Pornhub löschte 80 Prozent seiner Inhalte, weil deren Ursprung nicht verifiziert werden konnte.

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Kaum war ich zu Besuch bei den Großeltern angekommen, verschwand ich auch schon und tauchte meist erst nach ein, zwei Stunden wieder auf. Doch weder war ich bei den Pferden im Stall noch im Heuschober wie früher, nein, ich hatte als Zwölfjähriger die Pornohefte meines Onkels auf dem Dachboden entdeckt. Eine Zeitlang konnte ich mein Geheimnis verbergen, irgendwann kam man mir auf die Schliche und die Sammlung verschwand.

Als vor ein paar Tagen die Spur zum Haupteigentümer der Webplattform Pornhub ausgerechnet nach Österreich geführt hat, erinnerte ich mich an meine Entdeckung der Pornografie. Auf einer Landwirtschaft, nicht unweit des Hofs meiner Großeltern soll er aufgewachsen sein. Doch sein Pornhub gehört zu den zehn größten Webseiten auf der Welt und hat mit den Pornoheften meiner Kindheit so viel gemeinsam wie Amazon mit einer Buchhandlung.

Abertausende Sexvideos

Abertausende Sexvideos wurden auf die hochprofitable Plattform geladen, ohne dass Pornhub nachprüfte, woher sie kamen. Viele stammten von Vergewaltigungen, wurden mit Opfern von Frauenhandel gedreht oder unter falschem Vorwand aufgenommen. Immer dauerte es Monate, bis Pornhub auf Beschwerden reagierte und, wenn überhaupt, Inhalte löschte. Für die Opfer gab es bisher keine Gerechtigkeit, nur Scham, Ausgrenzung und psychische Belastungen.

Doch das ändert sich gerade, dank einer breiten Kampagne im Netz. Vor einigen Monaten stoppte Mastercard den Zahlungsverkehr mit Pornhub, andere Zahlungsanbieter folgten. Der Konzern kam unter Druck und löschte daraufhin 80 Prozent (!) seiner Inhalte, weil deren Ursprung nicht verifiziert werden konnte.

Wie auch immer es im Fall Pornhub weitergeht, sexualisierte Inhalte und Pornografie werden immer und überall digital verfügbar bleiben. Ich habe den Eindruck, dass eine Generation heranwächst, die keinen lockeren Zugang zu Sexualität, Lust und Körperlichkeit kennt. In der digitalen Scheinwelt bist entweder du oder der andere nie gut genug.

"Richtiger Sex"

Ein befreundeter Therapeut berichtet mir von Jugendlichen, die Videos von Seiten wie Pornhub als "richtigen Sex" verstehen. Sie versuchen diesen zu reinszenieren, was oft von beiden Seiten als überfordernd bis grenzverletzend erlebt wird. Viele schrecken so vor der körperlichen Liebe zurück, Sexualität wird mit Stress und Leistungsdruck verbunden.

Hieß Aufklärung für meine Eltern, mit mir in der Pubertät über Verhütung und Geschlechtsverkehr zu sprechen, bedeutet es für mich als Vater dreier Kinder, einen verantwortungsvollen Umgang mit digitalen Medien und Pornografie im Internet zu thematisieren. Wenn mir dabei über die Jahre noch gelingt, Vertrauen aufzubauen und zu vermitteln, wie viel Spaß natürliche Sexualität, Leidenschaft und Körperlichkeit machen, dann habe ich etwas erreicht. Im Moment ernte ich mit diesem Thema allerdings noch eher schiefe Blicke und ein ermahnendes, langatmiges "Geh, Papa!".

Mal schauen, was sie heute zur Geschichte Pornhub und von meiner Entdeckung von Pornoheften auf dem Dachboden sagen. (Philippe Narval, 30.5.2021)