Die Wiener Philharmoniker verwandelten unter Daniel Harding das Konzerthaus in ein gigantisches Klanggemälde.

Foto: APA/AFP/LUDOVIC MARIN

Wie im Flug verging die erste Woche, in der wieder Musik im Konzertsaal und unter Menschen gespielt werden durfte. Die Wiener Philharmoniker wählten für ihr erstes Konzert nach dem Kultur-Lockdown das Adagio aus Mahlers unvollendeter Zehnter sowie – die unter Mahler selbst uraufgeführte – erste Symphonie.

Schon der Titel "Titan" lässt erahnen, dass Mahler hier Großes zu Papier gebracht hat zwischen Momenten ekstatischer Erfüllung, schwindelerregenden Höhen und durchdringenden Tiefen. Dabei verwandelten die Wiener Philharmoniker unter Daniel Harding das Konzerthaus in ein gigantisches Klanggemälde. Schon der Beginn des ersten Satzes ging durch Mark und Bein, als sich über dem hohen Flageolett der Streicher ganz langsam Intervalle, Motivfetzen und Figuren aufbauten. Die Bläser zauberten dabei die schönsten Klänge in den Raum, wenn aus der Ferne die Fanfaren tönen und der Kuckuck ruft.

Zeit, sich zu entfalten

Harding ließ der Musik Zeit, sich zu entfalten. Umso beeindruckender gelang es ihm, die Spannung bis zum "Big Bang" aufzubauen. Auf einen hinreißenden Walzer, garniert mit einem deftigen Trio, folgte der dritte, vielleicht schönste Satz der Ersten, bei dem sich unter gespenstisch-makabren Klängen des Bruder-Jakob-Kanons Klezmer-, Polka- und Zirkusmusik mischten. Im Finalsatz gab Harding dem Orchester volle Fahrt zur Kraftentfaltung, ganz ohne Pathos. Ein Meer der Klänge und Farben gestaltete Daniel Harding im Adagio aus Mahlers Zehnter. Liebe, Sehnsucht, Schmerz und Wut, alles klingt hier so schön, dass es wehtut. (Miriam Damev, 26.5.2021)