Eine 65-jährige Frau aus den Philippinen, niedergeschlagen am Times Square. Eine 52-Jährige, niedergestoßen vor einer Bäckerei in Queens. Ein 36-jähriger Mann, niedergestochen vor einem Gerichtsgebäude in Lower Manhattan. Eine 54-Jährige, mit einem Metallrohr ins Gesicht geschlagen in Chinatown. Eine 89-jährige Frau, in Brand gesetzt in Brooklyn. Die New Yorker Medien sind seit dem Ausbruch der Coronakrise voll mit Berichten von rassistisch motivierten Überfällen und Übergriffen auf New Yorker asiatischer Herkunft. Ungefähr 16 Prozent der New Yorker Bevölkerung sind Asiaten, sie sind über diese Zunahme gegen sie gerichteter Gewaltverbrechen entsetzt, fühlen sich bedroht, sind verängstigt und gleichzeitig zornig. “Keys, Wallet, Pepper Spray: The New Reality for Asian-Americans” – “Schlüssel, Geldbörse, Pfefferspray: Die neue Realität für asiatische Amerikaner“ - lautet eine Headline in der "New York Times".

Die Initiative „Stop AAPI Hate“, "Stoppt Asian American and Pacific Islander Hate", eine Organisation, die darauf abzielt, antiasiatische Diskriminierung inmitten der Pandemie zu bekämpfen, dokumentierte mehr als 3.800 gewalttätige, gegen Asiaten gerichtete Zwischenfälle in den Vereinigten Staaten im ersten Pandemiejahr. Diese Vorfälle reichten von verbalen und Online-Belästigungen bis hin zu schwersten Verletzungen. Bei einem Schussattentat in Atlanta wurden im März acht Menschen getötet, davon sechs Asiatinnen. In New York wurde laut des Center for the Study of Hate and Extremism der größte Anstieg an antiasiatischen Hassverbrechen im Vergleich zu anderen Großstädten verzeichnet. Berichte Betroffener gibt es genug.

„Es ist schmerzhaft, was wir gerade erleben“

Jennifer Chan, deren Familie aus Hongkong und dem südlichen China stammt, meint, dass sich New York im letzten Jahr für sie in einen dunkleren, bedrohlicheren Ort verwandelt habe. „Wenn ich die Kinder in die Schule bringe, frage ich mich, ob mir der Mann, der an uns vorbeigeht, mit der Faust ins Gesicht schlagen wird, oder ob mich die Frau hinter ihrer Maske für das Corona-Virus verantwortlich macht. Das macht Angst und traurig. Es ist schmerzhaft, was wir gerade erleben.“ Chan ist in Toronto aufgewachsen, lebt seit 15 Jahren in New York und liebt ihr Leben in der Stadt.

Im letzten Jahr hat sie zwei Zwischenfälle erlebt, die sie nicht loslassen. „Ich stieg in einen vollen U-Bahn-Wagon und sah, wie alle Passagiere vor mir zurückwichen, als ob sie Ekel empfinden würden. Und ich wusste, dass es daran lag, dass sie dachten, dass ich direkt aus Wuhan komme.“ Einen zweiten Zwischenfall erlebte sie am Nachhauseweg mit ihren kleinen Töchtern: „Beim Überqueren der Straße hat uns ein Mann mit dem Fahrrad den Weg abgeschnitten und uns rassistische Beleidigungen zugerufen. Ich bin nur froh, dass meine Töchter nicht verstanden haben, was passiert ist. Es war so nah an unserem Haus, direkt vor meinen Kindern! Gott sei Dank kam es nicht zu Gewalt.“ 

Rally am Union Square, 28. März. Von der Asian American Christian Collaborative organisiert.
Foto: Jennifer Chan

„Wir können nicht in der Nähe spielen, weil sie Chinesen sind"

Debbie Park, im Bundesstaat New Jersey aufgewachsene Tochter koreanischer Einwanderer, fährt aus Angst nicht mehr mit der U-Bahn. „Sie haben es vor allem auf kleine Frauen abgesehen. Ich fahre nur mehr mit dem Bus. Selbst die Buskarte kaufe ich nicht mehr in U-Bahn-Stationen“. Ein Freund wurde auf der Straße angespuckt und die Großmutter eines Schülers - Debbie ist Musiklehrerin - wurde im Stadtteil Queens angegriffen, festgehalten und zusammengeschlagen, erzählt sie. „Darüber wurde nicht einmal in den Nachrichten berichtet, weil solche Vorfälle momentan so häufig sind.“ Auch mit ihren Kindern habe es Zwischenfälle gegeben. „Wir können nicht in der Nähe spielen, weil sie Chinesen sind", überhörte sie in einem Park. Und wüste Beschimpfungen auf der Straße habe sie auch erlebt, als ihre sechsjährige Tochter bei heißem Wetter ohne Maske unterwegs war. „Andere Personen trugen auch keine Maske. Aber wir wurden beschimpft, weil wir Asiaten sind. Die Leute sagen so etwas aus Angst und Wut.“ 

Asian Hate Crime Task Force und Covid-19 Hate Crimes Act

Als Reaktion auf die Gewaltzunahme gegen asiatische Bürger hat die New Yorker Polizei eine Asian Hate Crime Task Force geschaffen, die erste Task Force, die sich der Untersuchung von Verbrechen widmet, die auf eine einzelne Bevölkerungsgruppe abzielen. Die 25 Kriminalbeamten asiatischer Abstammung, die insgesamt neun asiatische Sprachen sprechen, sollen die Opfer innerhalb des Justizsystems betreuen, von der Meldung eines Verbrechens bis hin zur Strafverfolgung. Die Task Force wird auch nach der Pandemie weiterbestehen bleiben.

