Diesmal im Hemd: Dominic Cummings im Unterhaus-Ausschuss.

Foto: UK PARLIAMENTARY RECORDING UNIT HANDOUT

Bild nicht mehr verfügbar.

Legeres Outfit, gefürchteter Geist: Dominic Cummings.

Foto: AP Photo/Alberto Pezzali, File

London – An Wortschöpfungen mangelte es der britischen Presse nicht, als sie ihre Leserinnen und Leser auf die Befragung des ehemaligen Boris-Johnson-Beraters und Brexit-Strategen Dominic Cummings am Mittwoch im Unterhaus einstimmte. Von einem "Nuclear Dom" war in Anspielung auf seinen Vornamen die Rede, von einem "Domageddon" und von einem Mann, der "schießt, um zu töten".

Auch wenn es dann nicht ganz so martialisch kam: Was Cummings über die Corona-Politik seines einstigen Herrn zu sagen hatte, barg durchaus Sprengstoff. Dass jemand wie Boris Johnson überhaupt zum Premierminister avancieren konnte, sei schlicht "verrückt". Und ebenso, dass jemand wie er selbst den höchsten Politiker Großbritanniens beraten konnte.

Channel 4 News

Vor Abgeordneten der Gesundheits- und Wissenschaftsausschüsse legte Cummings hernach dar, welche Fehler die Regierung seiner Ansicht nach in der Bekämpfung der Corona-Pandemie gemacht hat. Am schlimmsten, so der 49-Jährige, sei die Verleugnung und Verheimlichung wissenschaftlicher Erkenntnisse im Frühling 2020 durch die britische Regierung gewesen. Johnson habe sich sogar mit Corona infizieren lassen wollen, um zu zeigen, dass das Virus nicht gefährlich sei. Der Regierungschef infizierte sich später tatsächlich, wohl ohne dies beabsichtigt zu haben, mit dem Virus und musste tagelang auf einer Intensivstation behandelt werden.

Den Plan, Johnson habe im Kampf gegen die beginnenden Pandemie bewusst auf Herdenimmunität gesetzt, weist Cummings aber zurück. Es sei ihm und den anderen Entscheidungsträgern in der Downing Street keineswegs wünschenswert, aber vielmehr unvermeidlich erschienen, dass sich im Laufe von Frühling und Sommer ein großer Teil der britischen Bevölkerung mit dem Coronavirus infiziert. Je mehr davon in der warmen Jahreszeit, desto harmloser werde die Infektionslage in Herbst und Winter ausfallen, sei ihre Erkenntnis gewesen. Dass sich dies als falsch herausgestellt hat, stellt Cummings nicht in Abrede.

"Kein Plan"

Am 14. März habe die Regierung den Rat erhalten, sofort einen Lockdown zu verhängen, um eine weitere Ausbreitung des Virus einzudämmen. "Doch es gab keinen Plan dafür", erklärte Cummings. Erst neun Tage später hatte Johnson dann Großbritannien in den Lockdown versetzt. Finanzminister Rishi Sunak habe schon weit früher eine Abschottung verlangt, doch habe er sich nicht durchsetzen können.

Matt Hancock, seines Zeichens Gesundheitsminister, habe dagegen in mehreren Sitzungen mit anderen Ministern gelogen und hätte seiner Ansicht nach entlassen gehört – doch Johnson habe nicht auf ihn gehört. Eine Triebfeder des zögerlichen Corona-Handelns sei auch die Angst vor den Märkten gewesen, schildert Cummings. Weil man sich so viel Geld für die Bekämpfung der Pandemie ausborgen musste, sei in Downing Street die Angst umgegangen, dass die internationalen Finanzmärkte das Vertrauen in Johnsons Regierung verlieren.

Auch sein eigenes Verhalten sieht Cummings heute – jedenfalls unter den strengen Augen der Abgeordneten – kritisch. Dass er trotz einer Covid-Infektion und Quarantäne mit dem Auto samt Familie quer durch das Land gefahren ist, sei eine "Desaster" für die Glaubwürdigkeit der Regierung in Bezug auf die Covid-Regeln gewesen, räumt er ein.

Dass es der 49-Jährige aber auch sieben Monate nach seinem Rauswurf aus der Downing Street noch versteht, das konservative Establishment in Angst und Schrecken zu versetzen, stand schon vorab fest. Im April fegte eine Woge der Empörung durch das Land zwischen Dover und den Shetlands, als ein angebliches – und gerüchtehalber von Cummings veröffentlichtes – Zitat Johnsons bekannt wurde, in dem er einen zweiten Lockdown vehement ablehnte – "sollen sich doch die Leichen zu Tausenden türmen". Der Premier sei "tief unter die Standards von Kompetenz und Integrität gesunken, die das Land verdient", ließ Cummings vorab vom Stapel.

Johnson übernimmt Verantwortung

In einer ersten Reaktion auf die Vorwürfe seines früheren Chefberaters gestand Johnson Fehler in der Bekämpfung der Pandemie ein und übernahm die "volle Verantwortung für alles, was geschehen ist". Man habe allerdings immer als Ziel verfolgt, Leben zu retten und das Gesundheitssystem NHS zu schützen, sagte Johnson am Mittwoch. Man werde aber nicht auf jedes Detail eingehen, das Dominic Cummings vorbringe, hieß es aus der Downing Street weiters. (flon, 26.5.2021)