Lisa Sophie Thoma kommt aus Wien, für ihre oft aus Deutschland stammenden Youtube-Follower passt sie sich sprachlich teilweise an.

Foto: Stefan Joham, www.stefanjoham.com

Deutsch ist nicht gleich Deutsch. Das merkt man spätestens dann, wenn man als Österreicherin oder Österreicher versucht, Videos für Zuschauer zu produzieren, die überwiegend aus Deutschland stammen. Hierzulande gängige Begriffe und Phrasen wie Karotte, Matura, Anrainer, Polster oder "Das geht sich nicht aus" sorgen ziemlich schnell für Verwirrung bei jenen Deutschen, denen solche Austriazismen nicht geläufig sind.

Dieser Text ist ein Teil einer ressortübergreifenden Serie des STANDARD zum Thema Sprachwandel.

Für den Bastelkanal "Cute Life Hacks DE" der österreichischen Youtuberin Lisa Sophie Thoma sind solche Begriffe nicht unwichtig, da die meisten ihrer 247.000 Zuseher aus Deutschland stammen: "Ich musste durch einige Shitstorms lernen, dass ich bei manchen Wörtern aufpassen muss", erzählt die Wienerin, die seit fünf Jahren auf Youtube erfolgreich ist. Immer wieder habe es in der Vergangenheit auch belehrende Kommentare von ihren Userinnen und Usern gegeben, wie etwa: "Lisa, du kannst da jetzt nicht einfach Eidotter dazu sagen, das ist Eigelb."

Bundesdeutsche Aussprache

Hört man sich in der österreichischen Youtube-Szene um, fällt rasch auf, dass die meisten reichweitenstarken Vlogger, darunter etwa das Duo Viktoria Sarina (1,8 Millionen Abonnenten) oder der Minecraft-Spieler Chaosflo (1,3 Millionen Zuseher), ein Idiom verwenden, das kaum von jenem ihrer deutschen Kolleginnen und Kollegen zu unterscheiden ist.

Auf diesen Kanälen beschränkt sich die sprachliche Anpassung an ein deutsches Publikum nicht nur auf die Übersetzung einzelner Begriffe, sondern dehnt sich auch auf die Aussprache aus. So werden oft typisch bundesdeutsche Ausdrücke wie "Leudde" und "gucken" übernommen.

Für die Youtuberin Lisa wäre eine Übernahme des deutschen Akzents in ihre eigene Sprache "nicht authentisch genug", sie könne jedoch die Beweggründe fürs "Deutscheln" anderer österreichischer Vlogger durchaus verstehen: "Es geht ja als Youtuber auch darum, seine Zielgruppe zu vergrößern, um für das Sponsoring attraktiver zu werden. Marken aus Deutschland suchen natürlich auch ein Publikum, das demografisch zu ihren Produkten passt", sagt die studierte Kommunikationsmanagerin.

China, Schina oder Kina

Um einer Diskussion über die sprachlichen Differenzen zwischen dem österreichischen und dem bundesdeutschen Idiom einfach von Anfang an aus dem Weg zu gehen, hat sich Anne Ho bewusst dazu entschieden, ihren Youtube-Kanal Relachi durchgängig auf Englisch zu führen.

"Das Problem mit den unterschiedlichen Dialekten schien mir von Anfang an einfach zu anstrengend zu sein", erklärt die 25-jährige Wienerin, die in ihren Videos vor allem private Geschichten erzählt und diese dann im sogenannten Storytime-Format mithilfe von Animationen und Zeichnungen zum Leben erweckt.

Auf ihrem experimentellen Tiktok-Kanal, auf dem sie unlängst zum ersten Mal auch deutschsprachige Videos veröffentlicht hat, konnte sie die Erfahrung machen, dass tatsächlich oft Streitigkeiten über die deutsche Sprache unter Nutzern ausbrechen. "Da kommt dann immer wieder ‚Das ist kein Krapfen, sondern ein Berliner‘ oder ‚Wie sprichst du ‚Schina‘ aus, man sagt nicht ‚Kina‘‘", sagt die Künstlerin.

Ausweichen auf Englisch

Für sie käme es jedoch nicht in Frage, ihre Sprechweise an den deutschen Markt anzupassen, sagt sie: "Das würde ich aus Prinzip nicht machen, als Österreicherin. Für mich ist Topfen einfach Topfen und kein Quark."

Dass sie nun auf Englisch, und damit auf eine Fremdsprache ausgewichen ist, bereitet der 25-jährigen Studentin Anne Ho aka Relachi kaum Schwierigkeiten: "Natürlich wäre ich auf Deutsch eloquenter, aber ich habe wirklich kein Problem mit Englisch."

