Polizeibeamte sollen für Antisemitismus sensibilisiert werden.

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Polizistinnen und Polizisten sollen verstärkt auf Antisemitismus sensibilisiert werden. Dafür hat der Bildungsexperte Daniel Landau ein neues Ausbildungsmodul erarbeitet, das acht Stunden umfasst und ab Herbst starten soll. Es gehe um ein "Rüstzeug", um Antisemitismus rechtzeitig zu erkennen, meinte Innenminister Karl Nehammer (ÖVP). Dass die ÖVP-Regierungsmannschaft heuer nicht bei der Befreiungsfeier in Mauthausen zugegen war, verteidigte Nehammer.

Ablenkung von Mauthausen und Fahnen-Debatte

Da das Modul aber noch nicht fertiggestellt ist und der Pressetermin auch für Landau relativ überraschend kam, liegt die Vermutung nahe, dass die Kritik am Mauthausen-Fernbleiben bzw. der Debatte über die Israel-Fahne auf dem Dach des Bundeskanzleramts der Grund für den Medientermin sein könnten.

Antisemitismus ist auch derzeit bereits Teil der Polizeiausbildung, so besuchen die angehenden Polizeibeamten im Rahmen der Ausbildung die Gedenkstätte im ehemaligen Konzentrationslager Mauthausen. Künftig soll es zusätzlich acht Einheiten, zur Hälfte online, geben, die sich auf verschiedene Arten mit dem Thema Antisemitismus auseinandersetzen, wie Landau erklärt. Der Lehrer hat selbst einen jüdischen Vater, Landaus Bruder ist Caritas-Präsident und katholischer Priester. Weil er bereits für Schulen ein ähnliches Angebot ausgearbeitet hat, wurde Landau vom Innenministerium kontaktiert.

Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit

Landau ist wichtig zu betonen, dass es – obwohl im Modul explizit Antisemitismus das Thema ist – generell darum gehen muss, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit zu bekämpfen. Wenn man für Antisemitismus sensibilisiert werde, dann behandle man die anderen Abwertungen – Rassismus, Homophobie, Islamfeindlichkeit zum Beispiel – mit. Aus Studien wisse man, dass Antisemitismus ganz selten isoliert auftritt. Bei den Modulen gehe es darum sich zu öffnen, zu weiten und Menschen nicht wegen eines Merkmals abzuwerten.

In die Details gehen kann Landau noch nicht, da das Modul noch nicht fertig ausgearbeitet ist. Aber fest steht zum Beispiel, dass sich die Polizeischülerinnen und Schüler mit jüdischen Jugendlichen treffen, um von ihnen selber über das jüdische Leben in Wien zu lernen. Dafür gibt es eine Zusammenarbeit mit der Israelischen Kultusgemeinde Wien, die ein entsprechendes Projekt betreibt. Geplant ist auch ein Skriptum, das über problematische Begrifflichkeiten und Phrasen aufklärt. Im September soll der Probebetrieb starten, die Module sollen nicht nur im Rahmen der Grundausbildung, sondern auch der Fortbildung absolviert werden können.

"Kultur des Benennens"

Die jungen Polizistinnen und Polizisten sollen damit "das Rüstzeug bekommen, um antisemitische Straftaten rechtzeitig zu erkennen und die negative Vielfalt des Antisemitismus auch kennenlernen und begreifen", meinte Nehammer.

Es geht dem Minister dabei auch um "komplexe Einsätze" wie die Demonstrationen von Corona-Leugnern, wo es unter anderem auch judenfeindliche Parolen gab, oder auch die jüngsten Anti-Israel-Demonstrationen in Wien. Kritik, die Polizei gehe hier teils zu lasch vor, wies Nehammer einmal mehr zurück. Man habe Dokumentationsteams vor Ort und greife sehr wohl ein – in welcher Form, sei aber immer eine Abwägung der Verhältnismäßigkeit.

Was Antisemitismus innerhalb der Polizei betrifft, glaubt der Minister, dass dieser weniger verbreitet sei als im Durchschnitt der Gesellschaft, weil bereits im Auswahlverfahren darauf geachtet werde, ob es sich um geeignete Kandidaten handle. Aber, betont der Minister, "wenn es das gibt, dann muss es abgestellt werden, dann braucht es eben auch diese Kultur des Benennens". Die neue Ausbildung solle auch auf dieser Ebene dazu führen, "dass man sensibilisiert wird für das Thema".

