Stephanie Resch wollte ihre Ruhe. Als DER STANDARD sie im Oktober 2020 kontaktiert hatte, um über die Schattenseiten des Sports zu sprechen, bat die Skirennläuferin um Verständnis und Zeit. Eine Woche vor Beginn der Weltcupsaison war die Salzburgerin beim Training in Sölden zu Sturz gekommen. Das Kreuzband und der Meniskus hielten den einwirkenden Kräften nicht stand. Ein halbes Jahr später meldet sich die 25-jährige Riesentorlaufspezialistin zurück.

Aufhören oder weitermachen? Stephanie Resch nutzte ihre Verletzungspause für einen Nachdenkprozess.
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STANDARD: Warum wollten Sie vergangenen Oktober nicht reden?

Resch: Kurzzeitig ist meine Welt zusammengebrochen. Ich wollte niemanden sehen, ich wollte vom Skifahren nichts mehr hören. Ich dachte, jetzt ist alles kaputt, alles vorbei.

STANDARD: Ist die mentale Herausforderung nach einem Sturz größer als die körperliche?

Resch: Wenn man so knapp vor Saisonbeginn ausfällt, ist es doppelt hart. Ich hatte den ganzen Sommer auf das erste Rennen hingearbeitet – und plötzlich steht die Welt still.

STANDARD: Wie gehen Sie mit so einer Situation um?

Resch: Es ist nicht einfach. Der Skisport ist an sich schon schnelllebig. Kommt eine Verletzung dazu, ist das ein Schlag ins Gesicht. Ich durfte mein Bein sechs Wochen nicht belasten. Auf der Couch hat man viel Zeit zum Nachdenken.

STANDARD: Ist Ihnen der Gedanke gekommen, alles hinzuschmeißen?

Resch: Nach meinem Sturz konnte ich kein Rennen verfolgen, keinen Sturz mehr sehen, ohne zu weinen. Ich dachte, vielleicht ist das ein Zeichen. Ein Zeichen, dass ich aufhören muss. Weil die Angst mitspielt.

Im Oktober 2015 fuhr Stephanie Resch als 19-Jährige ihr erstes Weltcuprennen, im Jänner 2017 sammelte sie im Riesentorlauf von Maribor als 26. ihre ersten Punkte. Der Durchbruch? Nein. Kurz darauf zieht sich die ÖSV-Läuferin bei einem Europacupslalom in der Schweiz ihren ersten Kreuzbandriss zu.

Seit ihrem Debüt konnte Resch nur 15 Weltcuprennen absolvieren. Immer wieder wird sie von Verletzungen zurückgeworfen. Als sie 2018 in Sölden bei widrigen Verhältnissen mit der Startnummer 49 auf den 19. Rang fährt, scheint der Bann gebrochen. Doch rätselhafte und chronische Schmerzen an den Schienbeinen treiben sie an den Rand der Verzweiflung.

Schon beim nächsten Rennen in den USA werden die Schmerzen mit jedem Training auf der unruhigen Piste schlimmer. Resch kann nicht mehr an ihre Leistungsgrenze gehen. Mehr als zwei Jahre lang suchen Ärzte, Physiotherapeuten und Skischuhspezialistin vergeblich nach einer Lösung. Rennen kann sie kaum oder gar nicht mehr bestreiten.

Resch 2016 beim Riesentorlauf von Sölden in Schräglage.
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STANDARD: Was hatte es mit den Schienbeinen auf sich?

Resch: Ich hatte immer Schmerzen, konnte zum Schluss kaum einen Trainingstag auf Schnee absolvieren. Wenn man im Starthaus steht und weiß, dass es wehtun wird, entwickelt der Körper eine Abwehrhaltung.

STANDARD: Lässt sich der Schmerz zwischendurch ausblenden?

Resch: Man versucht sich einzureden, dass man keinen Schmerz spüren wird. Dass alles gut sein wird. Aber man kann sich nicht belügen. Den Schmerz kann man nicht schönreden.

STANDARD: Wie sah Ihre Gefühlswelt damals aus?

Resch: Ich war wütend. Ich bin hunderte Kilometer von Therapeuten zu Orthopäden gefahren. Und ich bekam keine hilfreiche Diagnose. Da staut sich vieles auf. Ich wollte in keinem Auto mehr sitzen, ich wollte nicht mehr aufstehen.

