Ein Biedermeierhaus hinter dem Museumsquartier: Vom einstigen Glanz ist nicht viel übrig. Aber das muss nicht so bleiben.

Foto: Regine Hendrich

Ziemlich genau drei Jahre ist es her, dass in Wiener Gründerzeitvierteln die Abbruchzeit begann. Eine Novelle der Bauordnung sollte den Abbruch von Häusern, die vor 1945 errichtet wurden, erschweren. Davor ließen Immobilienbesitzer in heller Aufregung noch die Abbruchbagger vorfahren.

Oft entstanden entlang der Bauzäune zwei Fronten: Anrainerinnen und Anrainer trauerten um Gebäude, die ihre Straße geprägt hatten. Immobilienentwickler argumentierten, dass nicht jedes alte Haus auch von guter baulicher und architektonischer Qualität ist und erhalten werden muss.

Teil eines Ensembles

Seit der Gesetzesänderung entscheidet die MA 19 (Architektur und Stadtgestaltung) darüber, ob ein Erhalt im öffentlichen Interesse liegt. 1331 Anfragen gab es dazu seit dem Inkrafttreten der Novelle. Bei 940 davon wurde kein diesbezügliches Interesse festgestellt. "Aber das waren überwiegend Einfamilienhäuser und Hofgebäude", erklärt Abteilungsleiter Franz Kobermaier dem Standard. Die MA 19 sieht das öffentliche Interesse etwa gegeben, wenn das Haus Teil eines Ensembles ist oder wenn das Gründerzeithaus eines der letzten in einem heterogenen Straßenbild ist.

Bei 206 Ansuchen wurde öffentliches Interesse befunden. Eigentümer dieser Häuser müssen, sollten sie dennoch abreißen wollen, bei der Baupolizei um eine Bewilligung ansuchen. Im Vorjahr wurden laut dieser 28 Bewilligungen ausgestellt. Darunter waren auch drei Fälle, bei denen die Baupolizei ursprünglich keine Bewilligung erteilt hatte, die aber im Beschwerdewege vom Verwaltungsgericht Wien erteilt wurden. Im Jahr 2019 gab es zwölf Abbruchbewilligungen.

Mehr Zwischenschritte

Alles gut in der Wiener Gründerzeit? Das kommt darauf an, wen man fragt. Ein Abbruchunternehmer, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, sagt: "Ich reiße heute genauso viele alte Häuser ab wie früher. Nur gibt es jetzt mehr bürokratische Zwischenschritte." Wer abreißen möchte, so argumentiert er, findet weiterhin einen Weg.

Markus Landerer, Obmann der Initiative Denkmalschutz, die sich für den Erhalt der alten Häuser einsetzt, sieht das ähnlich: "Wir haben die gleichen Probleme wie vor der Novelle", sagt er. Dann zählt er mehrere Gebäude auf, die die Besitzer wohl bewusst dem Verfall preisgeben würden – bis sie so desolat sind, dass als letzte Option der Abriss bleibt. "Dabei ist der Eigentümer laut Bauordnung verpflichtet, das Haus in gutem Zustand zu erhalten."

Das Argument, dass nicht jedes alte Gebäude schützenswert sei, lässt er nicht gelten: "Da geht es ja meist um die historisch wertvollen, etwas kleineren Häuser, bei deren Abriss man besonders viel Gewinn lukrieren könnte."

Graue Energie

Für den Erhalt alter Gebäude spricht aber auch die Nachhaltigkeit: "Das oberste Prinzip ist, Bestandsgebäude zu sanieren", sagt der auf genau das spezialisierte Architekt Robert Gassner von Gassner & Partner Baumanagement GmbH. Wenn man die graue Energie, also jene Energie, die von der Herstellung bis zur Entsorgung benötigt wird, miteinbeziehe, verbraucht ein Neubau doppelt so viel Energie im Vergleich zur Sanierung.

Dass ein Haus so baufällig ist, dass man es nicht mehr sanieren kann, lässt Gassner auch nicht gelten: "Grundsätzlich kann man jedes Haus sanieren", sagt er. Gründerzeithäuser ohne richtiges Fundament werden auf neue Bodenplatten gestellt, die Dachgeschoße ausgebaut, die Häuser mit zentraler Warmwasseraufbereitung und Heizung ausgestattet. Um weg von fossilen Brennstoffen zu kommen, kann eine solar-und geothermiebasierte Energieversorgung installiert werden.

Schwieriger sei die Sanierung eines Biedermeierhauses, weil die niedrigen Gebäude aus statischen Gründen oft nicht ausgebaut werden können. Noch eine Hürde sieht Gassner: 2500 bis 2800 Euro pro Quadratmeter kostet eine umfassende Sanierung. So viel wollen viele Eigentümer angesichts der im Altbau gedeckelten Mieten nicht in die Hand nehmen. Hier brauche es eine Änderung des Mietrechtsgesetzes: "Dafür zahlen Mieter dann auch viel niedrigere Betriebskosten."

Stillstand statt Abriss

Erhalt oder Neubau? Die für alle Seiten unbefriedigendste Antwort ist in der Hetzgasse 8 in Wien-Landstraße zu finden. Hier sollte ein gründerzeitliches Eckhaus durch einen Neubau ersetzt werden. Doch inmitten des Abbruchs wurde 2016 eine Schutz zone errichtet, der Abbruch gestoppt – und gerichtlich bestätigt. Das Haus wurde verkauft – und steht nach wie vor leer.

Der Architekt Erik Testor hat den Neubau entworfen, der längst vom Tisch ist: Ein aufwendiges Haus wäre das gewesen, "mit Berankungen an der Fassade, unterschiedlichen Spielarten an Balkonen und Loggien". Neben barrierefreien Wohnungen waren auch Allgemeinbereiche und Waschküche geplant. All das hätte es im Gründerzeithaus nicht gegeben.

"Die Gründerzeithäuser wecken viele Emotionen", weiß Testor nicht erst seit damals. Das liege nicht nur daran, dass man an sie gewohnt sei. Sondern auch an ihrer Ästhetik, bei der Neubauten oft nicht mithalten können. Als eine Lösung sei denkbar, Alt und Neu zu mischen – nicht nur in Form von Dachgeschoßausbauten. Sondern auch, indem man die Häuser straßenseitig erhält – und im Hof ergänzt und erneuert.

Dann könnte eine ganz neue Ära beginnen. (Franziska Zoidl, 23.5.2021)