Anne Ho aka Relachi hat sich entschieden, in ihren Youtube-Videos nur Englisch zu sprechen. Es gebe dann einfach auch weniger Diskussionen über österreichische oder bundesdeutsche Ausdrücke.
Foto: Regine Hendrich

Sie selbst habe ihre Englischkenntnisse nämlich bereits mit elf Jahren in Internetforen und mit Youtube-Videos maßgeblich verbessern können. "Das ging online viel schneller als in der Schule. Die meisten Begriffe und Redewendungen lernt man auch kaum im klassischen Schulunterricht. Weil ich die Sprache im Internet und mit Muttersprachlern üben konnte, konnte ich mich auch kulturell besser integrieren."

Cringe oder awkward

Besonders bei aufregenden Themen empfindet Ho Englisch sogar als "expressiver" als Deutsch. Obwohl sie ihre Muttersprache liebt, ist es für die 25-Jährige fast schwieriger, gar keine englischen Ausdrücke mehr einzuweben. "Wir verwenden auch schon so in unserer Alltagssprache viele Anglizismen, die sich recht schwer übersetzen lassen, wie ‚cringe‘ oder ‚awkward‘. Manche anderen Wörter fallen mir auch gar nicht mehr auf Deutsch ein."

Für sie haben die Pandemie und der mit ihr verbundene gehäufte Social-Media-Konsum diesen Umstand sogar noch verstärkt. "Im Internet kommt man an Englisch gar nicht mehr vorbei – und wenn man den ganzen Tag online ist, verständigt man sich immer weniger auf Deutsch", meint Relachi.

"Nice" und "hypen" im Duden

Auch der Duden, das renommierte Rechtschreibwörterbuch der deutschen Sprache, musste im vergangenen Jahr verstärkt auf den Wandel eingehen. Die Pandemie und das Internet hätten die Etablierung neuer Wörter besonders stark forciert und eine raschere Aktualisierung des deutschen Regelwerks verlangt, sagt Kathrin Kunkel-Razum, Leiterin der Duden-Redaktion.

Neben aktuell unverzichtbaren Neologismen wie "Lockdown" und "Reproduktionszahl" wurden auch Begriffe aus der englisch geprägten Internetsprache aufgenommen, darunter etwa "Lifehack", "hypen", "leaken", spoilern" oder einfach nur "nice". Unter den 3000 Neuzugängen sei der Anteil an Anglizismen deutlich gestiegen, sagt Kunkel-Razum.

Ein Grund dafür sei, dass viele technische und kulturelle Neuerungen ihren Ursprung in englischsprachigen Ländern haben. Dazu kämen die durch Internet und Streamingangebote rasant wachsenden Englischkenntnisse der deutschsprachigen Bevölkerung, die die Hemmschwelle für den Alltagsgebrauch von Anglizismen deutlich herabsetzen.

Der Dialekt lebt

Besonders deutlich wird diese Entwicklung beim Macher des Grazer Kochkanals "Kein Stress kochen". Auch er machte sich vor seinem Einstieg bei der Videoplattform viele Gedanken über seine Sprechweise. Mit seinen Tutorials bringt der Youtuber, der seinen echten Namen nicht nennen und auch sein Gesicht nicht zeigen möchte, seinen 177.000 Zuschauern unterschiedliche Sonntagsgerichte bei – und das ausschließlich im steirischen Dialekt. Trotz seiner Aussprache stammen die meisten Zuseher des Hobbykochs aus Deutschland, und zwar 70 Prozent.

Um für die verständlich zu bleiben, achte er trotzdem darauf, Begriffe wie Germ und Hefe oder Tomate und Paradeiser gleichzeitig zu nennen. Gänzlich auf Hochdeutsch umzustellen könne er sich nicht vorstellen. "Mehr als ein paar Erklärungen braucht es nicht. Der Dialekt ist ja der Kern des Kanals und für meine Reichweite mitverantwortlich", sagt "Kein Stress kochen".

Na servas, Oida!

Doch nicht nur die deutsche Sprache spielt in den Videos von "Kein Stress kochen" eine Rolle, er mischt zusätzlich Anglizismen in seine Clips, vorwiegend, indem er sogenannte Memes aus der Internetkultur einbettet, die seinen Kochvideos in Kombination mit dem Dialekt einen überraschenden Charakter verleihen.

