Ausschnitt aus dem Improdova-Informationsvideo zur Zusammenarbeit bei häuslicher Gewalt.

Screenshot: Youtube/ Projekt IMPRODOVA

Seit einigen Wochen häufen sich die Berichte über verübte Femizide in den Medien. So waren es auf Grundlage der medialen Berichterstattung laut den Österreichischen Frauenhäusern 14 Frauenmorde zum Stichtag 12.5.2021. Gewalt gegen Frauen gelangt mit jeder Meldung vermehrt in die öffentliche Aufmerksamkeit, wodurch der Schutz vor männlicher Gewalt derzeit wieder auf der tagespolitischen Agenda steht. Häusliche Gewalt und Gewalt in Intimpartnerschaften erzeugen nicht ausschließlich weibliche Opfer. Die Gewaltformen liegen den Femiziden allerdings zugrunde und finden auch zu Zeiten statt, in denen die mediale Berichterstattung darüber ausbleibt – nämlich andauernd. Sie sind ein kontinuierlich bestehendes Problem, das in den kapitalistischen und patriarchalen Strukturen unserer Gesellschaft verankert ist. Bei näherer Betrachtung haben sich in den letzten Jahren weder die Strukturen noch das daraus resultierende Problem häuslicher Gewalt maßgeblich gewandelt. Das bedeutet einerseits, dass die registrierte Anzahl an Frauenmorden in Österreich seit 2018 nicht mehr zugenommen hat. Im Umkehrschluss scheinen die bisher beschlossenen und finanzierten Maßnahmen zur Verhinderung weiterer Gewalttaten auch ebenso wenig wirksam zu sein.

Nun werden erneut Maßnahmen zur Bekämpfung häuslicher Gewalt angekündigt, die auf den ersten Blick die erhoffte Besserung versprechen. Mehr Finanzierung im Opferschutz als auch in der Gewaltprävention, Täterarbeit und Justiz sind geplant. Bei genauerer Betrachtung liegt jedoch nahe, dass sich eben jene Maßnahmen erneut an symbolpolitischer Zielsetzung orientieren. Die zugesagte Finanzierung des Opferschutzes schafft lediglich eine Wiederherstellung des ehemaligen Status quo, den es vor der Kürzung in der letzten Legislaturperiode gegeben hat. Auch in Bezug auf den finanziellen Umfang ist im Vergleich zu anderen Budgetbereichen keine besondere Priorisierung zu erkennen. Wenn Finanzierungen zugesagt werden, dann benötigt es diese vor allem langfristig, um Personalressourcen in den speziellen Aufgabenbereichen der betreffenden Ressorts und Sektoren erweitern zu können. Sofern die Maßnahmen eine moralische Antwort auf die verächtlichen Straftaten sind, drohen sie kurzfristig zu bleiben und damit langfristig zu kurz zu greifen.

Umgang mit Risikofällen

Für eine Kontinuität in der Planung und Umsetzung wirksamer Investitionen sprechen die im Zuge des Projekts Improdova1 analysierten guten Praktiken im Umgang mit Hochrisikofällen häuslicher Gewalt. Die Analysen zeigen, dass es in der Bekämpfung häuslicher Gewalt insbesondere die Zusammenarbeit und die gemeinsame Risikoabklärung verantwortlicher Sektoren benötigt. Die interdisziplinäre Kooperation und Schulung kann daher wesentlich zur Unterstützung der Betroffenen beitragen, sich aus der Gewalt zu lösen – und die Problemeinsicht des Gewaltausübenden fördern, um Verhaltensveränderung zu erzielen.

Im bisher verkündeten Vorhaben seitens der Justiz werden Schulungen explizit für Staatsanwaltschaft und Richterschaft in Ausbildung vorgesehen. Dies lässt zwar weitere Gerichtsbedienstete sowie auch Bedienstete in Justizanstalten unberücksichtigt, zielt jedoch auf die langfristige Sensibilisierung der für die Inhaftierung und Verurteilung verantwortlichen Berufsgruppen ab. Die Rechtsprechung allein vermag jedoch das Problem häuslicher Gewalt weder zu lösen noch die Opfer zu ermächtigen, sich aus dem Opferstatus zu befreien. Ohne die entsprechende deliktorientierte Arbeit können weder die Haft noch das Urteil einen Sinneswandel beim Täter herbeiführen. Justizielle Maßnahmen greifen zudem erst nach der Deliktsetzung und können daher nur in Bezug auf neuerliche Straftaten präventiv wirken. Eine Wirkung durch Schulungen im Bereich Polizei und Justiz kann daher ausschließlich auf behördlich bekannte Vorfälle erzielt werden. Was der Polizei im Vorfeld unbekannt ist, entgeht damit auch dem Auftrag der Strafjustiz. In diesen Fällen können das soziale Umfeld der Betroffenen und die Berufsgruppen anderer Arbeitsfelder zur Früherkennung beitragen.

Project IMPRODOVA

Sensibilisierung des Umfelds

Maßnahmen zur Aufklärung und Sensibilisierung des privaten und sozialen Umfelds sind in Form verschiedener Initiativen und Projekte vorhanden. Sie unterliegen jedoch nicht dem unmittelbaren politischen Einfluss- und Verantwortungsbereich. Der medizinische Bereich, der maßgeblich zur Früherkennung von destruktiven und gefährlichen Gewaltdynamiken beitragen kann, fällt jedoch darunter. Sowohl Allgemeinmedizinerinnen und -mediziner als auch das Krankenhauspersonal sind mit den vielfältigen gesundheitlichen Folgen häuslicher Gewalt konfrontiert. Sie werden im Zuge ihrer Ausbildung jedoch nicht standardisiert darin geschult, die Anzeichen häuslicher Gewalt in ihrem Berufsalltag zu erkennen. Die Gesetzgebung könnte eine flächendeckende Sensibilisierung des medizinischen Bereichs und die sektorenübergreifende Finanzierung interdisziplinärer Schulungen forcieren, um langfristig eine gute Praxis in der Früherkennung zu fördern. (Marion J. Neunkirchner, 2.6.2021)