Tremé – der Name steht für Kulturgeschichte. In Tremé, dem ältesten schwarzen Viertel der USA in New Orleans, an das French Quarter mit seinen legendären Kneipenstraßen angrenzend, stand die Wiege des Jazz. Als der Sender HBO vor Jahren einen geeigneten Schauplatz suchte, um in einer Fernsehserie den schwierigen Neubeginn nach dem Hurrikan Katrina zu dokumentieren, fiel die Wahl auf Tremé.

Der Tod von George Floyd ist nur einer von vielen Hinweisen darauf, dass die USA ein Problem mit institutionalisiertem Rassismus haben,
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Unter Joe Biden könnte das Viertel nun zum Testfall für den Versuch später Fehlerkorrekturen werden. Eine Autobahn, die auf Stelzen quer durch Tremé verläuft, soll zurückgebaut werden.

Es ist ein Punkt des Infrastrukturpakets des Präsidenten. Vorläufig steht alles unter dem Vorbehalt, dass der Kongress in Washington noch nicht entschieden hat, wie groß das Paket ausfallen wird. Ob die Summe der Ausgaben auch nur annähernd die Marke von 2,3 Billionen Dollar erreicht, die dem Weißen Haus vorschwebt, ist ungewiss.

Wunde des Rassismus

Pete Buttigieg, einst Bürgermeister der krisengebeutelten Industriestadt South Bend, heute Verkehrsminister, hat jedenfalls deutlich gemacht, worum es bei der Causa Claiborne Expressway im Kern geht. In manche Autobahnprojekte des Landes, legt er den Finger in die Wunde, sei "buchstäblich, physisch" der Rassismus mit eingebaut. Tremé sei ein typischer Fall.

Diese Erblast, so Buttigieg, gelte es nach und nach abzutragen. Ben Crowther, Experte für Stadtplanung beim Congress for New Urbanism, einer Initiative, die sich für fußgängerfreundlichere urbane Zentren einsetzt, wertet die Worte als Beginn eines Umdenkens in den Regierungsetagen. "Es ist das erste Mal, dass ein Kabinett die Infrastruktur unserer Highways nicht nur durch die technische Brille sieht, sondern auch durch die soziale", sagt er.

Um zu verstehen, was Amerikas Autobahnen mit Diskriminierung zu tun haben, muss man mit Dwight Eisenhower beginnen, dem Präsidenten der 1950er Jahre, unter dem das Land mit einem dichten Netz sogenannter Interstates überzogen wurde. "Freie Fahrt für das Auto!", lautete die Devise, auch wenn es auf Kosten gewachsener Stadtstrukturen ging.

Schaffung von Problemzonen

In Detroit, in Baltimore, in New Orleans, im kalifornischen Oakland, in Syracuse, New York, und Richmond, Virginia: Überall wurden dafür Schneisen durch Wohngegenden geschlagen, in denen vor allem schwarze Amerikaner lebten. In Tremé traf es die Claiborne Avenue, eine Allee, die mit kleinen Läden, Restaurants und dem Fluidum einer Flaniermeile das Herz afroamerikanischen Geschäftslebens in New Orleans bildete. Rund 500 alte Eichen auf dem Mittelstreifen mussten Platz für Betonpfeiler machen. 1968 fertiggestellt, wirkte die Autobahn I-10, von den Anwohnern auch "das Monster" genannt, wie eine Barriere, die Tremé in zwei Teile teilte. Die Claiborne Avenue wurde zur Problemzone.

Nach Katrina, dem Bruch der Dämme in New Orleans, der verheerende Überschwemmungen und einen vorübergehenden Exodus zur Folge hatte, ging es zunächst um die dringlichsten Fragen des Wiederaufbaus. Erst später stand der Rückbau der I-10 auf der Tagesordnung.

2017 trat eine Bürgerinitiative auf den Plan, ein Bündnis von Anwohnern, Immobilienvermietern und Geschäftsleuten. Die Claiborne Avenue Alliance will erreichen, dass das Betonmonster verschwindet und wieder Bäume gepflanzt werden, sodass die alte Allee ein Comeback feiern kann.

Roosevelts problematische Politik

Neuerdings kämpft sie mit Unterstützung des Weißen Hauses: Biden hat sowohl politische Rückendeckung als auch die nötigen Finanzmittel zugesagt. Insgesamt sollen 20 Milliarden Dollar in Projekte fließen, die laut Infrastrukturplan Wohngebiete, die in der Vergangenheit auseinandergerissen wurden, wieder miteinander verbinden sollen.

Dass Betonschneisen gerade durch traditionell afroamerikanische Viertel geschlagen wurden, war kein Zufall, sondern die logische Konsequenz eines Denkens, das solchen Vierteln weniger Wert beimaß als denen, in denen mehrheitlich Weiße wohnten. Das wiederum hatte nicht zuletzt mit Franklin Delano Roosevelt zu tun, dem Präsidenten, der das Land mit dem New Deal, einer Serie ehrgeiziger Staatsprogramme, aus dem Tal der Weltwirtschaftskrise holte und der Biden bei seiner Staatsoffensive offensichtlich als Vorbild dient.

Um Wohneigentum zu fördern, ließ Roosevelt 1934 die Federal Housing Authority (FHA) gründen, eine Behörde, die zinsgünstige Kredite vergab beziehungsweise garantierte. Damit einher ging, auf Kosten schwarzer Amerikaner, die diskriminierende Praxis des "redlining". Stadtteile, in denen sich ethnische Minderheiten konzentrierten, wurden auf den Landkarten der FHA mit roten Linien markiert oder rot schraffiert und damit von vornherein als problematisch gekennzeichnet.

"Redlining"

In der Folge fand sich oft keine Bank, die potenziellen Hauskäufern mit dunkler Haut Geld geliehen hätte. Die Alternative waren windige Broker, die zwar Geld vorstreckten, aber den Grundbucheintrag verweigerten – und nur darauf warteten, dass Schuldner mit den Zahlungen in Verzug gerieten, worauf sie ihr gesamtes Eigenkapital einbüßten.

Antero Pietila, ein aus Finnland stammender Buchautor, der seit langem in Baltimore zu Hause ist, vergleicht das "redlining" mit einem Stigma. Einmal auf diese Weise gebrandmarkt, war ein Viertel oft der Stagnation preisgegeben, während die Wohnstädte der Weißen, nach dem Zweiten Weltkrieg zunehmend im Vorortgürtel angesiedelt, sowohl bei staatlichen als auch privaten Investitionen den Vorzug bekamen.

Als es an den Autobahnbau ging, waren es häufig die rot schraffierten Gebiete, den Immobilienwerten nach niedriger eingestuft, in denen die Abrissbagger anrückten. So wie an der Claiborne Avenue in New Orleans. (Frank Herrmann, 25.5.2021)