Sitznachbarn der beiden FPÖ-Spitzen im Nationalrat wollen es schon länger bemerkt haben: Norbert Hofer und Herbert Kickl gehen einander mittlerweile aus dem Weg, heißt es. Sei der eine da, fehle garantiert der andere – und umgekehrt. Zu zweit seien die beiden kaum mehr anzutreffen.

Wer setzt sich intern durch? FPÖ-Klubchef Kickl mit seiner Rabiatpolitik – oder bleibt doch Hofer mit seinem gemäßigten Kurs Parteichef?
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Zwischen Hofer und Kickl herrscht keine Eintracht mehr, sondern ein Konkurrenzverhältnis, das aktuell wieder schonungslos zutage tritt. Angesichts der türkisen Troubles mit der Justiz samt Neuwahlgerüchten schaffte es die blaue Doppelspitze, selbst in den Fokus der Aufmerksamkeit zu geraten.

Wer denn bei einem vorgezogenen Urnengang in die Wahlschlacht ziehe? "Natürlich würde ich zur Verfügung stehen", erklärte Kickl unlängst via oe24.tv – für die Aufgabe sei er "voll motiviert" und "gut im Saft".

Gerangel und Sticheleien

Mehr hat es nicht gebraucht. Über die FPÖ-Spitzenkandidatur werde gesprochen, wenn es Wahlen gebe, ließ Hofer, Parteichef und Dritter Nationalpräsident, dem FPÖ-Klubchef ausrichten. In der "Krone" legte Hofer, derzeit auf Reha, spöttisch nach: Wenn die Katze aus dem Haus sei, hätten die Mäuse Kirtag.

Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis auch die blaue Obmanndebatte eskaliert. Was alles spricht für Hofer – und was doch eher für Kickl? DER STANDARD hat sich umgehört und gibt einen Überblick.

FPÖ-Klubchef Herbert Kickl als wortgewaltiger Redner ohne FFP2-Schutz im Parlament – vielen Corona-Frustrierten gefällt das.
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Rhetorisches Talent Eines muss man Kickl als Klubchef lassen, obwohl er als wortgewaltiger Redner den Bogen des guten Geschmacks oft weit überspannt: Wenn der 52-jährige Kärntner loslegt, reizt das selbst eingefleischte Gegner mitunter zum Lachen, weil er es versteht, Kritik an Missständen geschickt auf die Spitze zu treiben. Kanzler Sebastian Kurz und Finanzminister Gernot Blümel (beide ÖVP) schleuderte Kickl unlängst im Nationalrat wegen ihrer aufgeflogenen Chats zu den Öbag-Bestellungen entgegen: "Sie wandeln auf den Spuren von H.-C. Strache!" – eine Anspielung auf den eigenen, nach Publikwerden des Ibiza-Videos zurückgetretenen Ex-FPÖ-Chef.

Als Meister der Übertreibung gilt Kickl rhetorisch seinem Parteikollegen Hofer als weit überlegen – der 50-jährige Burgenländer hingegen driftet bei Pressekonferenzen gern ab: Tiraden gegen mühsame Dauer-Lockdowns etwa wechseln sich bei Hofer mit Vorträgen über umweltfreundliche Elektrokraftstoffe ab.

Kampagnenfaktor Im Jahr 2016 kam Hofer in der Wählergunst dem Amt des Bundespräsidenten gefährlich nahe. Sollte die türkis-grüne Koalition platzen, könnte bei einem vorgezogenen Urnengang wohl vor allem die FPÖ höchst erfolgreich das stetig wachsende Lager an Corona-Skeptikern und Corona-Geschädigten mobilisieren.

Doch in Sachen Pandemiekurs sind Hofer und Kickl gespalten: Der eine erkrankte selbst an einer Corona-Infektion und ist längst geimpft, der andere will nicht einmal Maske im Parlament tragen – und verstand es bisher prächtig, die Stimmung aufgebrachter Bevölkerungsteile weiter anzuheizen, selbst im Zuge untersagter Demos.

Wegen des blauen Alleinstellungsmerkmals könnte die Partei bei einer anstehenden Wahlschlacht sogleich mit Kickl an der Spitze mit ihrer laufenden Grundkampagne gegen das Corona-Management der Regierung ins Feld ziehen, meint ein FPÖ-Mann. Mit Hofer als Frontmann müsste da einiges adaptiert werden.

