Selbst Enkelin von Großgrundbesitzern: Fang Fang (66).

Foto: Wu Baojian

Was Fang Fangs Buch Weiches Begräbnis widerfahren ist, taugt selbst zum Roman. Weltweit bekannt wurde die chinesische Autorin während der Corona-Krise mit ihren Wuhan Diaries, in denen sie vom Ausbruchsort des Virus berichtete, wo sie lebt. Feinde hatte sie in China aber schon, seit dort 2016 Weiches Begräbnis erschienen ist. Denn Fang Fang erzählt von der verklärend "Bodenreform" genannten Aktion der Kommunistischen Partei 1949 bis 1952. Grundbesitzer wurden millionenfach enteignet und ermordet. Fang Fang rührt damit am Gründungsmythos der Volksrepublik.

Deshalb wurde das Buch bald nach Erscheinen vom chinesischen Markt gemobbt. Sie beschmutze die Errungenschaften des Sozialismus, wurde der Autorin im Internet von aufgestachelten nationalistischen Kreisen vorgeworfen. Es wurde so heftig, dass Weiches Begräbnis ganz ohne offizielle Zensur der Behörden aus den Buchläden verschwand. Das ist kein Einzelfall. Die Strategie hat auch die Wuhan Diaries getroffen.

Ihr ganzes Leben vergessen

Fang Fang stellt der Heldengeschichte der KP Opferperspektiven entgegen. Ihre Hauptfigur Ding Zitao wurde als junge Frau zur Zeit der Bodenreform verletzt aus einem Fluss gezogen, ihr ganzes Leben hatte sie vergessen. Nun ist sie alt, noch immer erinnert sie sich nicht, aber ihre Seele ist schwer. Zuletzt hat sie zur Ablenkung begonnen, Einlegesohlen kunstvoll zu besticken. Woher sie das kann, weiß sie nicht. Als ihr Sohn Qinglin ihr ein schickes Haus in einem noblen Wuhaner Vorort kauft, beginnt sie seltsam zu stammeln: "Hast du keine Angst, dass man es dir wegnimmt und unter die Leute verteilt?" Beim Anblick eines Seidenquilts zuckt sie zusammen, dann fällt Ding Zitao ins Koma.

Nicht ansprechbar reist Ding Zitao nun rückwärts durch die Zeit und entpuppt sich dabei als Tochter aus gebildetem Haus und Schwiegertochter eines noch reicheren Clans. So gibt Fang Fang nebenbei Einblick in Kunst, Literatur und Handwerk des klassischen China. Ding Zitao hat die Brutalität der Bodenreform am eigenen Leib erlebt, ihre Opfer wurden etwa als "Himmelslaternen" angezündet. Währenddessen liest Qinglin in Notizbüchern seines schon vor Jahrzehnten verstorbenen Vaters, wie der zu jener Zeit seinen Namen geändert hat. Denn Nachfahren von Großgrundbesitzern blieben lange geächtet.

Bröckelnde Bauten

Fang Fang weiß, wie sie die Spannung hält, schlägt sich nicht auf eine Seite, spinnt ein Netz von Beziehungen: Ding Zitao war Kindermädchen des heutigen Chefs von Qinglin, der Architekt ist. Trotz solcher Konstruiertheit erfährt man viel. Ganz konkret lässt Fang Fang etwa die Gepflogenheiten des traditionellen und die Welt des turbokapitalistischen China aufeinanderprallen, indem Qinglin die Hochhäuser baut, die andere als "Ausdruck einer arroganten Drohgebärde gegenüber der Natur" beklagen. Familienverbände zerbröckeln wie die Baudenkmäler.

Viele Stellen lesen sich wie mehr oder weniger explizite Kommentare. "Es gibt zu viel, worüber man nicht reden darf", beklagt eine Figur." Viele Leute halten solche Vorgänge beim Wechsel der Herrschaft zur Stabilisierung der Verhältnisse im Lande für unvermeidlich. Aber wir sollten uns die Frage stellen, ob so viel Brutalität notwendig ist", sagt eine andere über die Bodenreform – das Heute klingelt uns in den Ohren.

Tatsächlich scheiterte die Bodenreform, ohne Schulbildung waren die Bauern nicht zur Verwaltung des nun eigenen Landes fähig, im Nachwort ordnet Übersetzer Michael Kahn-Ackermann all das ein. Progressive in China feierten das Buch. Fang Fang bearbeitet das Tabuthema feinsinnig, das ist toll zu lesen. (Michael Wurmitzer, 29.5.2021)