Und Präsident Biden unterzeichnete den Covid-19 Hate Crimes Act, ein Gesetz zur effektiveren Bekämpfung von Hassverbrechen gegen asiatischstämmige Menschen in den Vereinigten Staaten. Es soll damit unter anderem eine schnellere Überprüfung von Hassverbrechen durch das Justizministerium gewährleistet und die Meldung solcher Straftaten erleichtert werden. "Dieser Gesetzentwurf bringt uns einen Schritt näher, um Hass zu stoppen, nicht nur gegen asiatische Amerikaner, sondern gegen alle Amerikaner", sagte Vizepräsidentin Harris bei der Unterzeichnung. Allerdings gäbe es noch viel zu tun, um Diskriminierung und Hass zu bekämpfen. "Es gibt Rassismus in Amerika", sagte sie. "Es gibt Fremdenfeindlichkeit in Amerika. Antisemitismus, Islamophobie, Homophobie, Transphobie, das alles gibt es."

In New York wurde Ende Mai gegen die Gewalt demonstriert.
Foto: REUTERS/Brendan McDermid

“Es ist wichtig, Freundschaften mit Menschen zu pflegen, die anders sind“

Chan hat sich intensiv mit der erhöhten Gewaltbereitschaft gegenüber Asiaten beschäftigt und engagiert sich zurzeit, ihre Umgebung zu sensibilisieren und auf die Problematik aufmerksam zu machen. Sie würde sich mehr Dialogbereitschaft und Neugierde wünschen, um Menschen anderer Herkunft besser zu verstehen. „Seien wir ehrlich, wir reduzieren die Menschen auf Stereotype, weil es bequem ist, oder weil wir intellektuell faul sind. Wenn jemand zu mir sagt, dass ich keine typische Asiatin sei, frage ich mich, was das heißen soll. Was ist ein typischer Asiat? Jemand, der indirekt, unergründlich oder introvertiert ist? Wir sollten neugierig sein, Fragen stellen und versuchen, kulturellen Einflüsse wie den Konfuzianismus zu verstehen.“ Sie meint, dass es wichtig sei, Freundschaften mit Menschen zu pflegen, die anders sind, und Beziehungen über Barrieren hinweg aufzubauen. „Das könnte unsere Gesellschaft potenziell heilen.“

Park meint, dass sie trotz allem mit ihrer Familie in der Stadt bleiben möchte, obwohl Gewalt und Kriminalität stark angestiegen sind. Intensiv sei es aber im Moment schon in New York. Es gefällt ihr, dass ihre Kinder an alles gewohnt seien, an Männer in Frauenkleidern oder Obdachlose. „Meine Kinder sind durch nichts zu erschüttern!“ Das Leben in New York ermögliche Begegnungen und Beziehungen mit Menschen unterschiedlichster Herkunft, was zum besseren Verständnis anderer ethnischer Gruppen beitrage. „Meine Kinder gehen in eine Schule, die eine starke, schwarze Schulleiterin hat, die sie bewundern. Sie haben hispanische Lehrer, die sie sehr schätzen, und sie haben innige Freundschaften mit Kindern aus der ganzen Welt geschlossen.“ Sogenannte DEI-Programme (Diversity, Equity and Inclusion), wie sie zur Zeit in Schulen im ganzen Land verwendet werde, seien großartig. „Aber am besten wird gelernt, wenn es ein natürlicher Prozess ist.“ 

Stand with us. Lincoln Center.
Foto: Stella Schuhmacher
We belong here. Lincoln Center.
Foto: Stella Schuhmacher

"We Belong Here" 

Auch Künstler machen auf die Gewaltzunahme aufmerksam. "We Belong Here" ist eine Serie von Kunstwerken der in Brooklyn lebenden multidisziplinären Künstlerin Amanda Phingbodhipakkiya. Die Installationen im Bereich des Lincoln Center, in dem sich unter anderem die Metropolitan Opera befindet, sollen eine Botschaft der Inklusion vermitteln und der Zunahme von Voreingenommenheit und Fremdenfeindlichkeit gegensteuern. Sie zeigen großformatige Illustrationen asiatischer Frauen und Senioren, zwei Gruppen, die besonders Ziel von Belästigung und Gewalt sind. "Ich möchte, dass asiatische Amerikaner und pazifische Inselbewohner, die am Lincoln Center vorbeigehen, wissen, dass es in dieser Stadt und in diesem Land Platz für unsere Brillanz, unsere Trauer, unser Lachen und unsere Geschichten gibt", sagt die Künstlerin.

We belong here. Fassade des David H. Koch Theater. Lincoln Center.
Foto: Stella Schuhmacher
We belong here. Lincoln Center.
Stella Schuhmacher

(Stella Schuhmacher, 2.6.2021)

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