Julia Gräfner (o. Mitte) als Melly, die den Diktator Hynkel imitiert.

Foto: Karelly Lamprecht

Als Charlie Chaplin 1940 seinen Film Der große Diktator über die Verwechslung zwischen einem jüdischen Friseur und Adolf Hitler ins Kino brachte, kannte er das Ausmaß der Vernichtungslager der Nazis nicht. Er hätte mit diesem Wissen nicht so mit Hitler, der bei ihm Hynkel heißt, umgehen können, sagte er später. Das gleichnamige Stück im Schauspielhaus Graz verwebt den Filmerfolg daher mit einem neuen Handlungsstrang.

Der hat Witz! Chaplins Grabstein steht zu dem Zweck auf der Bühne, von 1889 bis 1977 lebte der Komiker, das Geburtsjahr teilt er sich mit Hitler. Melly (Julia Gräfner) nähert sich, um Blumen niederzulegen. Die Chaplin-Imitatorin schluchzt und klebt ihr Bärtchen an. Sie trauert um das Idol und – wie wir gleich erfahren – wohl auch um die gescheiterte Karriere. Denn wer stört da? Es ist Marcel (Alexej Lochmann), ebenfalls Chaplin-Imitator. Einst sind sie als Duo aufgetreten: eine blöde Idee.

Amüsantes Gezanke

Ein amüsantes Gezanke beginnt. Sie streiten gerade über unterschiedliche Farbnuancen von Hitlers und Chaplins Bärtchen, als der Stein umfällt. Fliegerbomberlärm, Nebelwabern, Soldaten. Wir sind in den letzten Tagen des Ersten Weltkriegs und somit in Chaplins Film.

Anna Bergemann hat eine schwarze Riesenskulptur auf die Drehbühne gestellt. Mit Schrägen, Treppen, Durchgängen und Plateaus dient sie als Friseursalon und Führerhauptquartier, ist ideal für Verfolgungsjagden und Führerreden. Zu so einer hat sich Hynkels engste Führungsriege versammelt. Melly schlüpft flugs in die Rolle des Diktators. Die Antifaschistin kann kaum glauben, damit durchzukommen, dann steigt ihr die Macht zu Kopf.

Szenen-Best-of

Das ist eine Lehre, die Regisseurin Clara Weyde in den Abend packt. Vor allem aber rafft sie die Filmvorlage zu einem Szenen-Best-of, für das sie viele Filmpointen (Umhang, schusssicherer Anzug, Friseurstühle, Giftgas) zuspitzt. Doch einige sind neu, Sarah Sophia Meyer als Hynkels Sekretärin kann etwa den obligaten Gruß nicht mehr hören und schickt ihn halbherzig nach, wenn sie mit verführerischer Stimme das Telefon im Führerhauptquartier abhebt. Später wird sie mit einer Wurstkette (Kostüme Clemens Leander) behängt ein Spottlied über den Vegetarier Hynkel flöten. Ein ausgestopfter Bär wird als "Bärnsteinzimmer" vorbeigekarrt.

Als der jüdische Friseur sich am Ende als Hynkel ausgibt und die Rede von der Menschlichkeit aus dem Film hält, flüstern ihm die Gefolgsleute aktuelle rechte Schlagworte von "Stolz aufs Vaterland" bis "Umvolkung" zu. Doch der Klamauk überwiegt. Handwerklich sind die eindreiviertel Stunden fein gemacht, doch erhellend oder brisant ist die Bearbeitung heute, da wir viel mehr über jene Zeit wissen, nicht. (Michael Wurmitzer, 24.5.2021)