Die Aufarbeitung von Wirecard gibt Einblick in ein komplexes Konstrukt.

Foto: AFP / Christof Stache

Pav Gill (37) hat eine Lawine ins Rollen gebracht, die so groß geworden ist, dass sie nicht mehr aufzuhalten war. Er hat ehemaliger Leiter der Rechtsabteilung in Asien jene Beweise zusammengetragen und sie an Journalisten und Behörden weitergeleitet, die eindeutig belegten, dass bei Wirecard in Asien Scheingeschäfte an der Tagesordnung waren.

Wie DER STANDARD in den vergangenen Tagen ausführlich berichtet hat, hat sich Pav Gill im Zuge der Sky-Dokumentation "Wirecard – Die Milliarden-Lüge" an die Öffentlichkeit gewagt und ist heraus getreten aus seiner Anonymität. Er hat erklärt, wie er Wirecard zu Fall gebracht hat.

Mit ihm haben sich zwei weitere Whitstleblower geoutet. Dashiell Lampsomb und Matthew Earl. Alle drei verbindet die Geschichte in dem Punkt, dass man ihre Informationen offiziell nicht hören wollte. Alle drei mussten erleben, wie sie von Wirecard unter Druck gesetzt und bedroht wurden. Hier ist ihre Geschichte.

"Ich wurde überwacht, und das ließ man mich auch wissen"

Matthew Earl ist Shortseller bei Shadowfall Capital, und Autor des Zatarra-Reports

Matthew Earl prangerte in seinem Zatarra-Report die Geschäftspraktiken von Wirecard bereits 2016 an. Er verwies in dem Report auf den Verdacht der Geldwäsche, dem Wirecard schon 2010 in den USA ausgestzt war.
Illustration: Armin Karner nach Fotos von SFFP / Jo Molitoris / Julian Panetta / Ness Whyte / Sky

Matthew Earl verfasste im Februar 2016 den Zatarra-Report. Darin prangerte er die Geschäftspraktiken von Wirecard an. Earl stellte den Verdacht auf Geldwäsche, Scheingeschäfte und aufgeblasene Umsätze in den Raum und nannte null Euro je Aktie als Kursziel.

Es verwundert nicht, dass dieses anonym veröffentlichte Dokument für Wutanfälle und knallende Türen in der Chefetage von Wirecard sorgte. "Dabei tat ich nur, was mein Job ist", sagt der britische Investor Earl. Als Shortseller sei es seine Aufgabe, Ungereimtheiten in den Bilanzen zu finden. Mit seinem Wissen positionierte sich Earl folglich auch gegen Wirecard und wettete auf sinkende Aktienkurse.

Earl fiel auch auf, dass es bei Zukäufen – etwa in Indien – nicht mit rechten Dingen zugegangen sein konnte. Für einen indischen Finanzdienstleister zahlte Wirecard 340 Millionen Euro. Bei genauerem Hinsehen entpuppte sich der Finanzdienstleister aber als Ticketshop, der wohl nicht mehr wert war als rund 20 Millionen Euro. Die 340 Millionen Euro sollen den Besitzer nie gewechselt haben.

Jan Marsalek reiste nach London

Der Report deckte auch auf, dass Wirecard bereits 2010 mit den US-Behörden wegen des Verdachts der Geldwäsche im Clinch lag. Gelaufen ist dieser mutmaßliche Betrug über Florida, wo jahrelang Schecks an Scheinfirmen ausgezahlt wurden. Rund 70 Millionen Dollar an Auszahlungen wurden über die Jahre abgewickelt. In einer Anzeige des Secret Service sei der Name Wirecard oft aufgetaucht, erzählt Earl heute. Das Geld, das von Wirecard nach Florida geschickt wurde, lief über drei Unternehmen. Deren Sitze waren Einfamilienhäuser, die "Direktoren" ganz normale Hausfrauen.

Dass Earl der Verfasser des Zatarra-Reports war, wusste man bei Wirecard recht schnell. Mehrere Millionen Euro soll Wirecard in die Hand genommen haben, um den Autor des für die Reputation schädlichen Reports rasch ausfindig zu machen. Offiziell bestritt Wirecard die Vorwürfe. Das Management präsentierte den Zahlungsdienstleister als Opfer von Short-Selling-Attacken.

Im Hintergrund aber stieg Jan Marsalek ins Flugzeug und reiste nach London, um dabei zu helfen, Earl ausfindig zu machen. Earl wurde in der Folge überwacht, und das ließ man ihn auch wissen. Er erhielt eines Tages eine E-Mail mit Bildern von seinem Haus, Aufnahmen, die zeigten, wie er sein Haus gerade verließ oder betrat.

Zwei Männer in dunklen Anzügen

Im Dezember 2016 brachte Earl seine Kinder gerade ins Bett, als er mitbekam, dass ein schwarzer Wagen vorfuhr. Zwei Männer in dunklen Anzügen stiegen aus und klopften an. Die Männer sagten, sie kämen im Auftrag von Wirecard und wollten mit ihm über den Report sprechen. Earl weigerte sich, filmte den Vorgang – die Männer zogen ab. "Von da an war ich nervös", sagt Earl.