Koalitionsoption Mit Kickl ist kein Staat zu machen: Auf diesem Standpunkt stehen mittlerweile alle anderen Parteien – dennoch träumt der Scharfmacher, der als Ex-Innenminister ständig für neue Aufregung sorgte, jetzt davon, mit SPÖ, Grünen und Neos den Kanzler zu stürzen – um sie dann für ein gemeinsames Weiterregieren ohne Kurz zu stützen.

Dieses Szenario gilt als derart unwahrscheinlich, dass auch Kickls Konkurrent Hofer ständig in diese Kerbe schlägt – unlängst twitterte er: "Unsere Wähler haben uns nicht unterstützt, damit wir die Politik der Grünen mit Steuererhöhungsfantasien und offenen Grenzen in der Regierung halten!"

Kickl als Chef kann der Partei also für unabsehbare Zeit nur weitere Jahre auf der Oppositionsbank bescheren – Hofer hingegen ließe sich als ehemaliger Infrastrukturminister weiterhin als ministrabel verkaufen.

FPÖ-Chef Norbert Hofer infizierte sich selbst mit Corona und ist mittlerweile geimpft – als er für die Maskenpflicht im Parlament eintrat, brachte er den blauen Parlamentsklub gegen sich auf.
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Interner Rückhalt Wer als Sieger aus dem Führungsstreit hervorgeht, ist vor allem auch eine Frage des Rückhalts. Kickl weiß derzeit vor allem den Parlamentsklub hinter sich. Die Macht für einen Umsturz an der Parteispitze liegt aber bei den Landesparteien. Mit Tirol und Salzburg sympathisierten zuletzt zwei kleinere Landesgruppen offen mit Kickl – die aber kaum Gewicht haben. Die einflussreichen Landeschefs schweigen und stehen hinter Hofer – noch. Darunter der derzeit Mächtigste, Oberösterreichs Landesvize Manfred Haimbuchner: Der hat im September in seiner Heimat eine Wahl zu schlagen. Wie Hofer pflegt er einen verbindenden Stil. Das dortige Wahlergebnis könnte richtungsweisend sein – ob die Bundespartei mit einem gemäßigteren Kurs à la Hofer oder mit Rabiatpolitik Marke Kickl weitermacht.

Auch die Burschenschafter sind als Machtfaktor in der FPÖ gespalten. Kickl sei keiner von ihnen, heißt es. Für die einen trifft er aber den Ton, andere wollen es lieber moderater, um partnerschaftsfähig zu sein – was für Hofer spricht, ebenso wie dessen Mitgliedschaft bei der Marko-Germania zu Pinkafeld.

Eigene Angriffsflächen Um ihn als FPÖ-Spitzenkandidaten zu verunmöglichen, richtete Kickl seinem Kontrahenten Hofer letzte Woche aus, dass auch er bei einer etwaigen Anklage als Dritter Nationalratspräsident zurücktreten müsste – nämlich im Zuge der Causa Asfinag.

Hintergrund: Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ermittelt gegen den Ex-Infrastrukturminister wegen Verdachts der Geschenkannahme – es gilt die Unschuldsvermutung. Konkret geht es um die Bestellung von Siegfried Stieglitz als Asfinag-Aufsichtsrat im Jahr 2018. Der Immobilienunternehmer Stieglitz hatte insgesamt 20.000 Euro teils davor, teils danach an den FPÖ-nahen Verein "Austria in Motion" gespendet. Der Verein erlangte rund um die Ibiza-Affäre Bekanntheit. Im Zuge des Strache-Skandals konnte sich Kickl bis dato ganz gut abputzen.

Unerwartete Querschüsse

Angesichts des ausgebrochenen Duells zwischen Hofer und Kickl sind aber auch unerwartete Querschüsse mit unabsehbaren Folgen nicht auszuschließen: Niederösterreichs Landesparteichef Udo Landbauer betonte schon, dass durchaus mehrere in der Partei das Zeug zum FPÖ-Spitzenkandidaten hätten. Dominik Nepp, Frontmann in Wien, wiederum fackelte nicht lange herum – und brachte sich gleich selbst ins Spiel. (Jan Michael Marchart, Nina Weißensteiner, 24.5.2021)