Burgenlands SPÖ-Landesgeschäftsführer Roland Fürst schreibt in seinem Gastkommentar, was die SPÖ von der Linken Sahra Wagenknecht lernen kann und er fordert, dass die innerparteilichen Gräben zugeschüttet werden.

Illustration: Michael Murschetz

Die deutsche Politikerin der Linken Sahra Wagenknecht hat mit ihrem Buch Die Selbstgerechten eine Debatte angestoßen, die schonungslos offenlegt, warum die politische Linke in der Sackgasse steckt. Sie prangert die "Lifestyle-Linken" an, die sich in Bioläden und bei Rassismus-Debatten ein reines Gewissen ergattern wollen. Doch dieses neue "Fair-Trade-Gewissen" von verwöhnten Bildungsbürgern habe nichts mit sozialer Gerechtigkeit zu tun, sagt Wagenknecht.

Dieses Phänomen liegt transversal über den linken und linksliberalen Parteien in Europa und ist wohl auch für die momentane Schwäche der Sozialdemokratie hüben wie drüben verantwortlich. Der ehemalige SPÖ-Finanzminister Hannes Androsch wählte einen anderen Zugang, stieß aber in dieselbe Kerbe. Er warnte davor, dass sich die SPÖ zu einer Sekte entwickle, weil Minderheitenthemen wie zum Beispiel das dritte Geschlecht einen viel zu großen Platz in der Diskussion und Programmatik einnehmen und die wahren Themen wie soziale Gerechtigkeit hintangestellt werden.

Vernünftiges Angebot

Den Befund kann man als Vertreter der traditionellen Linken in der Sozialdemokratie eigentlich nur teilen, zufrieden kann man damit aber nicht sein. Denn die politische Großwetterlage zeigt ob der strafrechtlichen Malversationen der türkisen Familie auf Neuwahlen. Viele Menschen sind von Sebastian Kurz und Co enttäuscht, und sie suchen eine wählbare Alternative, wären dazu auch bereit, wenn die Sozialdemokratie ein vernünftiges, authentisches und glaubwürdiges Angebot macht. Dafür müssten aber die Gräben zugeschüttet und aufeinander zugegangen werden.

Der deutsche Philosoph Arthur Schopenhauer meinte, dass bei gleicher Umgebung die Menschen doch in einer anderen Welt leben und letztlich "die Welt" (in der man lebt) den Standort der Bewertung der verschiedenen politischen Themen bestimmt. Als Beispiel könnte man die Frage des Mindestlohns und der Viertagewoche anführen. Für einen Teil der SPÖ ist ein Mindestlohn von 1700 Euro netto eine sozialpolitische und richtige Kampfansage. Viele Menschen in Österreich können trotz Vollzeitjobs und ohne Zusatzjobs oder Vererbtes nicht überleben. Der andere Teil der SPÖ präferiert die Viertagewoche, weil einerseits die Arbeit besser verteilt und andererseits ein besserer Ausgleich zwischen Arbeit und Freizeit erzielt werden könnte.

Frage der Perspektive

Der Standpunkt bestimmt die Perspektive: Wenn man als Sozialdemokratie wieder jene Unterprivilegierten zurückgewinnen will, die die SPÖ auch groß gemacht haben, dann muss die SPÖ entsprechend priorisieren und einen Mindestlohn forcieren. Die Viertagewoche ist dazu natürlich kein Widerspruch, sondern eine sinnvolle Idee für jene, die keine finanziellen Sorgen haben und mehr freie Zeit abseits von Arbeit haben wollen. Und es ist natürlich auch kein Widerspruch, wenn sich die Sozialdemokratie für die Fragen der Geschlechteridentität starkmacht. Ganz im Gegenteil, die Sozialdemokratie ist eine progressive Partei und muss sich um sogenannte Minderheiten prononciert kümmern, das ist gut und richtig. Es geht aber um die strategische Priorisierung und Schwerpunktsetzung.

Am sichtbarsten wird der Graben beim Thema Migration und Zuwanderung, wo bereits das einschlägige Positionspapier der Landeshauptleute Hans Peter Doskozil und Peter Kaiser mit dem Grundsatz "Integration vor Zuzug" für manche in der SPÖ eine Provokation darstellt, obwohl breit beschlossen. Die SPÖ ist dann in der Fläche erfolgreich, wenn sie tradierten Grundsätzen folgt und "anspricht, was ist", wie es Ferdinand Lassalle formulierte.

Ohne Macht

Es kann keine Tabus, Denk- und Diskussionsverbote geben, um über Themen nicht reden zu dürfen. Offene Grenzen sind keine sinnvolle Form von internationaler Solidarität, und im Diskurs wird viel zu oft Migration mit Asyl verwechselt. Kein echter Sozialdemokrat stellt die Menschenrechte infrage. In der Diskussion wird das aber fälschlicherweise behauptet, und anstatt sich auf der Sachebene diskursiv auseinanderzusetzen, überhebt sich die eine Seite gerne moralisch. Die andere Seite verharrte lange in der moralischen Schockstarre, weil sich niemand in der Sozialdemokratie gerne als "Rechter" etikettieren lassen will, und ist nun in der Auseinandersetzung nicht zimperlich, wenn sie die lebensfremden Bobos und Pseudolinken geißelt, die die SPÖ zu einer Sekte haben verkommen lassen.

Hüben wie drüben muss man sich die Frage stellen, was nützt es den Menschen? Ohne Wählerstimmen keine Macht und ohne Macht keine Möglichkeit, eine humane, vernünftige, sozial gerechte Wirtschafts-, Arbeits-, Bildungs- und Sozialpolitik umzusetzen. Die Türkisen und ihre privilegierte Vermögenselite haben Österreich nicht zum Positiven verbessert. Es ist nach knapp 35 Jahren an der Zeit, die türkise Familie aus der politischen Verantwortung zu kippen. Das gelingt aber nur mit einer starken, geeinten und authentischen SPÖ, die sich nicht selber im Weg steht und sich gemeinsam bewegt. (Roland Fürst, 29.5.2021)