Das "Prachtboot" von der Insel Luf wurde stets mit sauberer Erwerbsgeschichte präsentiert. Eine Lüge, meint Götz Aly.

Foto: Wikipedia

Der deutsche Historiker Götz Aly ist bekannt für seine Bücher über die Verbrechen des Nationalsozialismus. Und für seinen schonungslosen, pointierten, sich nicht hinter akademischen Worthülsen versteckenden Stil. Mit seiner jüngsten Publikation wendet sich der 74-Jährige den Verbrechen der Kolonialzeit zu. In Das Prachtboot – Wie Deutsche die Kunstschätze der Südsee raubten (S. Fischer) reißt er das Lügengebäude ein, das Völkerkundler der Nachkriegszeit und manche bis heute rund um die abertausenden Objekte in ihren Museen gebaut haben.

Ausgangspunkt ist für Götz Aly zunächst ein familiärer: Sein Urgroßonkel Gottlob Johannes Aly hatte einst als Militärgeistlicher in der Kriegsmarine des wilhelminischen Kaiserreichs gedient. In den 1880er-Jahren wirkte er an der kolonialen Unterwerfung einer Südsee-Inselgruppe in Melanesien mit, die neben den Landnahmen in Afrika – wo es zum Völkermord an den Herero und Nama kam – als Deutsch-Neuguinea mit dem Bismarck-Archipel ins deutsche Kolonialreich eingegliedert wurde.

Die Kolonie bestand von 1884 bis 1914 und soll zuletzt pro 500.000 indigene Einwohner schätzungsweise 1130 weiße Siedler gehabt haben. Die größte Insel erhielt den Namen Luf. Ein von dort stammendes Boot ist den Deutschen als "Prachtboot" und "Luf-Boot" bekannt. Das reich verzierte, technisch hoch ausgefeilte Holzboot mit Takelage, 15 Meter lang und hochseetauglich, wurde 1903 ins Berliner Völkerkundemuseum geschafft.

"Erwerb" unter Anführungszeichen

Jahrzehntelang wurde es dort als Prunkstück präsentiert, und auch im neu entstehenden Berliner Humboldt-Forum soll dem Objekt ein Sonderstatus zukommen – ein protzender allerdings und nicht jener, der Götz Aly vorschwebt: Der Historiker räumt in seinem Buch mit dem bis heute von offizieller Stelle vertretenen Mythos auf, dass das Boot rechtschaffen gekauft worden sei. Zwar hat der Kurator des Berliner Museums, Felix von Luschan (1854– 1924), ein gebürtiger Österreicher, das Boot tatsächlich von dem Südseehändler Max Thiel gekauft. Dieser aber dürfte es geraubt haben. Wie kommt Aly zu dem Schluss?

Erstens fehlt für einen rechtmäßigen Erwerb jeder Beleg. In einer Notiz schreibt Thiel vielmehr davon, das Boot sei "in seine Hände übergegangen", was nicht gerade als Indiz für einen Ankauf zu werten ist. Zweitens schließt Aly aus der allgemeinen Quellenlage zu den damals gängigen Erwerbsumständen auf eine unrechtmäßige Aneignung.

Wie Aly gut belegen kann, ging ein "Ankauf" so gut wie nie korrekt über die Bühne, sogar die Händler selbst notierten "Erwerb" mitunter in Anführungszeichen. Den Indigenen wurden Glasperlen und billigster amerikanischer Stangentabak mit dem vielsagenden Namen "Niggerhead" zum Tausch gegeben.

Indirekter Völkermord

Noch schwerer wiegt aber, dass eine Vielzahl der ethnografischen Objekte gewaltsam geraubt wurde, auch auf Luf, denn mehrfach rückte die deutsche Kriegsmarine auf obersten Befehl zu sogenannten "Strafexpeditionen" aus, um die Indigenen zu "züchtigen". Menschen wurden mit Kanonen beschossen oder ins Meer getrieben, Frauen wurden vergewaltigt, Hütten, Kanus, ganze Dörfer und Wälder niedergebrannt. Hinzu kamen von den Europäern eingeschleppte Krankheiten, Sklaverei, Lynchjustiz.

Götz Aly spricht daher auch im Fall der Südsee-Kolonien von einem "indirekten Völkermord". Nachdem die Indigenen ihrer Lebensgrundlage beraubt worden waren, konnten sich die Völkerkundler (die gesamte Disziplin begreift Aly als eine Begleiterscheinung des Kolonialismus) als "Retter" der Kunstschätze gerieren.

Als infames "Lügengespinst" bezeichnet Aly die bis heute von Museumschefs und Politikern verbreitete Mär vom "natürlichen Bevölkerungsrückgang" oder gar "freiwilligen Aussterben" der Indigenen. Mehrfach geißelt Aly etwa den Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Hermann Parzinger, der bis zuletzt die wahre Geschichte des Luf-Boots verschleiert habe.

Kritik, die wirkt. Denn mittlerweile gelobt man in Berlin, die Gräuel im Museum künftig zu thematisieren. Auch Wien kommt in Götz Alys Recherche vor: Im Naturhistorischen Museum lagern etwa noch immer Schädel Hingerichteter, die als "human remains" an Papua-Neuguinea zu restituieren wären.

Bezüglich Rückgaben schlägt Aly vor, die Eigentumsrechte aller Objekte, deren einwandfreier Erwerb nicht belegt werden kann, an die Nachfolgestaaten zu übertragen. Je nach bilateraler Vereinbarung könnten laut Aly dann die europäischen Museen als Treuhänder fungieren und durchaus Objekte behalten.

Dabei macht Aly deutlich, dass die neuen Eigentümer frei über die Objekte entscheiden können sollen. Dass ohne Verkaufsverbot Stücke aber auch auf dem Kunstmarkt landen und für Museen und Forschung verlorengehen könnten, scheint ihn nicht zu stören. Das ist vielleicht der einzige blinde Fleck in diesem erhellenden und wichtigen Buch.

(Stefan Weiss, 22.5.2021)