STANDARD: Das hört sich nicht gut an.

Resch: Nein, nach einem Kreuzbandriss hat man zumindest einen genauen Plan für die Reha. Aber da habe ich lange Zeit keinen Ausweg gesehen, es war keine Lösung in Sicht. Das hat mich belastet. Ich fühlte mich ausgebrannt.

STANDARD: Warum haben Sie trotzdem weitergemacht?

Resch: Irgendwann habe ich die Schmerzen mit einer speziellen Therapie und einem Markenwechsel in den Griff bekommen. Ab da ging es wieder bergauf. Also zurück an den Start.

Resch stammt aus einer Unternehmerfamilie, ihre Eltern betreiben ein Autohaus in Strobl am Wolfgangsee. Stephanie ist eines von vier Kindern. Ihre ältere Schwester und ihre jüngeren Zwillingsbrüder probierten sich ebenfalls im Skirennsport. Vater Bernhard und Mutter Christina waren dahinter, unterstützten den Nachwuchs, wo es ging.

Mit drei Jahren steht Stephanie zum ersten Mal auf den Ski. Sie ist kein Naturtalent, muss sich alles erarbeiten. An der Skiakademie Schladming wird sie – im Gegensatz zu ihrer Schwester – zunächst abgelehnt. Die Eltern finanzieren einen Privattrainer. Erst als die Flachgauerin Fis-Rennen bestreitet, wird sie im Salzburger Landesverband aufgenommen.

Die Skikarrieren der Geschwister gehen den Weg jenseits von Glanz und Gloria. Die Schwester verletzt sich, die Brüder verlässt der Spaß. Ausgerechnet Stephanie, der man in jungen Jahren kaum eine Laufbahn als Rennläuferin zugetraut hatte, schafft den Sprung in den Weltcup.

Resch: "Als Kind träumt man von Erfolgen. Ich bin froh, dass ich damals nicht gewusst habe, was auf mich zukommt."
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STANDARD: Weshalb wurde Ihre Leistungsfähigkeit unterschätzt?

Resch: Ich war körperlich noch nicht so weit entwickelt wie andere. Darauf wird keine Rücksicht genommen, am Ende der Saison stehen die Ergebnisse am Papier. Ich war sehr klein, manchmal zu feig.

STANDARD: Hat es am nötigen Selbstvertrauen gefehlt?

Resch: Wenn mir früher jemand im Startbereich gesagt hat, dass ich zur Seite gehen soll, hatte ich ein schlechtes Gewissen, dass ich dort gestanden bin. Mit den Jahren ist das Selbstbewusstsein gekommen.

STANDARD: Welche Wunschvorstellungen haben Sie als Kind begleitet?

Resch: Als Kind träumt man von Erfolgen. Man weiß nicht, was dahintersteckt. Ich bin froh, dass ich damals nicht gewusst habe, was auf mich zukommt.

STANDARD: Sie sprechen von Verletzungen.

Resch: Nicht nur. Du vergleichst dich jeden Tag mit den anderen. Man muss liefern. Und liefert man nicht, wird der Druck größer. Das kennen andere Jugendliche in dieser Form nicht. Die gehen weg und können sich ausschlafen.

STANDARD: Würden Sie Ihrem jüngeren Ich von einer Skikarriere abraten?

Resch: Nein, ich habe viel erlebt. Ich könnte eine Weltreise machen und überall wen besuchen. Ich lebe meinen Traum – aber noch nicht so erfolgreich, wie ich mir das wünsche.

Der Österreichische Skiverband (ÖSV) lässt Resch trotz der fehlenden Erfolge nicht fallen. Einerseits drängen keine Massen an jungen Fahrerinnen nach, andererseits glaubt man an die Fähigkeiten der Salzburgerin. Als Resch in Sölden 2018 ihr bestes Ergebnis einfährt, fehlt nicht viel auf Katharina Liensberger.

Seither haben sich die Karrieren der beiden ÖSV-Läuferinnen unterschiedlich entwickelt. Liensberger krönte sich in Cortina 2021 zur Doppelweltmeisterin, Resch fuhr im März 2019 ihr bisher letztes Rennen. Damals wurde sie bei den österreichischen Meisterschaften im Riesentorlauf Sechste.

