Rafael Nadal hat in Paris gut lachen. 13-mal holte der Ausnahmespieler beim wichtigsten Sandplatzturnier des Jahres den Titel. Er hat noch nicht genug.
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Wer keine Axt und kein Holzscheit zur Hand hat, kann auch ein Buch nehmen. Hardcover, hohes Format, je dicker und wuchtiger, desto besser. In der Mitte aufklappen, jeweils eine Hand auf Rück- und Vorderseite legen. Jetzt schnell und mit Schwung zuklappen. Merken Sie sich das Geräusch. So ähnlich hört es sich an, wenn der Tennisschläger den Ball trifft. Alles muss passen: der Winkel, die Schlägerhaltung, die Bewegung. Der perfekte Schlag ist der Heilige Gral im Tennissport. Alle wollen ihn.

Am 3. Juni 2008 hört man das Geräusch am Court Philippe Chatrier in Paris oft. Es steht 1:6,1:4 und 40:40 aus der Sicht des Spaniers Nicolás Almagro. Er serviert, entscheidet sich für einen Aufschlag durch die Mitte. Der Ball, Marke Dunlop, kommt sofort retour: Geschwindigkeit und Flugkurve sind perfekt, er trifft in einer etwas höheren Flugkurve in der Nähe der Seitenlinie auf, beschleunigt durch den Spin immens und flutscht wie an einer Schnur zwischen zwei Baumhäusern weiter. Almagro, ein begnadeter Sandplatzspieler, erkennt, dass er keine Chance hat. "Avantage Nadal", hallt es durch die Lautsprecher.

Almagro dreht sich weg. Ein kurzes Lächeln huscht über sein Gesicht. Er zieht die Mundwinkel anerkennend nach unten und sagt laut zu sich und zum Publikum: "Er wird Roland Garros 40-mal hintereinander gewinnen. Wenn er 65 ist, wird er Roland Garros noch immer gewinnen." "Er" feierte ein paar Tage danach den vierten Triumph in Folge beim größten Sandplatzturnier der Welt. Die Ära hatte schon längst begonnen.

Wenn am Sonntag, 13 Jahre später, der Hauptbewerb der French Open anhebt, ist Rafael Nadal Topfavorit auf den Titel. Wieder einmal. Vor dem Start haben sie ihm ein Denkmal gebaut. Die Stahlstatue, die den Spanier bei einer Vorhand abbildet, steht beim Jardin des Mousquetaires neben dem Haupttor fürs Publikum. Sie ist eine Verneigung vor dem 13-fachen Turniersieger und gleichzeitig Mahnmal für seine Konkurrenten. Seit Jahren gilt: Wer den Titel in Paris will, muss an ihm vorbei.

Nadal bei einer Trainingseinheit auf dem Court Philippe Chatrier in Paris.
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Der Belag der Liebe

Die Beziehung zwischen dem 34-jährigen Spanier und dem Grand Slam in Paris hat viele Beschreibungen. Alle stehen unter der großen Überschrift: Dominanz. Die Nachweise sprechen für sich. Weitet man auf Nadals Leistungen auf Sand aus, wird es atemberaubend: Über drei Gewinnsätze ist es so gut wie unmöglich, ihn zu schlagen. Die Bilanz: 125 – 2. Robin Söderling und Novak Djokovic ist es in Paris gelungen. Einmal blieb Nadal auf Sand über zwei Jahre ungeschlagen, von April 2005 bis Mai 2007 fuhr er 81 Siege in Serie ein. Nie verlor er zwei Matches in Folge auf Sand. Von seinen insgesamt 70 Finalspielen auf dem Belag gewann er 62. Er steht bei 1022 Siegen auf der ATP-Tour, bei 207 Niederlagen. 109-mal verteilte Nadal ein 6:0. "Die Erfolge werden für immer unerreicht bleiben", sagt Thomas Muster dem STANDARD. Der French-Open-Sieger von 1995 legt sich fest: "Das wird es nie wieder geben. Nadal verkörpert eine Einzigartigkeit, Tennis zu spielen."

Rafael Nadal Parera kam am 3. Juni 1986 in Manacor zur Welt. Es ist ein wohlhabender Haushalt, sein Vater Sebastián ist Unternehmer, besitzt mehrere Firmen und Immobilien, darunter eine Tennisakademie samt Rafa-Nadal-Museum. Onkel Miguel Ángel war Fußballprofi, unter anderem beim FC Barcelona. Onkel Toni war es, der Rafael zum Tennis brachte. Bis 2017 war er sein Trainer, galt als Schleifer. Heute gibt Toni zu, zu hart gewesen zu sein. Im Oktober 2019 heiratete Nadal Maria Francisca Perelló.

