Expertinnen und Experten plädieren für eine bessere Untersuchung von Viren, die Zoonosen auslösen könnten – die also von verschiedenen Tieren auf Menschen überspringen und Krankheiten verursachen.
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Obwohl sich Coronaviren erst im vergangenen Jahr im allgemein geläufigen Wortschatz einnisteten, sind sie facheinschlägig seit Jahrzehnten bekannt. In den 1960er-Jahren wurden sie von der schottischen Virologin June Almeida erstmals mit diesem Namen versehen, bereits 1937 hatten zwei US-amerikanische Veterinärmediziner ein Coronavirus in Hühner-Embryonen beschrieben.

Die Verbindung zu Tieren ist wichtig: Einige Coronaviren springen von ihnen auf den Menschen über (der letztendlich auch eine besondere Art von Tier ist). Systematisch kann man die Virenfamilie in Gattungen unterteilen, darunter die Alpha-, Beta-, Gamma- und Deltacoronaviren. Die vier Alphaviren, die den Menschen befallen, sind meistens harmlos. Sie können für Erkältungen sorgen, etwa ein Fünftel aller Menschen bekommt sie im Laufe der Kindheit.

Gefährlich und mitunter tödlich wurden für uns bisher die drei Betaviren: Sars-CoV-1, das 2003 in Asien für den Sars-Ausbruch sorgte, Mers-CoV, das 2012 vor allem in Saudi-Arabien Atemwegserkrankungen auslöste, und nun Sars-CoV-2. Somit kommt man auf sieben humane Coronaviren.

Neue Arten, die Menschen betreffen

Nun scheint es Hinweise auf weitere Typen zu geben, die bei Menschen Krankheiten auslösen können. Eine Studie fand bei der Analyse älterer Gewebeproben aus Malaysia ein neuartiges Coronavirus, das einem bei Hunden vorkommenden Exemplar ähnelt. Eine andere Studie, die im März als Preprint veröffentlicht wurde, berichtet über weitere Fälle, bei denen vor einigen Jahren auf Haiti Coronaviren von Schweinen auf Menschen übergesprungen seien.

Zunächst ist einzuwerfen, dass weder bei der einen noch bei der anderen Studie ein eindeutig geklärter Zusammenhang zwischen den aufgespürten Erregern und den Erkrankungen der Personen nachgewiesen wurde. Außerdem ist nicht klar, ob die Viren von Mensch zu Mensch oder bislang nur unter bestimmten Umständen von Tier zu Mensch übertragbar sind.

Im ersten Fall geht es um acht Kinder, die in eher ländlichen Gegenden auf der Insel Borneo leben und im Zeitraum 2017–2018 mit Lungenentzündungen im Spital landeten (wo sie für maximal sieben Tage blieben und sich erholten). Der zweite Fall beschreibt drei haitianische Kinder, die 2014–2015 an Fieber erkrankten.

Kinder in Malaysia und Haiti

Warum wurden offenbar nur Kinder infiziert? Womöglich hatten sie engere Kontakte mit Haus- und Wildtieren. Bei den malaysischen Vorfällen, die vor allem Kinder unter fünf Jahren betrafen, kommt dazu: Es handelt sich um ein Alphacoronavirus, und dieser tendenziell harmlosen Virengattung begegnen Menschen – wie bereits erwähnt – weltweit oft schon im Kindesalter. Erwachsene könnten durch frühere Kontakte mit den Alphaviren eine Immunität gegen den Neuling entwickelt haben.

Beide Studien streichen interessante Aspekte der neuen Coronaviren heraus. Bei der Preprint-Studie zu drei erkrankten Kindern auf Haiti, die bereits zur Peer-Review eingereicht wurde, übertrug das Forschungsteam aus Florida Blutserum-Proben der Infizierten in Affenzellen. So konnte man Viren züchten, die bereits bekannten Schweine-Coronaviren ähneln. Dabei handelt es sich um ein Deltacoronavirus.

Bei dieser Virusgattung ging man früher davon aus, dass sie nur Vögel infiziert. Aber die Infektion von Schweinen in Hongkong 2012 und der Ausbruch einer tödlichen Durchfallerkrankung bei Babyschweinen in den USA im Jahr 2014 zeigten, dass es wohl von Singvögeln übergesprungen ist und seither auch Säugetiere betreffen kann. Einige Virologinnen und Virologen stuften dieses Virus daher als pandemische Bedrohung ein. Nun sollen Menschen in Haiti auf Antikörper gegen die 2014–2015 aufgetretene Version des Virus getestet werden, wie die Coronavirologin Linda Saif von der Ohio State University dem Wissenschaftsmagazin "Science" sagte.