Seither ist verletzungsbedingt Sendepause. Das wirft existenzielle Fragen auf. Keine Rennen, keine Ergebnisse, also kaum Sponsoren. Seit 2016 ist Resch Heeressportlerin. Das bedeutet eine gewisse Absicherung, ist aber keine Dauerlösung. Die Zeit wird knapp, Erfolge müssen her.

Resch ist zurück auf der Piste und trainiert auf dem Kitzsteinhorn.
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STANDARD: Machen Sie sich darüber Gedanken, dass die Karriere an einem seidenen Faden hängt?

Resch: Das ist mir bewusst. Es ist ein schmaler Grat zwischen Erfolg und Misserfolg. Wenn ich mich verletze, kann ich keine Leistung zeigen. Dann kann ich kein Geld verdienen. Irgendwann wird es dann schwierig.

STANDARD: Sie haben Ihre Familie als Background.

Resch: Ich habe oft gehört, dass ich mir keine Sorgen machen müsste. Es ist nicht mein Anspruch, von den Eltern zu leben. Ich will nicht abhängig sein, ich will etwas auf die Beine stellen. Geschenktes Geld ist nicht so wertvoll wie erarbeitetes.

STANDARD: Kann der Glaube Berge versetzen?

Resch: Man redet sich ein, dass es funktionieren wird, wenn man daran glaubt. Ich glaube seit Jahren daran, dass ich auf ein Weltcuppodest fahren kann – trotzdem ist es noch nicht passiert.

STANDARD: Haben Sie schon über Alternativen zum Skisport nachgedacht?

Resch: 2019 habe ich Bewerbungen geschrieben – ein Horror. Der Personalchef einer größeren Firma meinte, es sei nett, dass ich bis jetzt als Skiprofi unterwegs gewesen sei. Damit könne er aber nichts anfangen. Das war ein Blick in die Realität.

STANDARD: Macht das Angst?

Resch: Nein, aber ich verstehe, dass eine Ausbildung neben dem Sport wichtig ist und dass die Angebote nach dem Skisport nicht der Reihe nach eintrudeln werden. Es ist noch nicht zu spät für eine Ausbildung. Den Ehrgeiz bringe ich mit.

Auf Instagram gibt Resch die Frohnatur, das große Drama erspart sie ihren Abonnenten. Nach ihrem Kreuzbandriss 2020 ließ die Sportlerin ihren Account zwei Monate unbeachtet. Die Lust auf soziale Medien war ihr zwischen Operationstisch und Rehabilitation vergangen.

Die Zwangspause führte die Rennläuferin unweigerlich zu den entscheidenden Fragen: Geht es weiter? Oder ist die Laufbahn im Skizirkus vorzeitig beendet? An einem Tag standen die Zeichen auf Abschied, am nächsten Tag war die Motivation wieder vorhanden.

Nicht nur die Skifirma, auch der Skiverband erkundigte sich bei Resch ob der Zukunftspläne. Ende April wurde sie für den B-Kader der Saison 2021/22 nominiert. Sie kann mit der Weltcupgruppe trainieren, kann sich über den Europacup nach vorne kämpfen und über interne Zeitläufe einen Startplatz im Weltcup ergattern.

STANDARD: Also bleiben Sie dem Skisport erhalten?

Resch: Skifahrer werden im Sommer gemacht. Ich wollte sehen, ob ich mich überwinden kann, ob ich noch einmal alles geben kann. Sonst habe ich im Winter keine Chance. Und ja, es geht noch. Ich will es probieren.

STANDARD: Ich möchte nicht in Wunden bohren, aber können Sie die Sturzgefahr ausblenden?

Resch: Es ist nach wie vor nicht schön, wenn ich einen Sturz sehe. Aber es trifft mich nicht mehr so hart. Mit dem Risiko muss man als Profi umgehen können. Sonst kann man nicht an sein Limit gehen.

STANDARD: Ist der Glaube an Erfolge noch da?

Resch: Ich weiß, was ich kann, wenn alles zusammenpasst. Wenn ich nicht spüren würde, dass mehr geht, würde ich diesen Weg nicht weitergehen. Das könnte ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren.

STANDARD: Werden wir Sie im Oktober also in Sölden am Start sehen?

Resch: Ich werde alles daransetzen, dabei zu sein. Nach jedem Tief kommt ein Hoch. Ein gutes Ergebnis – und das ganze Leid und die Schmerzen sind vergessen. Ich bin bereit. (Philip Bauer, 26.5.2021)