Fronleichnam wurde 1264 von Papst Urban IV. eingeführt. Schon 1215 war im Laterankonzil das Dogma der Transsubstantiation, der tatsächlichen Verwandlung der Hostie in den Leib und des Weines in das Blut Jesu, verkündet worden. Als 1263 angeblich ein zweifelnder böhmischer Mönch auf seiner Reise nach Rom in Bolsena während der Eucharistie die Hostie gebrochen hatte und daraus Blut getropft war, wurde das als Beweis dafür angesehen, dass die Hostie nach der Wandlung der Leib Christi wird, und zum Anlass für die Einführung des Fronleichnamsfestes genommen. Obligatorisch wurde eine Prozession zu Fronleichnam im ersten Drittel des 14. Jahrhunderts, wobei anfangs die Hostie nicht sichtbar im Hostienkelch, dem Ziborium, getragen wurde. Dieses wurde sehr bald von der Monstranz abgelöst, in deren Mitte die konsekrierte Hostie für die Gläubigen sichtbar ist. Der höchste geistliche Würdenträger trägt diese unter dem Tragehimmel, nach alter Auffassung ein Herrschaftszeichen der Könige.

Da sich das Eucharistie-Sakrament vom letzten Abendmahl herleitet, müsste es eigentlich am Gründonnerstag gefeiert werden, das Fest wurde jedoch wegen der ernsten Stimmung der Karwoche auf den zweiten Donnerstag nach Pfingsten verlegt. Dabei integrierte die katholische Kirche, ebenso wie bei Christi Himmelfahrt, im Bewusstsein der Bevölkerung noch vorhandene Erinnerungen an vorchristliche Bräuche, wie den dem Donnergott Thor geweihten Donnerstag, in den christlichen Glauben.

In ganz Österreich, so auch dem Salzkammergut, spielten Fronleichnamsprozessionen seit jeher eine große Rolle.
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Reformation und Gegenreformation

Martin Luther war ein vehementer Gegner des Fronleichnamsfestes, er bezeichnete es als Gotteslästerung. Zur Zeit der Reformation verlor es daher an Bedeutung, erst im Konzil von Trient wurde Mitte des 16. Jahrhunderts das Dogma der Transsubstantiation endgültig manifestiert und war der Grund für erbitterte Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Protestanten. So riss in Wien ein protestantischer Bäckerbursche 1549 bei der Fronleichnamsprozession auf dem Graben dem Priester die Monstranz mit der geweihten Hostie aus der Hand und warf sie zu Boden. Er büßte dafür mit seinem Leben und wurde auf der Gänseweide verbrannt. Daran erinnert heute noch das Haus zum Goldenen Becher am Stock-im-Eisen-Platz, obwohl sich der Vorfall ein Stück weiter am Graben zugetragen haben soll. Im Zuge der Gegenreformation wurde der Fronleichnamsumgang in seinem Gepränge zu einer Machtdemonstration der katholischen Kirche genützt.

Die Prozessionen von St. Stephan

Die mittelalterlichen Prozessionen von St. Stephan waren Ausdruck des bürgerlichen und handwerklichen Selbstbewusstseins, Bürgermeister und Ratsherren der Stadt Wien gingen in ihrer Amtskleidung im Prozessionszug, die Zünfte führten ihre sehr kostbaren Fahnen und Heiligenbilder mit. Doch musste bürgerliches Selbstverständnis allmählich der Vereinnahmung durch die Herrschenden weichen. Anfang des 17. Jahrhunderts entwickelten sich zwei Prozessionen, die der Zünfte und Bürger und jene des kaiserlichen Hofes. Das Haus Habsburg fühlte sich als das katholische Haus schlechthin, der Eucharistieverehrung kam eine besondere Rolle zu. Zurück ging dies auf die Legende, dass Rudolf von Habsburg auf einem Ritt einem Priester, der auf dem Versehgang war, begegnete, diesem sofort sein Pferd übergab und dem Leib des Herrn kniend seine Reverenz erwies. Diese Ehrerbietung wurde der Hostie auch in späteren Jahrhunderten von habsburgischen Herrschern stets erwiesen. Die Fronleichnamsprozession wurde das wichtigste Instrument zur Demonstration der "Pietas Austriaca" und fand mit allem Prunk ausgestattet statt. Bereits 1622 nahm Kaiser Ferdinand II. an der Prozession teil und schrieb auch die Beteiligung des kaiserlichen Hofs vor. Ab nun gingen Herrscher, Erzherzöge und Hof regelmäßig bei den Umgängen mit. Maria Theresia war zwar häufig bei den Feierlichkeiten anwesend, machte aber nicht die ganze Prozession mit. Sie fuhr zur Kirche und nahm am ersten Segen teil, blieb dann inkognito in einem Gebäude am Graben, empfing am letzten Altar wieder den Segen und begab sich dann mit der Prozession zur Kirche.

