Londons Themse wird gerne als Beispiel herangezogen, wenn es um den Nachweis geht, dass sogar aus stinkenden Kloaken wieder saubere Flüsse werden können. In den späten 1850er-Jahren rochen die Gewässer der damals inoffiziellen Welthauptstadt so bestialisch, dass sogar Sitzungen im britischen Unterhaus zeitweise unterbrochen wurden. Heute flanieren Millionen von Touristinnen und Touristen entlang der prächtigen Bauwerke an der Themse. Die Nase rümpft niemand mehr.

Die Themse wirkt sauber, doch die Gefahr ist unsichtbar.
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Das liegt einerseits an den vielen infrastrukturellen Projekten zur Abwasserreinigung und andererseits an der schwindenden Bedeutung der Themse als Logistikumschlagplatz. Aber auch daran, dass die neue Gefahr weder stinkt noch sichtbar ist. Studien aus dem Vorjahr attestieren der Themse eine Verschmutzung mit Mikroplastik, die sich im traurigen internationalen Spitzenfeld weit vorn einreiht.

Computer als Gegengift

94.000 winzig kleine Mikroplastikpartikel seien stellenweise binnen einer einzigen Sekunde an bestimmten Abschnitten im Fluss gemessen worden. Zudem fand Greenpeace in jedem untersuchten Fluss Mikroplastik. Kleidungsfetzen aus synthetischen Stoffen gelangen ebenso ins Wasser wie zerkleinerte Fasern von Feuchttüchern. Diese Partikel lagern sich dann wieder in den lebenden Flussbewohnern ab, die am Themseufer mitunter als Snacks angeboten werden.

Mikroplastik ist mittlerweile ein globales Phänomen, bestimmte toxische Stoffe haben in Europas Gewässern aber zum Glück Seltenheitswert. Wenn Unfälle – ob aufgrund technischer Gebrechen oder menschlichen Versagens – geschehen, ist aber jede Sekunde kostbar.

So flossen 2014 etwa 60 Tonnen Nickel in den finnischen Kokemäenjoki – es dauerte ganze 30 Stunden, bis das Leck überhaupt erkannt wurde. 2019 landeten über fünf Tage hinweg mehr als 300 Tonnen Stickstoff und 30 Tonnen Phosphor in der polnischen Weichsel, bevor es jemand merkte. Alles Umweltkatastrophen, die viel früher hätten entdeckt werden können, ist Atakan Aral überzeugt. Der türkische Forschungsstipendiat leitet an der Universität Wien ein EU-finanziertes, multinationales Forschungskonsortium. Dieses soll einen Algorithmus entwickeln, der es erlauben soll, kleinste Mengen toxischer Stoffe in großen Flüssen zu erkennen, diese hochzurechnen und mittels Computersimulationen binnen wenigen Minuten ihren Ursprung zu finden.

In den kommenden Jahren will der IT-Experte gemeinsam mit seinem Team Pilotprojekte in Finnland und der Türkei lancieren. "Wenn Verunreinigungen aber permanent auftreten, braucht es freilich ganz andere Ansätze", sagt Aral zum STANDARD. Die permanente Verschmutzung ist genau jenes Problem, mit dem die größten Sünder unter den verschmutzten Flüssen konfrontiert sind. Vor allem die großen asiatischen Flüsse, der Brahmaputra etwa, Chinas Jangtse und der Gelbe Fluss, Indiens Indus und Ganges oder Indonesiens Citarum sind Gift für die Ökosysteme sowie alle Menschen und Tiere, die in ihren Einzugsgebieten leben. Umgekehrt waren es freilich erst die Menschen selbst, die die Flüsse mit ihren Fabriken und unzureichenden Kanalsystemen zu den toxischen Schleudern machten, die sie heute sind.

DW Documentary

Mehr als die Hälfte der Erdbevölkerung lebt in einem Radius von drei Kilometern um ein Gewässer. Ein Sturm, ein Starkregen – und schon landet der Müll im Wasser.

Neue Studien belegen nun erneut die verheerenden Folgen dreckiger Flüsse – nicht nur am Boden, auch in der Atmosphäre. So zeigten Untersuchungen von 15 Wasserwegen in Hongkongs New Territories, dass die Konzentration von Kohlendioxid, Methan und Lachgas in den dortigen Flüssen bis zu 4,5-mal höher sei als in der Atmosphäre.

Bei Basics beginnen

Weltweit emittieren Flüsse und Ströme knapp vier Milliarden Tonnen CO2 jährlich – was in etwa dem Vierfachen der Emissionen der Flugindustrie entspricht. Die Rechnung ist einfach: Je verunreinigter die Flüsse sind, desto mehr klimaschädliche Gase stoßen sie aus.

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Der Citarum ist vielerorts eine einzige Müllhalde. Schon 2025 soll er Trinkwasserqualität. Aus aktueller Sicht ein utopisches Ziel.
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Mittlerweile erkennen immer mehr Staatschefs die missliche Lage der Flüsse. Indonesien etwa will den Citarum bis Mitte des Jahrzehnts auf Trinkwasserqualität bringen. Unterstützung erhält das indonesische Militär dabei etwa vom deutschen Start-up Plastic Fischer, das mit rudimentären Instrumenten mit lokalen Fabriken Fangkörbe für die Flüsse baut. Sämtliche Bauanleitungen sind offen zugänglich, um dem Ziel sauberer Flüsse global ein Stück näher zu kommen. (Fabian Sommavilla, 23.5.2021)