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Die Regierung will die Spanier dazu bewegen, insgesamt weniger, dafür rund um die Uhr Strom zu verbrauchen.

Foto: Reuters/Sergio Perez

Mit Ringen unter den Augen, gähnend am Arbeitsplatz – das könnte bald schon Normalzustand in Spanien sein. Zumindest wenn die Verbraucher den Ratschlägen der Presse folgen. Tun sie es nicht, schlägt dies sicher auch aufs Gemüt, denn die Sorge um die Stromrechnung wird dann so manchen um den Schlaf bringen. All das dank eines neuen Tarifsystems, das am 1. Juni in Kraft tritt und das die Linkskoalition unter dem Sozialisten Pedro Sánchez verabschiedet hat. Rund elf Millionen Haushalte und tausende Kleinbetriebe werden künftig danach bezahlen, wann sie den Strom verbrauchen.

Sechs Zonen

Der Tag wird in sechs Zonen eingeteilt. Zu Zeiten, an denen weniger Strom konsumiert wird, fallen die Gebühren für den Stromanschluss. Außerhalb der Hauptverbrauchszeiten (10–14 und 18–22 Uhr) wird diese Gebühr mindestens um 3,4 Prozent sinken, und in den "Talstunden", also in den Nachstunden von 0 bis 6 Uhr, und rund um die Wochenenden und Feiertage gar um bis zu 95 Prozent.

Was folgt daraus? Ganz einfach: Schluss mit Schlafen, Schluss mit Wandern, Schluss mit Schwimmbad. Wer dies gezielt befolgt, kann, so rechnet die Presse vor, die Stromrechnung um bis zu 300 Euro im Jahr senken. "Tipps zum Sparen bei der Stromrechnung" dürfen dieser Tage in keiner Zeitung fehlen. Ganz vorn steht: die Geschirrspül- und Waschmaschine mit einer Zeitschaltuhr versehen, Pizza am besten nur am Wochenende backen. Und wer nachts bügelt, kann allein damit 38 Euro im Jahr sparen, berichtet der Sender RTVE. Möglich ist das Ganze dank der flächendeckenden Installation intelligenter Stromzähler, sogenannter Smart Meter.

Billige Zeitzonen

Wer sich nicht an die neuen, billigen Zeitzonen hält, wird bis zu zehn Prozent mehr zahlen als bisher. Auch Kleinbetriebe sind davon betroffen. Und die Landwirte machen sich Sorgen. So rechnet etwa ein Verband von Landwirten, die in den heißen, trockenen Sommern auf Bewässerung angewiesen sind, vor, dass deren Stromrechnung um bis zu 30 Prozent steigen wird. Das wiederum lässt ihre Produkte teurer werden.

"Die Regierung und die nationale Marktaufsicht können nicht einfach versuchen, die Gewohnheiten der Menschen radikal zu ändern", beschwert sich Rubén Sánchez, Chef der Verbraucherschutzorganisation Facua. Die Verantwortung für die hohen Stromrechnungen würde auf die Verbraucher abgewälzt, dies sei "erniedrigend". Facua beschwert sich seit Jahrzehnten darüber, dass die Stromrechnung in Spanien so hoch sei wie kaum wo in der Europäischen Union. Das liegt nicht etwa am Preis der Kilowattstunde, sondern daran, was alles in die Grundgebühr gepackt wird. Am meisten schlägt dabei das sogenannte Tarifdefizit zu Buche. Das sind zum Großteil Schulden des Stromversorgungssystems.

Effektive Nutzung erhofft

Mit dem neuen Tarifsystem sollen eine effektivere Nutzung der bestehenden Infrastruktur und ein bewussterer Umgang der Konsumenten mit der Energie erreicht werden, lautet seitens der Regierung und der Aufsichtsbehörden die Begründung für das neue Tarifsystem.

Facua-Sprecher Sánchez hat einen anderen Vorschlag. Er verlangt seit Jahren, dass pro Kopf eine Grundversorgung zu günstigen Preisen bereitgestellt wird und der Mehrkonsum mit Zuschlägen verrechnet wird. "Im Koalitionsvertrag der regierenden Sozialisten und Linksalternativen steht dies", sagt Sánchez, doch umgesetzt wird es ebenso wenig wie die öffentliche Überprüfung des Stromsystems und der Kosten, die es verursacht und die auf die Tarife abgewälzt werden, wie das nicht nur Facua bemängelt.

Deren Vorschlag schaffte es vor acht Jahren ins Parlament. Dort wurde die Idee von allen großen Parteien niedergestimmt. Wer in die Aufsichtsräte der Energieversorger schaut, weiß, warum. Dutzende von ehemaligen Ministern verbringen dort einen geruhsamen und gutbezahlten Lebensabend. (Reiner Wandler aus Madrid, 28.5.2021)