Dass er Frauen wie Objekte darstelle, dieser Vorwurf wird Araki immer wieder gemacht. Es geht auch anders: hier sein Bild von Künstlerkollegin Yayoi Kusama.

Foto: Nobuyoshi Araki, Fotosammlung Ostlicht, 1989

Sein Name ist mit Bondage- und Sexbildern, mit Aufnahmen aus Tokioter Rotlichtvierteln oder von weiblichen Genitalien verbunden. Zumindest in unseren Breitengraden. Seitdem sich Nobuyoshi Araki über den Umweg Graz (Forum Stadtpark, 1991) und Wien (Secession, 1997) auch im Westen einen Namen gemacht hat und vor allem seitdem der deutsche Taschen-Verlag Araki-Bücher in sein Sortiment aufgenommen hat, wird der japanische Fotograf am Schnittpunkt von Kunst und Pornografie verortet. Zu Unrecht, wie jetzt gleich drei Wiener Ausstellungen eindrucksvoll aufzeigen.

Akte und Aufnahmen des Geschlechtsakts sind bei Araki ein Thema unter vielen und fügen sich in ein Werk, dessen Komplexität leider allzu oft übersehen wird. Die Frage nach Wahrheit oder Fiktion spielt darin genauso eine Rolle wie jene nach Tod und Vergänglichkeit. Straßenansichten von Tokio verschränken sich mit Aufnahmen der geliebten Katze Chiro. Blumenarrangements wechseln sich mit Essensbildern ab. Araki kommt das Verdienst zu, unter dem Label "Ich-Fotografie" eine Tradition in der Fotografie mitbegründet zu haben, die bis heute bei Juergen Teller oder Terry Richardson fröhliche Urstände feiert. Um nur einige wenige Jünger zu nennen.

Radikal subjektive Sichtweise

Araki war es, der beginnend in den 1970er-Jahren eine radikal subjektive Sichtweise in der Fotografie propagierte und damit eine Haltung aufs Podest hob, die später genau so von Feministinnen bis hin zu all den Instagrammern von heute eingenommen wurde. Mit den Worten "Ich kann es nicht mehr ertragen" beginnt das Manifest, das Araki seinem Opus magnum Sentimental Journey voranstellte.

1971 war das. Araki arbeitete damals noch in einer Tokioter Werbeagentur und schoss Fotos im Stile der neorealistischen Filme eines Vittorio de Sica. Als er mit seiner Frau Yoko in die Flitterwochen aufbrach, hatte er auch eine Kamera im Gepäck – und schoss in fünf Tagen jene Bilder, die bis heute den Grundstock seines Œuvres bilden: Bilder von sich und Yoko beim Sex, beiläufige Stillleben, Alltagsszenerien, verhuschte Landschaftsaufnahmen: der Anfang eines sogenannten "Ich-Romans", an dessen Fortschreibung Araki bis heute arbeitet. Was dabei wahr und was erfunden ist, das ist das Ergebnis eines immer wieder neu austarierten Spiels. Genauso wie Araki mit der Selbstzensur seiner sexuellen Bilder die berüchtigte japanische Zensur austricksen wollte, führt er mit gefälschten Datumsangaben oder falschen Kontextualisierungen auch die Betrachter hinters Licht. Ein Meister der falschen Fährten, der in der Fortsetzung seiner Sentimentalen Reise 20 Jahre nach den Flitterwochen aber jegliche Ironie fallen lässt.

Nobuyoshi Arakis "Selbstporträt mit Yoko" von 1991 in der Albertina. In der Arbeit beschäftigt er sich mit Krankheit und Tod seiner Frau.
Foto: Nobuyoshi Araki

Der letzte Händedruck

Sentimentale Reise: Winterreise hat die Krankheit und den Tod von Arakis damals 42-jähriger Frau Yoko zum Gegenstand und bildet in der Albertina Modern den Höhepunkt der drei Wiener Ausstellungen zum 80. Geburtstag des Fotografen. Die Serie enthält einige geradezu ikonische Aufnahmen: der letzte Händedruck des Paares, das umstrittene Bild von Yokos offenem Sarg, der Schnappschuss von Katze Chiro im Schnee.

So beiläufig die Bilder im typischen Araki-Schwarz-Weiß und in den radikalen Anschnitten daherkommen, so aufgeladen sind sie mit Bedeutung. Ein Umstand, der durch die kurzen, lapidaren Texte zu den Fotos verstärkt und durch die Hängung im Untergeschoß der Albertina Modern akzentuiert wird. Allein der Raum, der die Sentimental Journeys zeigt (die dritte Serie dreht sich um den Tod von Chiro), ist einen Besuch in der von Walter Moser kuratierten Albertina-Ausstellung wert.

"Selbstportät mit Jamorinsky" von 1991 in der Galerie Westlicht.
Foto: Nobuyoshi Araki

Rau, ungeschlacht, obszön

Man tut aber gut daran, auch im Westlicht im siebenten Bezirk und im Ostlicht im Zehnten vorbeizuschauen. In den Araki-Schauen von Leiter Peter Coeln (ihn verbindet eine lange Beziehung zum Fotografen) geht es nicht so schön gerahmt und aufgeräumt zu wie in der Albertina, die Auswahl ist weniger kunstgeschichtlich motiviert, die Bilder rauer und ungeschlacht. In den beiden Galerien zeigt man Arakis Fotobücher (über 300 Stück!) und mit ihnen einen Querschnitt durch sein überbordendes Werk. Da trifft man auf die Nackten und Geschnürten, die schlüpfrigen Zungen und verwelkten Blumen, die Himmelsbilder und Straßenporträts, und man ist ein ums andere Mal erstaunt, wie zeitgenössisch und vital diese Fotografie noch immer ist.

Die Grenzen zwischen Autor und Erzähler hat Araki verwischt, die Frage, ob das nun Kunst oder das Leben sei, für obsolet erklärt. Recht viel mehr kann Fotografie nicht leisten. (Stephan Hilpold, 26.5.2021)