Earl kontaktierte daraufhin die Whistleblower-Hotline der deutschen Finanzaufsicht Bafin. Dort hörte man ihm zu. Aber nur kurz. Als er sagte, dass es um Wirecard gehe, sagte man ihm, man spreche nicht gut genug Englisch für das Gespräch. Folgeanrufe blieben erfolglos. "Bei der Erwähnung des Wortes Wirecard wurde einfach aufgelegt", sagte Earl. Die Bafin wurde dennoch aktiv. Sie ermittelte nun gegen Earl, nicht aber gegen Wirecard. Die gesammelten Infos zu den Malversationen des Unternehmens, das 2018 in den deutschen Leitindex Dax aufgenommen wurde, wollte niemand hören.


"Du willst nicht wissen, was B. macht"

Dashiell Lipscomb, Ehemaliger Country-Manager von Wirecard in Dubai

Dashiell Lipscomb mache Wirecard in Dubai bekannt – er stellte zu viele Fragen und ihm wurde eine Kündigung nahegelegt.
Illustration: Armin Karner nach Fotos von SFFP / Jo Molitoris / Julian Panetta / Ness Whyte / Sky

Dashiell Lipscomb war für Wirecard als Country-Manager in Dubai aktiv. Seine Aufgabe war es, Wirecard in der Region bekannt zu machen und Kunden an Land zu ziehen. Doch es gab einiges, das dem Australier bald komisch vorgekommen ist. In Dubai gab es noch eine zweite Einheit von Wirecard, die Card Systems. Geleitet wurde die Einheit von Oliver B. "Niemand wusste genau, was in Card Systems eigentlich passierte, außer, dass dort viel Umsatz produziert wird", sagt Lipscomb rückblickend. Diese Wirecard-Tochter sei immer eine mysteriöse Einheit gewesen.

In dieser von B. geleiteten Einheit war das sogenannte Drittpartnergeschäft angesiedelt. Zur Erklärung: Drittpartner wickelten überall dort Geschäfte ab, wo Wirecard selbst keine eigenen Lizenzen hatte. Das war vor allem im asiatischen Raum der Fall. In der Konzerstruktur war das Drittpartnergeschäft bei Jan Marsalek angesiedelt.

Warnung aus dem Wirecard-Reich

Lipscomb machte Wirecard in Dubai also bekannt. Eines Tages wurden die Räumlichkeiten zu klein, größere Büros mussten her. B. zeigte seinem Kollegen die Räumlichkeiten von Al Alam. Das war das größte Unternehmen im Drittpartnergeschäft für Dubai. Bei einem Lokalaugenschein wunderte sich Lipscomb, da in der größten Einheit für diesen Bereich kein einziger Mitarbeiter anwesend war. Es gab weder Unterlagen noch sonst etwas, das auf einen Betrieb hinwies.

Country-Manager Lipscomb begann, Fragen zu stellen. So erfuhr er von B., dass Al Alam in Dubai nur die Firmenadresse habe (dafür aber mit großen, ungenutzten Büroflächen) und die Mitarbeiter von den Philippinen aus arbeiten. Viel nachfragen sollte Lipscomb aber nicht. Schnell wurde er Wirecard-intern gewarnt, dass er sich zurückhalten solle. "Du willst nicht wissen, was B. macht. Du willst nicht wissen, wozu du vor Gericht aussagen müsstest."

Bei gemeinsamen geschäftlichen Terminen konnte Lipscomb aber oft nicht anders und stellte Fragen. Heute beschreibt er die gemeinsamen Termine mit B. als eine Art Test. Bei diesen ist er wohl durchgefallen. Man wollte – so erklärt es sich Lipsomb heute selbst – wohl testen, ob er es wert war, in das Geheimnis Wirecard eingeweiht zu werden. Die Involvierten zeigten sich aber genervt von seinen Nachfragen. Daher war es Zeit, das Blatt zu wenden.

Reinzitiert und hinauseskortiert

Lipsomb wurde in das Büro von B. zitiert. Dort wurde er angehalten, seine Kündigung zu unterschreiben. Damit von dem Wissen, das Lipscomb bisher angesammelt hatte, nichts nach außen dringen würde, sagte man ihm, dass man ihn wegen finanziellen Fehlverhaltens anzeigen könnte. Danach wurde Lipscomb von B. und weiteren Männern aus dem Büro eskortiert. Eine Anzeige in Dubai? Samt möglichem Strafverfahren? Sich darauf einzulassen war Lipscomb dann zu heiß. Er packte alles zusammen und verließ mit seiner Familie Dubai innerhalb von 24 Stunden. In Australien hat er sich nun ein neues Leben aufgebaut.

Später stieg Lipscomb in die Aufklärung der Vorfälle ein und brachte entscheidende Hinweise, dass es im Drittpartnergeschäft sehr oft keine Kunden gegeben hätte. Wirecard musste Geld erfunden haben, so seine Conclusio. Tatsächlich geht die Münchner Staatsanwaltschaft davon aus, dass die von B. geführte Dubai-Tochter die zentrale Rolle spielte bei dem im Bilanzskandal wichtigen Asien-Geschäft. B. hatte sich nach der Insolvenz gestellt und ist Kronzeuge. (Bettina Pfluger, 23.5.2021)