Für europäische Verhältnisse zeugte die Reaktion der EU auf die Flugzeugentführung durch das Militär von Belarus und die Festnahme eines oppositionellen Journalisten von seltener Entschlossenheit. Allerdings gehen Kommentatoren nicht davon aus, dass die Sperre der EU-Flugverbindungen nach Minsk und der Stopp aller Neuinvestitionen Diktator Alexander Lukaschenko beeindrucken werden; er will den Widerstand gegen sein Regime mit allen Mitteln brechen.

Diktator Alexander Lukaschenko will den Widerstand gegen sein Regime mit allen Mitteln brechen.
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Die EU hätte noch einige Pfeile im Köcher und könnte etwa umfassende Handelssanktionen gegen Belarus erlassen; das würde österreichische Unternehmen hart treffen. Aber selbst ein Kollaps der Wirtschaft seines Landes würde Lukaschenko nicht von seinem Kurs der Repression abbringen. Die zivilen Waffen der EU sind letztlich begrenzt.

Daher stellt sich die Frage, ob diese Krise nicht auf die Ebene der Nato gehoben werden müsste, wo die USA gemeinsam mit ihren Verbündeten handeln könnten. Die Zwangslandung der Ryanair-Maschine in Minsk kann als Kriegshandlung gegen Griechenland und Litauen, die Abflugs- und Ankunftsländer des Fluges, gewertet werden; beides sind Nato-Mitglieder.

Natürlich will niemand einen Krieg anzetteln, aber die Nato könnte mit US-Unterstützung etwa eine Flugverbotszone rund um Belarus errichten, um das Land noch weiter zu isolieren. Da auch die Ukraine offenbar bereit ist mitzumachen, wäre das Land nur noch von Russland aus erreichbar.

Es geht hier nicht nur um Lukaschenkos Herrschaft oder das Schicksal des Oppositionellen Roman Protassewitsch, dem in seiner Heimat Folter, jahrelange Haft und sogar die Todesstrafe drohen. Die Glaubwürdigkeit des Westens und der internationalen Ordnung steht auf dem Spiel.

Abschreckung

Lukaschenko handelt so, weil ihm die Abschreckung seiner Gegner wichtiger ist als seine Reputation im Westen – und er überzeugt ist, straflos davonzukommen. Er tritt damit in die Fußstapfen seines Beschützers Wladimir Putin, der seine Gegner seit Jahren auf ausländischem Boden verfolgt. Auch China hat es sich zur Praxis gemacht, Dissidenten im Ausland zu entführen. Wenn Oppositionelle nicht einmal mehr in der Luft sicher sind, dann bricht eine weitere Schranke für Diktatoren ein. Der Schutz von Regimegegnern ist das Mindeste, das westliche Demokratien leisten müssen, um die universelle Geltung von Menschenrechten abzusichern.

Lukaschenko ist das schwächste Glied in der Kette der Autokraten – von Peking über Moskau bis Ankara und weiter. Deshalb bietet seine dreiste Tat dem Westen eine Gelegenheit, jene rote Linie zu ziehen, die in der Vergangenheit allzu oft ausgeblieben ist – nicht nur in Syrien, auch in der Ukraine. Dieses Zögern war im Einzelfall gut begründet, hat aber die demokratische Welt und das Prinzip der Demokratie geschwächt.

Ist Lukaschenko doch noch genötigt, Protassewitsch freizulassen, wäre dies ein Signal an die mächtigeren Autokraten, dass es Grenzen für ihre Willkür gibt. Gerade die Einbindung der Ukraine in eine Nato-Aktion würde Putin zeigen, dass seine ständigen Muskelspiele gegenüber Kiew Russlands Interessen letztlich nicht dienen. Aber auch der Westen, vor allem die USA, muss dem Völkerrecht wieder mehr Respekt entgegenbringen. Lukaschenko zeigt, wohin die Missachtung von globalen Regeln führen kann. (Eric Frey, 25.5.2021)