Wo war die ÖVP?

Aufgefallen war zuletzt, dass vergangenes Wochenende im Gegensatz zu früheren Jahren kein Regierungsmitglied der ÖVP bei der Befreiungsfeier des Mauthausen Komitees anwesend war. Der ÖVP-Abgeordnete Martin Engelberg hatte dies damit begründet, die Veranstaltung werde "parteipolitisch missbraucht" und erinnere ihn an eine "1. Mai Feier".

Dazu gefragt betonte Nehammer, dass man der Befreiung von Regierungsseite "intensiv gedacht" habe. Man habe beispielsweise auch ein neues Format des Gedenkens entwickelt und am 4. Mai die Namen der Opfer auf die Mauern des ehemaligen KZ projizieren lassen und verlesen. Bei den Befreiungsfeiern des Mauthausen Komitees der vergangenen Jahre habe er den Eindruck gehabt, dass "bei dieser Form der Feier zu wenig drauf geachtet wird, dass es eben nicht parteipolitisch motiviert ist und dominiert wird, sondern dass es tatsächlich um das Gedenken an die Opfer geht".

Meinungsverschiedenheiten

Landau dagegen findet es "wirklich schade", dass mit der bisherigen Tradition gebrochen wurde, wonach alle Gruppen gemeinsam gedenken. Engelbergs Aussagen kritisierte Landau als "unglücklich".

Unterschiedlicher Meinung sind Nehammer und Landau auch, was das viel beachtete Hissen der israelischen Fahne an Kanzleramt und Außenministerium während des aktuellen Nahost-Konflikts betrifft. Landau, der selbst Verwandtschaft in Israel hat, sieht die Aktion "problematisch", weil er die Fahne als eine "Positionierung an einer Stelle" wahrnimmt. Solidarität mit den Opfern sei angebracht, aber "ich habe die gleiche Solidarität mit den zivilen Opfern auf palästinensischer Seite".

Österreich habe aufgrund seiner Geschichte eine besondere Verantwortung für den Staat Israel, unterstrich wiederum Nehammer. "Die Solidarität und Verbundenheit zwischen Israel und Österreich rechtfertigt es aus meiner Sicht zu hundert Prozent, die israelische Fahne zu hissen – als Symbol der Solidarität, dass Menschen aus Angst vor Raketen in Bunker laufen müssen, die abgefeuert werden von terroristischen Organisationen."

Aus welcher Ecke Antisemitismus kommt

Auch wenn er in manchen Punkten andere Ansichten als der Innenminister bzw. die ÖVP generell habe – Landau war früher bei den Grünen, ist mittlerweile aber parteifrei – sei es wichtig, dass es beim Thema Antisemitismus zum Schulterschluss und der Zusammenarbeit konstruktiver Kräfte komme. Landau sei dieser Tage besonders ein Interview des deutschen Politikers Cem Özdemir (Grüne) in Erinnerung geblieben. Alle Jugendlichen, die sich antisemitisch betätigen, müssen in der Schule ein Problem bekommen, sagte dieser. Dieses Motto funktioniere auch über die Schule hinaus, sagt Landau.

In Hinblick auf die Frage, ob der Antisemitismus vor allem durch Muslime zugenommen habe, schließt sich Landau der Meinung des Deutschen an: Man müsse nach rechts, links und überall hin schauen. Woher der Antisemitismus kommt, sei weniger relevant als die Taten an sich, sagt Landau.

Antisemitismusbericht 2021

Im vergangenen Jahr gab es in Österreich laut dem Antisemitismusbericht der Israelitischen Kultusgemeinde Wien mindestens 585 antisemitische Vorfälle, durchschnittlich 49 Vorfälle pro Monat – ein neuer Negativrekord. Gezählt wurden elf tätliche Angriffe, 22 Bedrohungen, 53 Sachbeschädigungen und zahlreiche Beleidigungen. Der Großteil der Vorfälle betrifft antisemitische verbale Beschimpfungen, dazu kommen noch judenfeindliche E-Mails, Briefe, Anrufe und Postings sowie Beiträge in Social Media. Die meisten Vorfälle (229) haben laut Bericht einen rechtsextremen Hintergrund, gefolgt von linken (87) und muslimischen (74) Motiven. Bei 195 Vorfällen war keine Zuordnung möglich. (APA, Lara Hagen, 21.5.2021)