Ginge es nach ihr, würden auch alle nach Nazimitläufern und Antisemiten benannten Straßen in Salzburg umbenannt werden, sagt Hanna Feingold: "Wir brauchen keine Opportunisten als Vorbilder."

Foto: rose huber

Weltweit scheinen die Angriffe gegen Juden zuzunehmen. Allein in den vergangenen Wochen war von Übergriffen in Berlin und New York zu lesen, auch in Wien hörte man judenfeindliche Sprechchöre bei Demonstrationen für Palästinenser. Diese Stimmung spürt man auch in der Salzburger Kultusgemeinde, der Hanna Feingold vorsteht. Sie ist Nachfolgerin ihres 2019 verstorbenen Ehemanns Marko Feingold, nach dem nun ein Steg in Salzburg benannt wird. Eine Straße wäre ihr lieber gewesen, sagt seine Witwe dem STANDARD, aber sie akzeptiere die Entscheidung.

STANDARD: Am 27. Mai, einen Tag bevor Ihr Mann seinen 108. Geburtstag gefeiert hätte, wird der Makart-Steg offiziell zum Marko-Feingold-Steg. Sie haben immer gesagt, Sie hätten keine Freude mit einem Steg. Warum nicht, viel prominenter als die Verbindung zwischen linker und rechter Altstadt in Salzburg geht es doch gar nicht?

Feingold: Das ist schon richtig, aber wir schreiben doch gern etwas nieder. Eine Postadresse ist etwas, das man sehr oft bekanntgibt, man schreibt sie sehr oft nieder. Auch alle wichtigen offiziellen Schriftstücke bekommt man nicht per E-Mail, sondern an die Postadresse. Es wird wohl im Sprachgebrauche auch eine Zeit brauchen, bis der Makart-Steg zum Feingold-Steg wird; mir wäre eine kleine, feine Postadresse lieber gewesen.

STANDARD: In Diskussion für eine Feingold-Straße war die Churfürststraße in der linken Altstadt mit der juridischen Fakultät. Die Straße hat mit Ihrem Mann oder mit der Kultusgemeinde nichts zu tun. Wie ist man auf diesen Vorschlag gekommen?

Feingold: Es ist eine kleine Straße und ganz in der Nähe ist das Zentrum für jüdische Kulturgeschichte. Vor allem ist aber dort die juridische Fakultät, und wir hatten doch vergangenes Jahr 100 Jahre österreichische Bundesverfassung gefeiert. Autor war Hans Kelsen, der aus einer jüdischen Familie stammt.

STANDARD: Werden Sie trotzdem zum Festakt am 27. Mai kommen?

Feingold: Ja, ich habe zugesagt. Ich sehe das wie eine Wahl. Ich bin ja auch nicht mit jedem Wahlergebnis immer einverstanden. Das war eine politische Entscheidung, die Mehrheit war für den Steg, ich nehme es zur Kenntnis. Im Moment werde ich auch nicht auf eine Straße drängen, wir haben jetzt den Steg.

STANDARD: Der Name Feingold-Steg wird nur langsam sickern. Soll der Feingold-Steg auch irgendwie sonst ins Bewusstsein gebracht werden?

Feingold: So wie bisher die Universität immer wieder mit Ausstellungen am Steg präsent war, soll auch etwas mit dem Steg passieren. Ich habe schon mit der Kulturabteilung der Stadt gesprochen: Ich will aus dem Steg bewusst einen "Judensteg" machen. Die Leute sollen sehen, was die Juden Positives für Österreich gemacht haben. Man könnte zum Beispiel darlegen, was der Autor der Verfassung, Kelsen, geschaffen hat. Oder: Wir haben ja auch 20 Stolpersteine vor das Festspielhaus gelegt. Da sind Leute dabei, von denen wir alle keine Ahnung haben, was sie geleistet haben – auch für die Festspiele.

STANDARD: In unmittelbarer Nähe zur Synagoge gibt es die Stelzhamerstraße, beim jüdischen Friedhof die Valkenauerstraße. Der Heimatdichter Stelzhamer wie der Bildhauer Valkenauer mit seiner "Judensau" waren wilde Antisemiten. Soll man diese Straßen umbenennen?

Feingold: Am liebsten wäre mir, dass die ganzen Nazistraßen wegkommen. Wenn ich etwas zu sagen hätte, würde auch der Karajan-Platz bei den Festspielhäusern wieder wegkommen. Wir brauchen keine Opportunisten als Vorbilder. Stelzhamer und Valkenauer waren jetzt zwar keine Nazis, aber riesengroße Antisemiten. Ein kleines Beispiel: Würde man eine Straße gleich neben dem Dom nach einem Christenverfolger benennen? Wohl kaum. Die Juden aber müssen das aushalten, wenn da so ein Antisemit ist. Ich bin für eine Umbenennung.

STANDARD: Wir mussten 2020 in Österreich eine gewaltige Zunahme von antisemitischen Vorfällen verzeichnen. Spüren Sie im doch recht beschaulichen Salzburg etwas davon?

Feingold: Es ist im Moment relativ ruhig. Wir sind nicht so weit, dass wir tätlich angegriffen werden.

STANDARD: Die kleine Gemeinde lebt auch sehr zurückgezogen.

Feingold: Es gibt Leute in unserer kleinen Gemeinde – wir sind ja nur 70 Juden und Jüdinnen im Bundesland –, die wollen weder einen Brief mit dem Absender Kultusgemeinde noch mit dem Absender Feingold erhalten. Ein anderer wollte nicht, dass ich ihm bei der Suche nach einem Platz in einem Seniorenheim helfe. Er sagte: Frau Feingold, man kennt sie, dann weiß man auch, woher ich komme, ich will das nicht. Ja, viele Juden verstecken sich.

STANDARD: Haben bewaffnete Konflikte wie aktuell zwischen Israel und der Hamas – von der Polizeipräsenz vor der Synagoge abgesehen – Auswirkungen? Spüren Sie das in der Stimmung?

Feingold: Alle werden etwas vorsichtiger, man bleibt nicht mehr vor der Synagoge stehen und plaudert oder verabschiedet sich. Es werden nur noch Personen eingelassen, die sich angemeldet und einen Ausweis gescannt haben. Hier wird das "Verstecken" wieder zum Vorteil, man kennt "den Juden" nicht, der vielleicht im Nebenhaus wohnt. Vor ein paar Jahren, als sich jüdische Franzosen stark in Israel eingekauft haben, wurde gefragt, ob diese Stimmung wegzugehen auch in Salzburg herrscht. Ich verneinte, weil das bei unseren Zusammenkünften kein Thema war. Dann habe ich aber in der Gemeinde nachgefragt und war sehr erstaunt, dass es auch bei uns die Tendenz zum Weggehen gab und gibt. Die Frage ist: Soll man bleiben, soll man gehen, wann ist der richtige Zeitpunkt? Die Koffer sind auf jeden Fall schon wieder gepackt. (Thomas Neuhold, 25.5.2021)