Diese Affinität zur englischen Sprache stamme aus seiner Jugendzeit, während der im Internet noch kaum deutschsprachige Inhalte zu finden waren. "Da bist du zwischen zehn und 13 Jahre alt – und im Internet ist alles auf Englisch", sagt er. Er sei quasi mit dem "Denglischen" aufgewachsen, das habe auch seine sprachliche Ausdrucksform geprägt. Derzeit beobachtet er aber eine Gegenbewegung: "Auf Reddit werden mittlerweile immer mehr Memes ins Österreichische übernommen. Das hat etwas Persönliches."

Bleibt abzuwarten, ob Ausdrücke wie "Servas, Oida!" ähnliches Potenzial haben, um auch im englischsprachigen Raum einen Sprachwandel herbeizuführen.

Wie Youtube die Sprache unserer Kinder ändert

Nandate, Digger?

Das Kind spricht sogar Japanisch – oder so ähnlich

Da sind natürlich diese Wörter, die wir als Eltern nicht verwenden. Dürfen. Auf keinen Fall. "Loser" ist so ein Wort, "Penner", und natürlich die argen Schimpfworte, in Österreichisch und Bundesdeutsch etwa gleichlautend. Auch "lost" zählt dazu. Er behauptet ja, dass er das eh nicht mehr verwendet, seit er elfeinhalb ist. Weil: "Das hab’ ich in der Volksschule gesagt." Jetzt sei er ja fast schon erwachsen, "in der Schule sagen wir so was nicht mehr". Das mag sein. Ich dagegen kann mich gut erinnern, als ich ihn kürzlich zu motivieren versuchte, sein Zimmer aufzuräumen. "Du bist sooo lost, jetzt chill mal!"

Was sich tief in seinen Wortschatz eingegraben hat: Digger. Seine Schulfreunde, Sportskameraden, sein Bruder, sein Vater, sogar sein Lieblingslehrer – alle Digger. Als er mich erstmals so nannte, kratzte ich mein Karl-May-Wissen zusammen und hielt einen kleinen Vortrag über die Goldsucher im amerikanischen Westen des 19. Jahrhunderts, und er quittierte es mit: "Ur öd, total egal!"

Immerhin, Digger ist nett. Auch "Bruder" schafft eine gewisse Nähe (die er mir freilich noch nie zuteilwerden ließ). Sagt er "Junge!!" in forciertem Tonfall, ist er weniger nett gestimmt. Hatten wir schon öfter.

Will er seine Eltern und den Rest der Erwachsenenwelt komplett ausschließen, spricht er japanisch – oder das, was er dafür hält. Ruft er seinen Freunden etwas zu, das wie "Nandate???" klingt, meint er damit "Wie bitte?" Die verstehen das. "Saik?" meint wohl "Was?", und aus einer japanischen Volleyball-Manga-Serie hat er sich "nigerondajo" abgeschaut. Damit meint er angeblich: "Ich laufe jetzt weg."

Des Japanischen wirklich Kundige mögen sich wundern. Die Kids unterhalten sich jedenfalls köstlich. (stui)

What the!

Von Französisch zu mutmaßlichem Youtubisch

Eigentlich hätte das Kind schon als Baby Französisch lernen sollen. Es hat auch sehr gut begonnen, das Alphabet "A comme âne, B comme ballon ..." hat er schon mit zwei Jahren nachgeplappert. Wunderkind!

Das Französische hielt aber nicht lang an. Der Wortschatz wurde von vielen Bilder- und Vorlesebüchern und vom Lustigen-Taschenbuch-Abo beeinflusst. Plötzlich sagte er immer wieder mal "wodde". Es dauerte eine Zeit, bis wir herausfanden, dass es sich um den Anfang von "What the f**?" handelte, das die Kinder an der Schimpfwortzensur vorbeischummeln wollten.

Die Digitalisierung durch Handy und Internetzugang hatte starken Einfluss auf die Sprache. Ab zehn hatten wir das Gefühl, dass er eher Bundesdeutsch spricht. Ein Vorwurf, den der heute 13-jährige Moritz nicht auf sich sitzen lassen will.

Er und seine Freunde Jakob und Paul betonen, dass sie keineswegs wie Youtuber sprechen. Das machen nämlich höchstens die Elfjährigen. Am stärksten zu hören ist seine aktuelle Sprache beim Gamen. Trotz des Dementis ist auch Bundesdeutsch zu hören. "Kein Bock!" zum Beispiel.

Sollte so ein in Wien wohnhaftes Kind mit burgenländischen Wurzeln sprechen? Viel öfter wird aber Englisch eingebaut. Vor allem geschimpft: "Go away!", "Jesus!" Und hier ist es wieder: "What the!" Jetzt spricht er es klarer aus und weiß, was es heißt. Wohl erzogen, wie er von seiner Mutter wurde, lässt er aber noch immer das Ende weg. (ras)