Thomas Muster, Paris-Sieger von 1995, sagt: "Nadal verkörpert eine Einzigartigkeit, Tennis zu spielen."
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Nadals Erfolgsrezept ist seine Zugangsweise. Er ist besessen davon, sich zu verbessern: immer 110 Prozent, immer über die Komfortzone hinaus, immer weiter, immer weiter, egal, ob Training oder Match. Mats Wilander sagte einmal: "Nadal sucht auch im Training jedes Mal den perfekten Schlag." Ein Ruf, der Respekt einflößt, gerade auf Sand sind seine Gegner zu Außergewöhnlichem gezwungen.

Tennis ist vor allem Wiederholung, die im besten Fall zur Routine wird. Dabei helfen Rituale, die bei Nadal besonders schräg erscheinen. Oder anders: Würde Adrian Monk Tennis spielen, wäre er von Nadal begeistert. Zwei Trinkflaschen müssen immer auf seine Seite des Platzes ausgerichtet sein. Vor jedem Punkt zupft er sein Dress, die Hose und das dünne Haar, dazwischen greift er sich immer auch auf die Nase. Die Bewegungen sind exakte Kopien, eine Endlosschleife. Den Platz betritt er immer mit dem rechten Fuß, die Linien berührt er nur, um sie vom Sand zu befreien. Beim Seitenwechsel hat der Gegner immer Vortritt. Dafür wird er belächelt, manchmal gepflanzt. Doch für Nadal ist die Ablenkung der große Feind, er will ihr jeden Zugang nehmen.

Ein Mann der Zweifel

Besessenheit, Ehrgeiz und Rastlosigkeit schreibt man sich eher nicht ins Stammbuch. Bei Nadal kann man das Werk klar vom Künstler trennen. So einschüchternd und schwer nachvollziehbar sein Auftritt auf dem Court ist, so bescheiden, freundlich, fast schüchtern wirkt er sonst: "Wenn man keinen Zweifel hat, ist man vermutlich arrogant. Zweifel zu haben ist ein gutes Gefühl, weil ich dann besonders aufmerksam bin", sagte er einmal. Ausraster auf dem Platz gibt es keine. Ein einziges (dokumentiertes) Mal deutet er während einer Trainingssession an, seinen Schläger aus Frust auf den Boden zu knallen. Das war’s.

Das Ende der "Lasso-Vorhand" Nadals.
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Und was macht den Mann so gut? Vor allem die Vorhand ist eine Augenweide. Üblicherweise endet die Bewegung an der gegenüberliegenden Schulter, bei Linkshänder Nadal ist es aber meist die linke. Er kippt das Handgelenk nach dem Treffpunkt ein, der Schläger bildet mit dem Arm eine große Schlaufe über dem Kopf. Saunaaufguss, quasi.

Nadal kommt tatsächlich schnell ins Schwitzen, kann diese brachiale Vorhand und den körperlich anspruchsvollen Stil aber stundenlang einsetzen. Besonders auf Sand, dem Belag, der die Rotation des Balls besser annimmt, ist seine Spielweise des extremen Topspins effizient. Nadals Schlägergriff ist vergleichsweise dünn. Auch das hilft dabei, so sagt er, mit mehr Spin zu spielen.

Nadal steht gerne weit hinter der Grundlinie. Er gilt als exzellenter Konterspieler, der auf Knopfdruck aufrückt, um Winner übers Netz zu fetzen. Seine Power ist dabei Trumpf. Was oft untergeht: Der Spanier ist auch ein hervorragender Doppelspieler. Fehler am Netz sind Mangelware.

"Ich lebe mein Leben mit vollster Intensität", sagt Nadal, "auch das Tennis." Muster: "Solch eine Einstellung zu seinem Beruf zu haben, so viel Ehrgeiz, so spät in seiner Karriere, ist bemerkenswert." In Paris zielt Nadal auf seinen 21. Grand-Slam-Titel ab, das wäre Rekord. "Sein Spiel ist nahe an der Perfektion", sagt Muster und korrigiert sich sofort selbst: "Nein, es ist Perfektion." (Andreas Hagenauer, Lukas Zahrer, 28.5.2021)