Chimäre aus vier Coronaviren

Saif isolierte dieses Virus einst in Schweinezellen und war zudem an der Studie zu Corona-Infektionen 2017–2018 in Malaysia beteiligt, die im Fachblatt "Clinical Infectious Diseases" erschien. Hier handelte es sich um ein Alphavirus, das am ehesten einem bekannten Hunde-Coronavirus ähnelt. Bei genauerer Analyse – sprich: der Betrachtung der vollständigen Genomsequenz – stellte sich heraus, dass das Virus eine Chimäre aus vier Coronaviren ist.

Die "Monstrosität", wie sie der Virologe Benjamin Neuman der staatlichen Texas A&M University nennt, setzt sich zusammen aus Genen von zwei Hunde-Coronaviren, einem Katzen- und einem Schweine-Coronavirus. Im Laufe der Zeit und durch verschiedenartige Übertragungen kann sich das genetische Material der Viren zusammengesetzt haben.

Menschliche Übertragung ungewiss

Bislang gibt es keine Hinweise darauf, dass sich dieses Virus – wie etwa Sars-CoV-2 – effizient von Mensch zu Mensch übertragen lässt: Es gibt "keine eindeutigen Beweise dafür, dass dieser spezielle Stamm aufgrund seiner Spike-Struktur besser an Menschen angepasst ist", sagt die Studien-Erstautorin Anastasia Vlasova von der Ohio State University. Womöglich treten menschliche Infektionen durch Hunde-Coronaviren häufiger auf als gedacht.

Der Übertragungsweg von Mensch zu Mensch lässt sich bisher aber auch nicht ausschließen, sagt Vlasova. Und es bedeutet auch nicht, dass das Virus diese Fähigkeit nicht lernen könnte. Auch ein Ausbruch einer ernsthaften Krankheit beim Menschen, der durch Alpha-Coronaviren ausgelöst wurde, wäre ungewöhnlich, sagt Neuman: "Aber das spendet nicht viel Trost in der wilden Welt der Viren."

Zukünftige Pandemierisiken

Und neben Coronaviren, von denen der Virologe Dennis Carroll (Global Virome Project) ungefähr 4.000 als potenziell gefährlich einstuft, kommen schließlich auch andere Viren als Auslöser von Zoonosen infrage. Damit können sie auch Epidemien und Pandemien verursachen, wie Expertinnen und Experten immer wieder warnen. Manche von ihnen schätzen die Zahl der Viren in Tieren, die der Menschheit gefährlich werden könnten, auf mehr als 320.000. Andere rechnen mit mehr als 600.000 Viren mit einem solchen Potenzial.

Auch wenn bisher unklar ist, ob Sars-CoV-2 aus dem Labor kam, direkt von einem erkrankten Tier auf Menschen übersprang, Zwischenwirte hatte oder gar eine Kombination aus diesen unterschiedlichen Wegen nahm: Gerade in einer Welt, in der Menschen auf engem Raum – auch mit Zuchttieren – leben, weltweit gut vernetzt sind und immer tiefer in den Lebensraum von Wildtieren eindringen, werden Zoonosen und daraus resultierende Pandemien in Zukunft öfter auftreten.

Rechtzeitige Erkennung an Hotspots

Daher dürfte auch das steigende Interesse herrühren, gelagerte Proben von erkrankten Personen auf Viren zu untersuchen, die aus Tieren bekannt sind, aber oft nicht durch die standardmäßige Diagnostik erkannt werden. Der leitende Autor der malaysischen Studie, Gregory Gray von der Duke University in North Carolina, spricht sich für eine diesbezügliche Untersuchung von Lungenentzündungspatienten in bestimmten Gebieten aus. Das betrifft vor allem Orte, die als Hotspots für neuartige Viren bekannt sind oder an denen sich große Populationen von Tieren und Menschen vermischen. Neben Viehmärkten können das auch große Zuchthöfe sein.

Mit solcherlei Maßnahmen und der besseren Erforschung tierischer Viren könnte man sich besser gegen zukünftige Epidemien wappnen und diese früher erkennen. Denn im Normalfall verlaufen die gefährlichen Entwicklungen nicht von heute auf morgen, sondern über Jahre hinweg, sagt Gray: "Es ist nicht wie in Filmen. Sie durchlaufen verschiedene Schritte, um Menschen zu infizieren." (Julia Sica, 26.5.2021)