Regierungsspitze im Schweizerhaus: Das Titelfoto des STANDARD vom Donnerstag von Heribert Corn.

Foto: Heribert Corn

Wenn es um die bildliche Darstellung des Bundeskanzlers geht, lässt sich DER STANDARD nicht lumpen. Die schöne Regelmäßigkeit, mit der Sebastian Kurz in diesem Blatt abgebildet erscheint, entspricht der Schönheit der Erscheinung. Was den STANDARD von anderen Gazetten unterscheidet, ist eine größere Diskrepanz zwischen dem Kanzler als Konterfei und dem Kanzler als verschriftlichtem Objekt der Berichterstattung, dem Kanzler als Augenweide und dem Kanzler als Hirnweide.

Die Leserinnen und Leser werden aus dieser Dichotomie längst selbst geschlossen haben, dass die redaktionelle Arbeit am Bundeskanzler von einer vorwiegend ästhetischen Annäherungsweise an ein Problem getragen ist, das dieser nun einmal darstellt. Das Materielle muss deswegen ja nicht zu kurz kommen.

"Mineralwasser!"

Ein schönes Beispiel war DER STANDARD vom Donnerstag, der auf dem Titel unter einem Foto von Kanzler Sebastian Kurz, Tourismusministerin Elisabeth Köstinger (beide ÖVP), Vizekanzler Werner Kogler und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer (beide Grüne) den Genannten Mahlzeit! wünschte, ohne die Sittenwidrigkeit zu verschweigen, dass diese sich im Schweizerhaus zu Stelze und Krautsalat was servieren ließen? – Mineralwasser! So viel Heuchelei gibt es in keinem Untersuchungsausschuss. Kein Wunder, wenn Umstehende in "Kurz muss weg" -Rufe ausbrachen.

Das ganze Ausmaß der Heuchelei offenbarte der "Kurier", der für seine Kanzlertreue schon am Vortag als Bild des Tages den Kanzler zeigen durfte, wie er beim Restaurant Figlmüller ein Fass angeschlagen hat – Ottakringer. Das Blatt wollte den Lesern damit sagen, ein Bundeskanzler, der ein Fass Bier anschlagen kann, kann kein schlechter Mensch sein. Bei jemandem, der im Schweizerhaus eine Stelze mit Mineralwasser schändet, wo er Budweiser haben könnte, ist das zu bezweifeln. Wer bringt es an den Tag? – DER STANDARD.

"Die Versuchung des heiligen Sebastian"

Und damit nicht genug. Auf Seite 11 brachte DER STANDARD ein zweites Foto von dem Staatsakt im Prater. Es zeigte unter der Aufschrift "Herzlich willkommen" einen Kellner, der, ein Tablett voll mit Krügeln schäumenden Bieres balancierend, an den Kanzler herantrat, was dieser mit einer Geste seines rechten Armes abwehrt. Hier hätte die Überschrift lauten müssen "Die Versuchung des heiligen Sebastian", was die Redaktion aber unterließ, vermutlich aus ästhetischen Gründen.

Die "Kronen Zeitung" näherte sich dem Problem der Kanzlerberichterstattung am "Tag der Freude" realistisch. Sie brachte auf Seite 17 ein kleines Foto vom Regierungsquartett im Schweizerhaus, neben der seitendominierenden Abbildung einer patriotischen Stelze. Das war eine doppelte Respektlosigkeit gegenüber dem Regierungschef, steckte in der Stelze doch eine kleine rot-weiß-rote Flagge, während der Kanzler nichts zu bieten hatte als vaterlandslose Askese.

Kartoffelsalat. Backhendl. Apfelsaft. Kartoffelpuffer.

Es war wieder einmal allein "Österreich", wo umfassende Aufklärung geboten wurde. Man brachte das Foto vom Regierungsquartett auf dem Cover und auf Seite 4, dort aber wissenschaftlich analysiert. Alles, was auf den Tisch kam, sollten die Leser haarklein erfahren, mit roten Pfeilen im Bild festgezurrt: Kartoffelchips. Als Beilage Krautsalat. Radi. Regierung isst Stelze. Kanzler trinkt Mineral. Kartoffelsalat. Backhendl. Apfelsaft. Kartoffelpuffer. Die Wahrheit – aber was ist schon Wahrheit? – stand im Text, wo es hieß, die vier hätten im Schweizerhaus zelebriert, samt Bier, Schnitzel und Stelzen (für Kogler "ein bisschen schwer"). Aber für den ist zurzeit vieles mehr als nur "ein bisschen schwer".

Die "Wiener Zeitung" nutzte die Gelegenheit, ihren Lesern begreiflich zu machen, warum der Bundeskanzler sie zusperren will. Kein Bild, kein Wort von der Regierung im Schweizerhaus. Stattdessen die ganze Seite 3 zum Thema "Die Leute wollen endlich gezapftes Bier", untermauert mit zwei Fotos. Das eine: Im Café Caramel kann Kellnerin Karin endlich wieder Bier ausschenken. Das andere: Trotz wolkenverhangenem Himmel sitzen Gäste im Schanigarten von Stephan Blaschkos Café Zuckergoscherl.

Man muss nicht im Schweizerhaus bei Mineralwasser heucheln, wenn man im Zuckergoscherl auf sein wahres Ich stoßen kann. Erfreulich, dass in der "Presse" ein emeritierter Soziologieprofessor nun einen Vorschlag zur Weiterführung der "Wiener Zeitung" unterbreitet hat. Besser und billiger als Förderung des Boulevards. (Günter Traxler, 22.5.2021)