Umfragen sind Momentaufnahmen die in puncto Gütekriterien Objektivität, Reliabilität und Validität oft sehr zu wünschen übrig lassen. Das bedeutet, dass diese hinsichtlich Kriterien wie der Unabhängigkeit von den Befragenden, der Genauigkeit der Messung und des Faktums, ob tatsächlich das erhoben wird (zum Beispiel Zustimmungswerte für einen Minister), was man untersuchen wollte, oder ob die Befragung ganz etwas anderes misst, deutliche Schwächen haben. Vollkommen “unkonfundierte“ Variablen werden wie bei wissenschaftlichen Experimenten eher schwer zu erheben sein und wirklich objektive Parameter gibt es in den Sozialwissenschaften selten. Es existiert immer ein gewisser Bias.

Ähnlich verhält es sich grundsätzlich mit Aussagen, die die Wirksamkeit von Maßnahmen betreffen. Um derartige Vorhersagen annähernd zuverlässig machen zu können, würde man experimentelle Bedingungen mit Elementen wie beispielsweise Versuchs- und Kontrollgruppen, Randomisierung oder Parallelisierung - die Liste ließe sich beliebig weiter fortführen - benötigen. Eine Simulation ist eben eine Simulation und kein Experiment und wir reden in der Wissenschaft - entschuldigen Sie die ausgelutschte und irreführende Formulierung - von Wahrscheinlichkeiten.

Umfragen sind nie ohne Bias.
Foto: AFP/JOHANNA GERON

Psychophysiologie: Die Objektivierung emotionaler und kognitiver Prozesse

Als Herzfrequenzvariabilität (HRV) wird die natürliche Variation der Zeit zwischen zwei aufeinanderfolgenden Herzschlägen bezeichnet. Es konnte festgestellt werden, dass bei komplexen Reaktionen wie Liebe, die mit der emotionalen Reaktion der Freude verbunden ist, eine messbare Synchronisation der Rhythmen von Herz und Atmung erfolgt. Die Balance zwischen Atmung und Herzschlag verschwindet jedoch bei Reaktionen wie Stress, Ärger oder Angst, die mit vermehrter Ausschüttung von Stresshormonen einhergehen. So dient die Untersuchung der HRV unter anderem als Objektivierung psychischer Prozesse. Derartige physiologische Indikatoren können helfen, differenzierte Prozesse wie Emotionen zu erheben.

Mithilfe psychophysiologischer Verfahren könnte man einerseits sozialwissenschaftliche Befragungen zu Stimmungen in der Bevölkerung durch die Vorgabe von Bildern von Politikern unter gleichzeitiger Messung von physiologischen Parametern erfassen, aber ebenso die wahren Emotionen von Politikern hinter dem oft gecoachten Verhalten herausfinden. Selbstverständlich wäre es mit einem wesentlich größeren Aufwand verbunden.

Im Video unten sehen Sie anhand einer beispielhaft genutzten "Columbo"-Folge, in welcher anhand einer physiologischen Messung während einer emotionalen Tat der Mörder am Ende überführt werden konnte, dass der eben diskutierte leitende Gedanke bereits wesentlich früher und populärer aufgegriffen worden und somit nicht neu ist.

Gary Feldman

Politik als konstruierte Wirklichkeit

Eine Interpretation der beschriebenen objektiven Erkenntnisse wäre spannend. Überlegen Sie, was Sie sagen würden, wenn Ihnen jemand erklärt, dass der Mann an der Spitze der von Ihnen präferierten Partei, nervös und unsicher ist und bei aller adretten Fassade und dem gepflegten Äußeren in Wahrheit nicht annähernd so selbstsicher und geerdet ist, wie es das öffentliche Bild verlangt. Oder dass der als resolut und gesellig geltende Parteiavatar mit Menschen eigentlich nicht viel am Hut hat, lieber in kleinen Gesellschaften verkehrt und sich nur für die Kameras mit vielen Menschen umgibt. Oder dass ausgerechnet die Politpersönlichkeit, die Ihnen aufgrund ihrer Direktheit imponiert, in Wirklichkeit hochsensibel ist und sich gerne alleine in der Natur aufhält, um sich von dem extrem Klischeebild, das es in der Öffentlichkeit zu verkörpern gilt, zu erholen.

Doch mit diesen Hintergrundinformationen kann man in der oberflächlichen Welt der Medien schwer Marken kreieren, die als Projektionsfläche für die Menschen dienen. Dank eines kreierten, öffentlichen Images stehen den Betreffenden gegebenenfalls Tür und Tor offen, sich glaubhaft als Opfer von Intrigen darzustellen, um bei möglichen Neuwahlen gar von einem Mitleidseffekt zu profitieren. Es erlaubt ihnen auch soziale Themen zu propagieren, die in ihrer eigenen Lebensrealität kaum Gewicht haben oder gar den Polit-Rambo zu markieren, den es in der Form eigentlich gar nicht gibt. Die Politik ist daher in erster Linie eine Projektion eigener Wünsche und Bedürfnisse wo differenzierte Persönlichkeitsdetails für die Spindoktoren von heute lediglich hinderliche Details wären, mit welchen keine eindimensionalen Marken geschaffen werden könnten, die man im Sinne der digitalen Informationsreduktion über alle Medienkanäle spielen kann. (Daniel Witzeling, 30.5.2021)

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