In einer Phase der Legislaturperiode, in der die Frage, wann der Bundeskanzler zurücktritt, zum Tagesgespräch der Bevölkerung avanciert, wäre es von einem nicht ungebührlichen staatsbürgerlichen Interesse zu erfahren, was man sich in der Volkspartei zu einer solchen Wendung der Zeitgeschichte und zur Zeit danach denkt. Die Rede ist jetzt nicht von der türkisen Ausstülpung, deren Regierungskunst zurzeit beglückt, sondern von diesem Cluster um formal noch immer christlich-soziale Landeshauptleute, dem das Land die Bescherung mit verdankt. Dass Sebastian Kurz selbst dann nicht an Rücktritt denken würde, sollten juristische Spitzfindigkeiten in eine Verurteilung münden, darf aus seinem bisherigen Benehmen geschlossen werden. Wer die für Oppositionsparteien eher banale Forderung, ein Bundeskanzler müsse weg, der Bevölkerung als Gotteslästerung andrehen will, für den ist Rücktritt keine Option, Urteil hin oder her.

Wer zu Kurz' Attacken auf demokratische Grundwerte und die Verfassung schweigt, scheint allem zuzustimmen.
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Sollten aber die systematische Verunglimpfung der Justiz und die offen an den Tag gelegte Missachtung des Parlaments im eigenen Interesse über den Kurz-Klüngel hinaus zur Ideologie der Volkspartei geworden sein, dann müsste man anfangen, sich ernsthaft Sorgen um Österreich zu machen. Die letzte Solidaritätskundgebung der Landeshauptleute für Kurz mag auch einer Angst vor Kindesweglegung mit ungewissem Ausgang geschuldet gewesen sein. Doch wer so laut schweigt, scheint allem zuzustimmen.

Demokratiepolitische Bescheidenheit

Ständig hört man die Frage, wann sich die Grünen endlich ermannen würden, den Attacken des Regierungspartners auf demokratische Grundwerte und die Verfassung entgegenzutreten. Wer aber fragt, wann jemand in der Volkspartei diese Selbstverständlichkeit auf sich nimmt? Niemand erwartet eine öffentliche Rücktrittsforderung aus der eigenen Partei, aber wenn statt einer Aufforderung zu Besinnung nur die reflexartigen Gegenattacken von Kanzlermarionetten wie Köst- und Wöginger kommen, zeugt das von großer demokratiepolitischer Bescheidenheit.

Auch ein Sobotka müht sich auf den Spuren seines Amtsvorgängers Andreas Khol in Redlichkeit, jedoch auf seine Weise. Nachdem er mit seinem Vorschlag der Abschaffung der Wahrheitspflicht in Untersuchungsausschüssen so schmählich missverstanden wurde, bastelt er schon wieder an deren struktureller Reform. Außerparlamentarische Experten sollen eruieren, wie man die verfahrene Stimmung dort heben könnte. Dagegen wäre nichts einzuwenden, hätte es Sobotka auf eine Beseitigung der Ursachen für diese Stimmung statt auf eine Reduzierung der Symptome abgesehen.

Die Stimmung im U-Ausschuss ist schlecht, weil sich Regierungsmitglieder als gedächtnisschwach und wenig oder gar falsch mitteilsam präsentieren. Solange das so bleibt, könnte sich die Stimmung nur verbessern, wenn sich die Opposition selbst aufgibt, indem sie auf lästiges, ja gar die Menschrechtskonvention missachtendes Fragen verzichtet. Sebastian Kurz ein Folteropfer! Von einer Heiligsprechung sollte man bis zu einem Rücktritt absehen.

Ein kleines Zeichen von innerparteilichen Zweifeln an Kurz gibt es doch. Dass ihm als treuester Mitstreiter nun ein niederösterreichischer Dreschflegel vom Schlage Hangers an die Seite gestellt wurde, könnte man als letztes Aufgebot werten. (Günter Traxler, 27.5.2021)