Der bürgerliche Umzug begann im 18. Jahrhundert oft schon um vier Uhr früh, gegen Ende des Jahrhunderts verlagerte sich der Beginn aber allmählich auf sieben Uhr, nach der Rückkunft wurde vor dem Domportal die Hofprozession erwartet. Unter Kaiser Joseph II. wurden die großen Fahnen der Zünfte verboten und durch einfache Standarten und Kreuze ersetzt. Der Reformkaiser befahl die Durchführung nur einer Prozession, aus einem Bericht aus 1784 erfahren wir Details: Sie führte über den Stock-im-Eisen-Platz zur Pestsäule (erstes Evangelium), den Kohlmarkt hinauf zur Michaelerkirche (zweites Evangelium) über Herrengasse, Strauchgasse und Heidenschuß auf den Platz Am Hof zum dritten Evangelium, über den Judenplatz auf den Hohen Markt zum vierten Evangelium und dann zurück nach St. Stephan. Die Kinder aus dem Waisenhaus am Rennweg gingen voran, dann kamen die Ordensgeistlichen und Weltpriester, die uniformierten Offiziere der bürgerlichen Regimenter, der Stadtmagistrat, Mitglieder des Hofstabs, die Ritter des Maria-Theresien-Ordens und vom goldenen Vlies sowie das Domkapitel. Dann folgte unter dem Baldachin das vom Erzbischof getragene Allerheiligste, dahinter der Kaiser oder ein Mitglied des Kaiserhauses, Hofdamen, die adelige Leibgarde zu Pferd und eine Kompanie Grenadiere.

1854 nahm Kaiser Franz Joseph erstmals mit Elisabeth, mit der er knapp seit zwei Monaten verheiratet war, an der Prozession teil. Der religiöse Aspekt trat an diesem Tag in den Hintergrund, die Menschen reisten sogar aus der Provinz an, um die junge Kaiserin zu sehen, der Andrang der Schaulustigen war enorm. Ihnen wurde ein prächtiges Schauspiel geboten, einer Anzahl von Kutschen mit Mitgliedern der kaiserlichen Familie folgte, umringt von berittenen Gardesoldaten, der sechsspännige Galawagen, in dem die Kaiserin, im großen Hofkleid mit Schleppe und Diamantdiadem, und der Kaiser zum Dom fuhren. Doch konnte die zur Schau gestellte Pracht sechs Jahre nach dem Revolutionsjahr 1848 nicht über die überaus starke Truppenpräsenz hinwegtäuschen. In späteren Jahren entzog sich die Kaiserin dieser Pflicht, der Kaiser ging, begleitet vom Hochadel, bis zum Jahr 1909 bis auf wenige Ausnahmen jährlich in der Prozession mit. Auch die Stadtregierung nahm teil, die Anwesenheit des Bürgermeisters Karl Lueger wird explizit allerdings nur 1908 (in diesem Jahr nahm der Kaiser nicht teil) und 1909 erwähnt. Das Fest nahm einen volksfestartigen Charakter an, Fensterplätze am Wegverlauf des Umzugs wurden vermietet. Fronleichnam wurde der "Hofball Gottes" genannt.

