Früher hätte ich diesen Satz bedenkenlos niedergeschrieben: "Alle lieben Babyelefanten." Aber das war früher. Auch wenn natürlich jeder und jede weiß, dass der Babyelefant nichts für die Vereinnahmung seiner selbst kann, ist es eben so, dass Symbole oft das gleiche Schicksal haben wie Boten. Ist die Botschaft unangenehm, projiziert man das eigene Ungemach und die Ablehnung eben auf sie. Deshalb hat der Babyelefant mittlerweile ein Imageproblem. Das ist unfair, aber auch in meiner Welt Realität.

Jean Marie Welbes

Unfair war aber auch, dass es trotz nachgewiesener Ungefährlichkeit von Sport im Freien verboten war, im Rudel zu rennen.

Natürlich lehne ich es zutiefst ab, Stofftieren Gewalt anzutun (diesen Satz können Sie gern streichen, er ist nur der politischen Korrektheit geschuldet). Dennoch kann ich nachvollziehen, wieso der Frühlauftreff rollover Schönbrunn, der jeden Donnerstag um Punkt 6.30 Uhr mehrfach zur Gloriette hinaufführt, unlängst Babyelefanten-Voodoo zum Laufmotto erkor: Symbolischen Akten ist wesensimmanent, plakativ zu sein.

Jean Marie Welbes

Der Schönbrunner Morgenlauf ist gleichzeitig ein gutes und ein schlechtes Beispiel, um über Gruppenläufe zu sprechen.

Gut, weil er all jene Kriterien vereint, die ein "guter" Gruppenlauf braucht: Er ist offen für alle und kostet nichts. Er ist niederschwellig, für alle Lauflevel geeignet. Jede und jeder kann das eigene Tempo selbst bestimmen, und niemand maßt sich an, andere Läufer und Läuferinnen deshalb zu bewerten. Er hat jede Woche ein anderes Motto – und das motiviert, dabeizubleiben und wiederzukommen. Aber er hat auch ein konstantes Thema: Die Gruppe rennt, so oft es in einer halben Stunde geht, vom Schönbrunner "Parkett" zur Gloriette und wieder zurück. Das kann auch trainingstechnisch was.

Jean Marie Welbes

Wieso der "Rollover" auch ein schlechtes Beispiel ist? Nun: Genau genommen läuft man hier gar nicht in der Gruppe, sondern bloß ein gemeinsames Streckensegment.

Und wer Schönbrunn in der Früh kennt, weiß, dass dort an jedem Tag der Woche zu jeder Uhrzeit (wenn der Park halt offen ist) gelaufen wird. Auch auf den Serpentinen: Wenn auf denen zehn Leute mit eigenem Tempo unterwegs sind, löst sich die "Gruppe" sehr rasch auf. Wer nicht weiß, wer dazugehört, kann unmöglich sagen, wer Einzel- und wer Gruppenläufer, -läuferin ist: Wohl auch deshalb fanden die "Rollover"-Läufe schon vor der Relegalisierung statt. Jeder wusste es, niemanden störte es.

Auch deshalb illustrieren sie die Absurdität von Gruppenlaufverboten recht fein.

Jean Marie Welbes

Aber Gesetze sind eben Gesetze. Sie gelten auch, wenn sie unlogisch sind oder nicht in den persönlichen Kram passen (wir reden von Freizeitspaß, nicht vom Niederknüppeln von Oppositionellen). Während man da bei sich selbst generierenden und lose laufenden Gruppen leicht wegschauen konnte, ist das bei anders organisierten Läufen nicht möglich. Schon gar nicht, wenn das Mastermind dahinter Jurist ist und sich genau deshalb weder rausreden kann noch will: Der Weekly Longrun (WLR), den der Wiener Rechtsanwalt Stefan Langer seit mehreren Jahren "pro bono" koordiniert, fand deshalb vergangenes Wochenende zum ersten Mal wieder statt. Und so viele grinsende Läufer, sagt Langer, hätten er und seine "Guides" da schon lange nicht mehr gesehen.

Stefan Langer

Und das, obwohl sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieser – laut Eigendefinition – "größten Longrunveranstaltung Wiens" noch nicht so frei bewegen können wie früher: Da traf man einander am Sonntag um halb neun Uhr morgens im "We Move"-Runningstore, bunkerte Wechselgewand ebendort und lief dann gemeinsam, aber in Tempogruppen aufgeteilt, los. Verkauft, das nur nebenbei, wurde bei diesem Treff nie – dass der Lauf für den Laden enormen PR-Wert hat, ist aber unbestritten.

Für den oder die Einzelne ging und geht es aber um etwas anderes: Trainingstechnisch sind "Longruns" so etwas wie das Fundament der Langstreckenläufe. Hier zeigt man dem Körper (oder der Körper dem Kopf), dass man in gemächlichem Tempo und locker "endlos" unterwegs sein kann.

In der Gruppe geht das am besten: zum einen, weil Schönes schöner wird, wenn man es teilt. Zum anderen aber auch, weil eine Gruppe diszipliniert unterwegs sein muss, um zu funktionieren. Beim Laufen heißt das: Das Tempo halten.

