Der französische Hersteller PIP hatte Brustimplantate mit industriellem Silikon befüllt und damit allein in einem Jahr 1,2 Millionen Euro eingespart.

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Tausende Frauen können nach jahrelangem Streit um Schadenersatz für mangelhafte Brustimplantate nun auf Entschädigungen hoffen. Das Berufungsgericht in Paris hat den TÜV Rheinland, der die Implantate der Firma Poly Implant (PIP) zertifiziert hatte, zu Schadenersatzzahlungen verdonnert. Das Unternehmen habe fahrlässig gehandelt, begründete das Gericht am Donnerstag sein Urteil.

Die Höhe und der Zeitpunkt der Entschädigungen müssen nach Angaben des Opferverbandes PIPA noch festgelegt werden. Es sei Schadensersatz von mehreren zehntausend Euro je Opfer beantragt worden, teilte PIPA mit. Eine Entscheidung werde im September erwartet. "Wir freuen uns über dieses Ergebnis, das den Zweifeln an der Verantwortung des TÜV endgültig ein Ende setzt", sagte Opfer-Rechtsanwalt Olivier Aumaitrer. "Nach zehn Jahren des Wartens und heftigen Kampfes muss der deutsche Zertifizierer die Opfer vollständig entschädigen."

Auch österreichische Frauen betroffen

Weltweit wurden Zehntausenden Frauen PIP-Implantate eingesetzt. Viele entschieden sich im Zuge des Skandals für eine operative Entfernung. Das jüngste Urteil könnte nun Auswirkungen auf tausende weitere Opfer von Großbritannien bis Lateinamerika haben. Aus Österreich hatte sich der Verein für Konsumenteninformation (VKI) den seit Jahren laufenden Verfahren im Namen von 69 betroffenen Frauen mit einer Sammelklage angeschlossen. Bereits im Februar hatte ein Berufungsgericht in Aix-en-Provence die Verantwortung des TÜV Rheinland festgestellt und 13.456 Klägerinnen vorläufig 3.000 Euro Schadenersatz zugesprochen.

Die Anwältin von TÜV Rheinland, Christelle Coslin, erklärte, die Entscheidung des Berufungsgerichtes stehe im Widerspruch zu der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom Februar 2017 und der Entscheidung des Berufungsgerichts Versailles vom Jänner 2021. In Versailles war das Gericht zu dem Schluss gekommen, dass der TÜV seinen Verpflichtungen nachgekommen sei. Der EuGH entschied, dass der TÜV nicht verpflichtet sei, unangemeldete Kontrollen vorzunehmen. Die Anwältin ergänzte, der TÜV Rheinland habe seine Aufgaben "stets verantwortungsvoll und im Einklang mit allen geltenden Vorschriften wahrgenommen." Zu keinem Zeitpunkt habe er im Rahmen seiner Tätigkeit für PIP Anhaltspunkte dafür vorgefunden, dass die Brustimplantate "möglicherweise nicht konform waren."

Industrielles Silikon

Von 2001 bis 2010 hatten mehr als 300.000 Frauen die mangelhaften Implantate erhalten, die mit industriellem Silikon befüllt waren. So hatte der französische Hersteller PIP Ermittlern zufolge allein in einem Jahr 1,2 Millionen Euro eingespart. Die Implantate wiesen überdurchschnittlich häufig Risse auf, Hinweise auf ein höheres Vorkommen von Brustkrebs fanden sich nicht. Etwa 15.000 Frauen hatten allein in Frankreich die Operationen wieder rückgängig machen lassen.

Bereits im Jahr 2013 hatte ein Gericht im südfranzösischen Toulon den TÜV Rheinland zu Schadenersatzzahlungen verdonnert. Jede Geschädigte sollte 3.000 Euro erhalten. Das Unternehmen hatte damals Berufung eingelegt. In einem weiteren Verfahren mussten sich der Chef von PIP, Jean-Claude Mas, und vier hochrangige Manager vor Gericht für den Skandal verantworten. Mas wurde wegen Betrugs zu vier Jahren Haft verurteilt. (APA, Reuters, 25.5.2021)