Wien – Norbert Hackl kann sich der Anfragen zu seinen Schweinen kaum erwehren. Gerade klopfte Spar bei ihm an. Der Handelskonzern will sein Fleisch einige Wochen lang in seinem neuen Supermarkt am Wiener Schottentor feilbieten – zu Preisen, von denen Mäster in Österreich nur träumen können.

Aufgabe der Politik ist, es Rahmenbedingungen für Landwirtschaft zu schaffen. Dreht sie nun den Spieß um und nimmt Handel wie Konsumenten in die Pflicht?
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Der Steirer zieht auf seinem Biohof Labonca Schweine in Freilandhaltung auf. Noch nie sei der Bedarf der Konsumenten an Biofleisch so groß gewesen wie heuer, sagt er und erzählt von starkem Interesse an seinen Tieren auch aus Ländern wie Frankreich und Italien.

"Für viele Landwirte wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, um auf Bio umzusteigen." Doch die Töpfe mit der Bioförderung für die nächsten zwei Jahre seien leer. Und ohne diese seien die höheren Standards nicht finanzierbar.

ÖVP-Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger ließ jüngst damit aufhorchen, dass Fleisch im Handel gut ein Drittel mehr kosten müsse, damit Bauern vernünftig wirtschaften können. Hackl hält das für Augenauswischerei. Der Markt werde längst von großen konventionellen Betrieben dominiert. Von einem Sterben in deren Reihen sei keine Rede.

Doppelte Fleischpreise?

Gehe es Köstinger um mehr Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft, reichten um 30 Prozent höhere Ausgaben aber nicht aus, meint Hackl. "Nicht nur der Handel muss Verantwortung übernehmen. Um Tierleid zu lindern, braucht es eine Verdoppelung des Fleischpreises." Ihm selbst gelinge dies, weil er sich in seiner Bio-Nische aus Marktmechanismen auskoppelte. "Könnte nicht ganz Österreich eine Nische in Europa sein?"

Köstingers Appell für teureres Fleisch sorgt nicht nur bei Konzernen wie Rewe und Spar für Unmut, sondern auch unter Agrarvertretern. Kritiker sprechen von Populismus, politische Anhänger von schlechten Beratern.

Fleischpreise werden von internationalen Börsen, von Angebot und Nachfrage auf den Weltmärkten getrieben. Auch ihm tue es weh, dass übermächtige Supermarktketten Preise diktierten und Lieferanten durch eigene Marken und Fleischwerke austauschbar machten, sagt Johann Schlederer, Chef der Schweinebörse. Ihnen die alleinige Schuld an der Spirale nach unten zu geben sei jedoch Unsinn.

"Millionen Zahnräder"

Nur ein Fünftel des in Österreich produzierten Frischfleisches setzt der Lebensmittelhandel ab. Der Rest geht in Exporte, Gastronomie, Hotellerie und Direktvermarktung. Verarbeitete Produkte miteingerechnet, fließt nur etwas mehr als die Hälfte direkt an Endverbraucher. 7,5 Millionen Schweine werden jährlich verarbeitet. 2,5 Millionen werden importiert – ebenso viele zerlegt exportiert. Gefragt sind in Österreich vor allem Edelteile.

Das Angebot an Schweinen in der EU übersteigt die Nachfrage gut um ein Fünftel. Der fehlende Absatz in der Gastronomie, die während der Pandemie geschlossen hielt, erhöht den Überschuss. Jedes sechste Tier landet in Drittstaaten. Schlächter und Verarbeiter regen Bauern zum Ausbau der Ställe an. Wer seine Stückkosten senken will, expandiert, kleine Betriebe geben auf. "Es ist ein Riesengetriebe, in dem Millionen Zahnräder ineinandergreifen", sagt Schlederer. Wer aus den Regelwerk des Binnenmarktes aussteigen wolle, müsse das Rad der Zeit zurückdrehen. "Wollen wir wieder eine staatlich verwaltete Volkswirtschaft?"

Sinkender Fleischkonsum?

Zu schaffen machen seiner Branche heuer um 30 bis 50 Prozent teurere Futtermittel, die China aufsaugt wie ein Schwamm. Zudem fluten die Deutschen, denen Exporte nach Asien aufgrund der Schweinepest verwehrt sind, Europa mit Fleisch. Österreichs Schweinebauern erhielten im Frühling für das Kilo Fleisch 1,67 Euro. Zieht dieser Preis um ein Drittel an, verdienen sie nur um ein Zehntel mehr als 2020. Zahlen Konsumenten um ein Drittel mehr, bedeutet das keineswegs höhere Erzeugerpreise, gibt Franz Sinabell, Agrarexperte des Wirtschaftsforschungsinstituts, zu bedenken. Der Fleischkonsum würde dadurch wohl sinken, was Klima und Gesundheit diene. "Es wäre aber ein massiver Eingriff in den Markt."

Sind die Schweiz oder Norwegen mit ihren hohen Lebensmittelpreisen ein Vorbild? Sinabell verneint. "Den Strukturwandel der Landwirtschaft hat dies nicht beeinflusst." Österreich sei besser beraten, sich im Sinne seiner Exportwirtschaft nicht abzuschotten.

Herkunftskennzeichnung

Welche Hebel gibt es, um das Sterben kleiner Rohstoffproduzenten zu bremsen? Österreich könnte die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel erhöhen. Beliebt macht sich die Politik damit freilich nicht. Die Regierung könnte bei der Herkunftskennzeichnung Nägel mit Köpfen machen und die Gastronomie wie Großküchen von dieser Pflicht nicht aussparen. Und sie könnte in der öffentlichen Verpflegung von Spitälern über Schulen bis Kasernen mit gutem Beispiel vorangehen.

Der Ball liegt auch bei Konsumenten. Spar und Rewe erinnern an die wachsende Zahl an Projekten rund um Bio und Tierwohl. Je stärker sie nachgefragt werden, desto mehr Landwirte wagen den kostspieligen Umstieg.

Spannungsfeld

Die Krise hat viele Österreicher jedoch hart getroffen. Wer von ihnen in Zeiten von hoher Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit einfordere, für Lebensmittel mehr auszugeben, verkenne die Realität. "Viele Menschen sind preissensibel. Es ist ein hartes Spannungsfeld", sagt Rewe-Sprecherin Ines Schurin. Preisaktionen für den Kunden bedeuteten zudem nicht per se, dass auch die Einkaufspreise gedrückt würden. Der Handel lebt von Mischkalkulation.

"Es geht hier um die üblichen politischen Verkürzungen und Schuldzuweisungen, bei einem Thema, das, wie jeder weiß, deutlich komplexer ist", resümiert Spar-Sprecherin Nicole Berkmann mit Blick auf Köstingers Kritik am Handel.

Milliarden an Förderungen

Wo landen die Milliarden Euro an Agrarförderungen, die in der EU jedes Jahr über die Landwirte ausgeschüttet werden? Sinabell sieht davon in Österreich unterm Strich weniger die Bauern als die Gesellschaft profitieren. "Ohne dieses Geld hätten wir keine bewirtschafteten Almen, weil sich das für Bergbauern ohne Subventionen nicht lohnt. Auch Biolebensmittel wären aufgrund der höheren Produktionskosten deutlich teurer." (Verena Kainrath, 23.5.2021)