liegendes Problem: "Die ÖH muss sich klarer in der Balance zwischen Service und gesamtgesellschaftlicher Akteurin positionieren."

Heinz Faßmann besuchte die Wahlkommission.
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Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) sah mehrere Faktoren für die geringe Beteiligung, wie er am Nachmittag bei einem Lokalaugenschein in der Wahlkommission erklärte: Das starke Absinken habe sicher mit der Corona-Pandemie zu tun –"aber vielleicht nicht nur".

Grundkonsens fehlt

Zudem fehle laut Filzmaier ein fraktionsübergreifender Grundkonsens eines gemeinsamen Ziels, die ÖH zu stärken – abgesehen von Lippenbekenntnissen. Die Versäumnisse der vergangenen Jahre seien da nicht mit der Mobilisierung im vierwöchigen Intensivwahlkampf aufzuholen. Oder mit der technischen Lösung der Briefwahl zu bekämpfen, die bei der heurigen Wahl wohl eine besonders große Rolle bei der Wahlbeteiligung spielen wird.

Um Sitze im 55-köpfigen Studierendenparlament warben heuer nur bekannte Listen, die bereits Mandate in der Bundesvertretung besitzen. (Oona Kroisleitner, Selina Thaler, 21.5.2021)