Stefan Langer

Bis zu 80 Läuferinnen und Läufer sind beim "WLR" Woche für Woche dabei. Natürlich ist das auch ein soziales Ding: Man trifft einander vorher (und nachher) zum Quatschen im Laden und findet in den Gruppen gleichgestrickte neue Freunde. Derzeit eben eingeschränkt: Die gelockerten Covid-Auflagen gestatten Gruppengrößen bis zu zehn Personen. Um eine Durchmischung zu vermeiden, treffen sich die einzelnen Tempogruppen bis auf weiteres an unterschiedlichen Orten. Um genügend Pacerinnen oder Pacer einteilen zu können, wird um Voranmeldung gebeten.

Und weil ein langer Lauf in der Woche nicht genug ist, organisieren sich im WLR-Umfeld auch andere Gruppenrennereien: Soeben wieder angesagt sind etwa eine "Tram-Challenge", bei der man Wiener Straßenbahnstrecken abläuft und danach Eis essen geht. Oder eine (halbprivate) Hügelintervall-Morgenlaufgruppe im Belvedere.

Christine Esslbauer

Die größte Laufcommunity der Stadt (und wohl auch Österreichs) koordiniert aber jemand anderer: Ilse Dippmann, die Erfinderin des Österreichischen Frauenlaufes. Der hätte ja ungefähr jetzt stattfinden sollen, wurde aber auf den 3. Oktober verlegt.

Dass da innerhalb von drei oder vier Wochen quasi weltweit alle "großen" Events steigen, ist zwar ein bisserl blöd – aber irgendwie auch nachvollziehbar. Und ein anderes Thema.

Denn hier und heute geht es um Gruppenläufe. Für jedermann – oder, in diesem Fall eben, jederfrau: Gerade für Einsteigerinnen ist das oft angenehmer.

Thomas Rottenberg

Falls das für Sie persönlich oder in Ihrem Umfeld nicht so ist, heißt das lediglich eines: Sie ticken eben anders als jene, die "gegendertes" Laufen schätzen. Und das sind gar nicht wenige. Nicht nur was den Bewerb (über 35.000 Teilnehmerinnen), sondern auch was das Training angeht.

Das ist nämlich eines jener "Features", die den Frauenlauf auszeichnen: Es gibt nach Leistungsniveau und Ziel (es gibt ja einen Fünf- und einen Zehn-Kilometer-Bewerb) gestaffelte Trainingsgruppen. Gefühlt sind es 1.000. Nicht nur in Wien, sondern in ganz Österreich. Am bekanntesten sind da die Kohorten Mittwochabend auf der Hauptallee. Zu beobachten, wie manche Männer nicht damit umgehen können, von Frauen überholt zu werden, ist einerseits mitunter lustig. Andererseits erklärt es, wieso es wichtig und richtig ist, dass es solche Läufe gibt.

Thomas Rottenberg

Natürlich gibt es noch eine Million anderer organisierter Gruppenläufe. Fast alle sind gratis. Wie und wo man sie findet? Am einfachsten über diverse soziale Netze. Oder über einschlägige Labels. Am bekanntesten und besten organisiert sind vermutlich die Adidas Runners. Offen für alle sind aber auch Läufe wie jene, die Werner Mairl mit Trailrunning Vienna oder Wolga Gasdager mit seinen Laufvagabunden anbietet. Oder die Trailläufe, die mein Freund Ed Kramer mit seinem Kumpel Christian Hermann als Trailrockers jetzt auch wieder veranstaltet.

Das geht jetzt wieder. Und das tut verdammt gut.

Stefan Langer

Manchmal tut gemeinsam Laufen aber nicht nur gut, sondern ist sogar eine gute, sinnvolle Tat. Etwa wenn man dem Gerenne Tempo nimmt, aber Zweck gibt.

Ein Beispiel wäre "Plogging". In Skandinavien sind Begriff und Aktivität längst etabliert: Man läuft und sammelt den Dreck ein, den andere zurückgelassen haben.

In Österreich gibt es derartige "Events" mittlerweile auch – aber eben nur, wenn es erlaubt ist. Am 22. Mai etwa, am "World Plogging Day", luden die Greenheroes Austria an die Neue Donau: Man konnte sich fünf oder zehn Kilometer vornehmen. Zuerst lief man eine Hälfte der Strecke – und "sammelte" sich dann zurück zum Start.

Adrian Almasan

Die 15 TeilnehmerInnen lieferten dabei fast 40 Kilo Dreck ab: Unter anderem Aludosen, Glas- und PET-Flaschen – und 2.500 Tschickstummel. Allein an einem fünf Kilometer langen Uferstreifen – obwohl die MA 48 hier ohnehin ständig putzt.

(Im Wasser ist es übrigens auch nicht besser: Solange die Algen noch nicht wuchern, sieht man in der Neuen Donau, was alles in Wurfweite am Grund herumliegt. Nur kommen die PloggerInnen dort halt nicht hin.)

Adrian Almasan

Dass die vollen Müllsäcke am Ende solcher "Läufe" ein Armutszeugnis sind, dass sie wütend und traurig machen, schließt den Kreis zum Babyelefanten-Voodoo zu Beginn: Keiner, die dem Stofftier Nadeln reinsteckten, wollte einem Tier Leid zufügen.

Der Babyelefant hat ja auch keinem was getan. Beim Müllsack-Voodoo aber diejenigen, die ihren Dreck liegen lassen, die Pikser spüren zu lassen, würde mich nicht wirklich stören.

Doch weil man so nur lernt, Menschen nicht zu mögen, mach ich lieber was anderes als Voodoo: Ich gehe laufen.

Mit einer Gruppe. Weil es schön ist, wieder unter Menschen zu sein. (Thomas Rottenberg 25.5.2021)

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Adrian Almasan