Vor vielen Jahren, als junger Student, fuhr ich mit Freunden nach Istanbul. Per Bahn. Auf der langen, langen Fahrt kamen wir ins Gespräch mit einer Gruppe von arabischen Studenten der Uni Wien, die auf der noch längeren Heimreise nach Jordanien waren. Allmählich stellte sich heraus, dass sie Palästinenser waren. Ihre Eltern waren im israelischen Unabhängigkeitskrieg 1948 nach Jordanien geflüchtet oder vertrieben worden. Die Unterhaltung wurde sehr rasch sehr erregt.

Demonstration aus Solidarität mit den Palästinensern im Konflikt mit Israel.
Foto: imago images/CTK Photo

Wir redeten aneinander vorbei. Wir hatten noch die furchtbaren Dokumentationen über den Judenmord im Kopf, den uns ein großartiger Lehrer vermittelt hatte. Wir sagten, nach alledem müsse es eine Zufluchtsstätte für Juden geben. Die Palästinenser gingen gar nicht auf den Holocaust ein. Sie sagten nur: Nicht auf unsere Kosten! Es fielen bald Ausdrücke wie "die Juden ins Meer treiben" und "Weltmacht der Juden". Am Ende brachen sie das Gespräch abrupt ab und sperrten sich den ganzen langen Rest der Reise in ihrem Abteil ein.

Ich weiß nicht, was aus den Palästinensern im Zug nach Istanbul geworden ist. In der heutigen Rhetorik ihrer Führer begegne ich aber der gleichen radikalen und zugleich aussichtslosen Haltung wie damals. Es gab seither zahlreiche Kriege, Terrorismus, Intifada, jetzt den gegenseitigen Raketenbeschuss – und seit dem Sechstagekrieg 1967 leben noch viel mehr Palästinenser unter israelischer Herrschaft. Und sie dulden immer noch unfähige, korrupte Führer, die ihnen nichts zu bieten haben als ein Schicksal als "Märtyrer". Und neuerdings gibt es in Europa eine zahlenmäßig nicht unbedeutende Bevölkerung nahöstlicher Herkunft, die puren antisemitischen Hass auf die Straßen trägt. Arabischstämmige, die "Sieg Heil" schreien? Das geht gar nicht.

Antisemitischer Wahn

Wir haben die Verantwortung, dass der antisemitische Wahn, der einst unseren Kontinent beherrschte, nicht wieder mächtig wird. Haben wir innerhalb dieser Verantwortung das Recht, die israelische Besatzungspolitik infrage zu stellen? Nämlich in dem Sinn, ob es gut für Israel selbst ist, Millionen von Palästinensern unbegrenzt unter Besatzung zu halten?

Den Israelis von Europa aus gute Ratschläge zu geben ist eine gefährliche Sache. Denn sie sind ja mit den Radikalen, den Islamo-Faschisten von der Hamas und anderen konfrontiert.

Wenn wir den Israelis sagen, dass die ewige Kontrolle über ein anderes Volk nicht möglich ist, dann müssen wir auch den Palästinensern sagen, dass sie sich nicht ewig von den falschen Leuten in eine sinnlose, "heroische", aber selbstbeschädigende Gewaltpolitik führen lassen dürfen.

Ein "absurder" Gedanke: Ich habe Ende der 1980er-Jahre erlebt, wie die Völker Osteuropas sich von harter Fremdherrschaft befreit haben. Gewaltfrei. An einem Sommertag 1985 hatten sich eine Million Wallfahrer im polnischen Tschenstochau versammelt. Es war auch eine politische Demonstration. Ich dachte, was kann das Regime gegen diese Massen machen? 1989 kam die Antwort: nichts.

Haben es die Palästinenser jemals mit einer Strategie der gewaltfreien Massendemos, des zivilen Ungehorsams versucht? Die Osteuropäer hatten allerdings Führer wie Lech Wałęsa und Václav Havel, keine Hamas- und Hisbollah-Fanatiker. Und die Demokratiebewegungen wurden vom Vatikan, westlichen Gewerkschaften – und George Soros – unterstützt. Auch darin, wie man eine politische Organisation und eine Zivilgesellschaft aufbaut. Vielleicht finanziert die EU so was für die Palästinenser?

Was können wir Europäer tun? Aktuell den importierten Antisemitismus knallhart bekämpfen; längerfristig gemäßigte Palästinenservertreter unterstützen und immer wieder klarmachen, dass es bei der essenziellen Sicherheit für Israel keine Abstriche geben kann. Eben Anteil nehmen, so gut es geht. (Hans Rauscher, 22.5.2021)