Auch in den Jahren des Ersten Weltkriegs fand keine Unterbrechung statt, aber das Bild der Prozession änderte sich grundlegend. Der Zug wurde nun von verwundeten Soldaten angeführt, ihnen folgten überwiegend weibliche, kindliche und alte Teilnehmer. In den letzten beiden Kriegsjahren wurde in Anbetracht der Umstände nur ein Umzug im Burghof unter Teilnahme des jungen Kaiserpaars Karl und Zita veranstaltet.

Fronleichnamsprozession vor dem Stephansdom in Wien im Jahr 2006.
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Schon 1919 war der Ausgangspunkt wieder St. Stephan, die Teilnahme am Umzug war groß, allerdings waren im Zug nur Männer vertreten, Frauengruppierungen schlossen sich erst nach dem vierten Evangelium an. In den folgenden Jahren nahmen Frontkämpfervereinigungen und Studentengruppierungen in immer größerer Zahl teil. Zahlreiche Regierungsmitglieder fanden sich ein – bis hin zur Teilnahme der gesamten Regierung 1934. Die Anzahl der Teilnehmer und der Zuschauer nahm enorme Ausmaße an, die Fronleichnamsprozession war neben ihrer sakralen Bedeutung eine Art politische Gegenveranstaltung zu den Erste-Mai-Umzügen der Sozialdemokraten. Diese enge Verflechtung zwischen katholischer Kirche und Staat wurde mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten jäh zerschlagen. Verboten wurden Fronleichnamsumzüge in dieser Zeit nicht prinzipiell, es kam aber vor, dass ihre Ausführung erschwert oder behindert wurde.

In der Zweiten Republik nahmen an den Prozessionen die Bundespräsidenten Rudolf Kirchschläger, Kurt Waldheim und – bis zu seiner Scheidung und Wiederverehelichung – Thomas Klestil teil. Weitere Politiker nahmen und nehmen immer wieder als Privatpersonen, nicht in Ausführung ihrer politischen Tätigkeit, teil.

Kardinal Christoph Schönborn im Rahmen der Fronleichnamsprozession am 19. Juni 2003.
Foto: HERBERT P. OCZERET Apa

Der Ablauf der Prozession bleibt im Wesentlichen gleich. Nach der festlichen Messe formiert sich der Zug und verlässt den Stephansdom unter dem Geläute der Pummerin durch das weit geöffnete Riesentor. Voran die Erstkommunionkinder, Schulkinder, verschiedene Gruppierungen, Ordensgemeinschaften, Universität, Klerus. Ihnen folgt der Kardinal unter dem Himmel, er trägt das Allerheiligste, hinter ihm eine große Anzahl an Prozessionsteilnehmern. Der Umzug zieht durch die südliche Innenstadt, über drei Stationen zurück zum Dom, wo die Pummerin abermals zu läuten beginnt und der Kardinal wieder in den Dom einzieht. Normalerweise geht die Teilnehmer- und Zuschauerzahl in die Tausende, in den Corona-Jahren 2020 und 2021 wurde beschlossen, keine Prozession abzuhalten.

Weit über 650 Jahre sind seit der Einführung der Fronleichnamsprozessionen vergangen, sie haben Kriege und Reformation, Aufklärung und einen Allerhöchsten Reformer, den Zusammenbruch der Monarchie und weltanschauliche Paradigmenwechsel überdauert. Unverrückbare religiöse Konstante war in all diesen Jahrhunderten die Verehrung des Leibes Christi in der Gestalt der Hostie. Die Bedeutungsebenen mögen sich verschoben haben, dennoch ist der Fronleichnamszug von St. Stephan bis heute prunkvoll, eine Manifestation des Glaubens ebenso wie ein gesellschaftliches Ereignis und nicht zuletzt eine touristische Attraktion. (Friederike Kraus, 3.6.2021)