Gleich am Anfang die obligatorische Entschuldigung, dass nicht ebenso die weibliche Form im Titel gewählt wurde. Es ist keine böse Absicht oder Diskriminierung, aber da sich, so wie es aktuell aussieht, nur Männer um den Chefsessel der FPÖ bewerben, wurde der Einfachheit halber und des knackigen Titels wegen die maskuline Form verwendet. Wenn Sie nach Frankreich blicken, können Sie am Beispiel Marine Le Pen und ihrer Nichte Marion Maréchal sehen, dass es ebenfalls Frauen an der Spitze nationaler Bewegungen und Parteien rechts der Mitte gibt.

Nun zum wesentlichen Teil. Am Fallbeispiel Ibiza im Mai 2019 war gut erkennbar warum der Themenkomplex der politischen Personalauswahl für jede Partei höchste Relevanz haben sollte. Nach Knittelfeld und Jörg Haiders Abspaltungsbewegung BZÖ brauchte die Freiheitliche Partei Österreichs lange Zeit, um wieder an einstige Höhepunkte anknüpfen zu können. Erst im Jahr 2017 gelang es den Blauen mit fast 26 Prozent nah an ihren Höchstwert bei der Nationalratswahl unter Haider heranzukommen. Unabhängig davon ist es der Partei bei den letzten beiden Regierungsbeteiligungen nicht geglückt, nachhaltige Veränderungen herbeizuführen. Doch was könnte hinter diesem Phänomen stecken?

Von eindimensionalen Kirchtagen und mentalen Mäusen

In ihren Anfangsjahren wurde die Partei noch vom wohlhabenden Groß- und Bildungsbürgertum getragen. Unter dem einstigen Kärntner Landeshauptmann wurden die sogenannten “Buberln“ groß und in den letzten Jahren war beim Humanpotenzial im dritten Lager akademisch betrachtet eher Schmalhans Küchenmeister. Ähnlich verhielt es sich mit der Themenwahl, die sehr eindimensional ausfiel. Es wurde auf das Ausländer- und Migrationsthema sowie auf Proponenten gesetzt, die zwar brav diese Thematik reproduzieren konnten, jedoch weniger in intellektuellen Debattierklubs reüssieren würden. Im Gegensatz zur SPÖ oder ÖVP, die über Kaderschmieden wie den BSA (Bund sozialistischer Akademiker) oder den CV (Cartellverband) verfügen, bleiben den Blauen als Personalreserve lediglich die schlagenden Burschenschaften.

Sich eine Lobby bei Künstlern, Intellektuellen oder Unternehmern zu erarbeiten, war anscheinend nicht wirklich Ziel des nationalen Lagers. Stattdessen kamen knackige Sprüche und Kampagnen, die auf eine Führungsperson zugeschnitten waren, zum Einsatz. Dies ist kurz- und mittelfristig zwar erfolgreich, wie man immer wieder sehen konnte, wird aber höchst problematisch wenn man in Österreich langfristig systemrelevant sein möchte. In puncto Systemveränderungspotenzial sind den Freiheitlichen sogar die Grünen als relativ junge Partei überlegen. Natürlich ebenso aufgrund der Tatsache, dass es sozial erwünschter ist, sich für die Natur und gegen den Klimawandel einzusetzen, anstatt gegen Migration und für ein traditionelles Familienbild zu sein. Gerade im ökonomisch besser gestellten urbanen Bereich gewinnt man hier keinen Blumenstrauß. Aber genau auf dem Gebiet der thematischen und personellen Bandbreite wäre anzusetzen und genau hier liegt der Indikator für einen Parteichef der Zukunft.

FPÖ-Chef 4.0

Ein erfolgreicher Spitzenkandidat müsste - wie einst der Bärentaler Jurist - sowohl bei den einfachen Bürgern als auch bei den neuen Fortschrittsgewinnern kognitive und, noch viel wichtiger, emotionale Resonanz erzeugen. Der Rechtspopulismus braucht außerdem wie kaum eine andere Bewegung ein attraktives Antlitz gepaart mit geistiger Bandbreite, damit er nicht zu primitiv daherkommt. Eine Biophilie frei nach Erich Fromm im Sinne einer “Liebe zum Leben“ oder "Liebe zu Lebendigem“ so paradox es klingen mag, ist für eine politische Gruppierung, die nicht nur mit positiven Inhalten hantiert, umso elementarer. Fakt ist, dass sich die FPÖ gerade in einem Selbstreinigungsprozess befindet und die zentrale Frage ist, welcher der Kandidaten auf das beschriebene Anforderungsprofil am besten passt. In diesem Zusammenhang braucht es weder mentale Mäuse noch kleinkarierte Kirchtage. Es wird sich weisen, wo die Freiheitlichen auf der kognitiven Karte landen werden. (Daniel Witzeling, 3.6.2021)

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