Bettina Kerl und Tim Breyvogel im Gespräch über kräftige Waden und Gebisse. Nur wer körperlich vollkommen überzeugt, findet bei Teresa Dopler noch einen Kletterpartner.

Foto: Alexi Pelekanos

Erst sorgte Corona für leere, jetzt für enge Terminpläne. Der Regisseur Daniel Hoevels hat es nicht zur Premiere geschafft, weil er selbst als Schauspieler probt. Die Autorin Teresa Dopler hat auch nicht ans Niederösterreichische Landestheater gefunden. Fast meint man, das Bühnenbild (Lugh Wittig) wäre ebenso verhindert, denn es ist schrecklich leer im hochalpinen St. Pölten. Nur Kunstnebel wabert, als Tim Breyvogel und Bettina Kerl einander als Bergsteiger am Matterhorn begegnen. Ein Scheinwerfer spendet Morgensonne. Sie hat ihren Helm verloren und er hat ihn gefunden; er ist gerutscht und sie hat zugeschaut, so kommen sie ins Reden.

"Du" mit Distanz

Doch in über 1000 Metern Seehöhe sagt man hier "Du" mit Distanz. Breyvogel und Karl spielen in verschiedenen Bühnenhälften, dennoch sind sie bald bei Schmeicheleien. Sätze über ausgeprägte Beinmuskulatur und kräftige Zähne mögen den Zuschauer als Übergriffigkeiten irritieren, der seltsame Flirt hat aber ein Ziel: Wollen sie als Partner die weitere Tour gemeinsam wagen? Vor kurzem habe er sich in einem Überhang an einer Kante festgebissen, prahlt Breyvogel.

Monte Rosa heißt das neueste Stück der gebürtigen Oberösterreicherin (30), das in der Theaterwerkstatt zur Uraufführung gelangt. 2019 gewann sie mit Das weiße Dorf den Heidelberger Stückemarkt und bekam im selben Jahr das Peter-Turrini-DramatikerInnenstipendium des Landes Niederösterreich, Monte Rosa ist die Ausbeute davon. Dopler hat sich mit kuriosen Figuren in turbokapitalistischen Untergangsszenarien einen Namen gemacht, auch hier hat man es mit solchen zu tun.

Optimierte Einzelkämpfer

Doplers Figuren sagen wenig, aber dieses Wenige sitzt. Wie es genau um die Welt jenseits der Gipfel bestellt ist, bleibt etwa für uns vage. Doch die Gletscher schmelzen, die Berge bröseln, die Menschen sind offensichtlich zu selbstoptimierten Einzelkämpfern vereinsamt. "Erst letzte Woche war ich wieder am Matterhorn." – "Ich war erst gestern", heißt es da mit feinem Humor. Bloß kann die Inszenierung mit so viel Originalität nicht mithalten. Es wird in den 75 Minuten viel nervös herumgehuscht, in die Luft gesprochen, sich in Tücher gewickelt. Oft öde Abstrahierung ist angesagt. Die Bergsteigerausrüstung auf dem Rücken muss man sich dazudenken. Weil es ungewöhnlich warm ist, ist Mann auch oben ohne unterwegs. Breyvogel und Kerl turnen in weißen Fellhosen (Cedric Mpaka) an zwei Treppentürmen, als ein dritter Bergsteiger auftaucht. Mit der Feststellung "Mein Herz ist so kräftig, es muss kaum schlagen" beeindruckt Philip Leonhard Kelz. Er streckt die nackte Brust raus, zieht den Bauch ein.

Ein Bergsteiger soll nicht traurig, sondern stets "stabil" sein. Kletterpartner, die nicht mehr in Form sind, werden ausgetauscht. Man kann das als Metapher auf sämtliche Lebenslagen im neoliberalen Zeitalter vom Beruf bis zur Partnerwahl lesen. Ausgerechnet, dass sie einander in Situationen der Schwäche kennengelernt haben, bindet Breyvogel und Kerl letztlich aber zusammen. Der Makel als Sprung im System ließ sie innehalten, soweit die nicht neue, aber von der Autorin bestechend verpackte Moral. (Michael Wurmitzer, 22.5.2021)