Die chinesische Bevölkerung schrumpft seit den Achtzigerjahren. Schon jetzt ist jeder fünfte Chinese älter als 60 Jahre.

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Drei Kinder? "Kommt überhaupt nicht infrage." So stimmten 90 Prozent der Teilnehmer einer Online-Umfrage der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua ab. Kurz darauf verschwand die Umfrage hinter der "Great Firewall", Chinas Zensurmauer.

Am Montag hatte die kommunistische Partei Chinas nämlich so etwas wie die "Drei-Kinder-Politik" verkündet. Das ist überspitzt ausgedrückt, denn einen Zwang zu drei Kindern gibt es selbst in der Volksrepublik nicht. Aber die auf Kontrolle bedachte Führung in Peking hätte schon sehr gerne, dass die eigene Bevölkerung in Zukunft wieder etwas reproduktionsfreudiger wäre als bisher. Die Abschaffung der Ein-Kind-Politik vor fünf Jahren hatte die gewünschten Resultate einfach nicht gebracht.

Gerade junge Chinesen stehen unter enormem Druck. Sie arbeiten weitaus mehr als ihresgleichen in Europa, um ein Stück des immer weniger anwachsenden Wohlstandskuchens zu ergattern. Das trifft besonders die Männer: Eine unbeabsichtigte Folge der 1980 eingeführten Ein-Kind-Politik war ein Geburtenüberschuss von Buben. Viele Bauern wollten nur männliche Nachkommen. Die Kombination aus Ein-Kind-Politik und pränataler Diagnostik führte in den Achtzigern dazu, dass Millionen weiblicher Föten abgetrieben wurden.

Schwierige Partnerwahl

Die Geschlechtsbestimmung der Föten wurde später untersagt, um das Ungleichgewicht nicht noch größer werden zu lassen. Schätzungen zufolge aber dürften deswegen rund 60 Millionen chinesische Männer bei der Partnerwahl in diesen Jahren leer ausgehen. Das schafft eine Asymmetrie auf dem Heiratsmarkt zugunsten der Frauen. Viele Eltern von Töchtern geben die Zustimmung zu einer Heirat nur, wenn die Bewerber mindestens eine Eigentumswohnung vorweisen können. Ein Auto wäre auch nicht schlecht.

Einmal verheiratet aber, fühlen sich viele junge Chinesen in einem Hamsterrad aus Konsumdruck und langen Arbeitszeiten gefangen. So etwas wie Elternzeit oder vergleichbare Konzepte gibt es in China nicht. Ohne die Hilfe der Großeltern ist das System für die Mittelschicht ohnehin nicht haltbar. Viele junge Paare in den boomenden Städten der Ostküste wollen deswegen nur ein Kind – wenn überhaupt.

In der Folge schrumpft die Bevölkerung. Die Ergebnisse einer Volkszählung hatten Anfang Mai bestätigt: 1,41 Milliarden Einwohner leben auf dem Staatsgebiet der Volksrepublik und damit "nur noch" eine Million mehr als vor zehn Jahren. Das wiederum stellt Peking vor dieselben Probleme, mit denen alle entwickelten Industriestaaten zu kämpfen haben: Die Gesellschaft überaltert. Schon jetzt ist jeder fünfte Chinese älter als 60 Jahre. Das hat gravierende Folgen für die Sozialsysteme.

Unterschiedliche Konzepte

Das Wirtschaftswachstum fällt immer geringer aus, und eine immer kleiner werdende erwerbstätige Bevölkerung muss eine immer größer werdende Kohorte aus Rentnern versorgen. In Europa versucht man, das Problem über Zuwanderung zu lösen. Japan setzt eher auf Roboter und künstliche Intelligenz, um die vielen Alten zu versorgen und die Wirtschaft am Laufen zu halten. Peking aber steht bisher keines dieser Mittel zur Verfügung. China ist kein Einwanderungsland und wird auch keines werden – dazu ist das repressive politische System zu unattraktiv und die Gesellschaft, abgesehen von ein paar Expats in Schanghai und Peking und philippinischen Gastarbeitern, geschlossen.

Um voll auf Technologie zu setzen, ist das Land aber noch zu arm. Auch wenn Propagandabilder aus dem chinesischen Tech-Hub Shenzhen von selbstfahrenden Taxis und paketliefernden Drohnen schwärmen – ein großer Teil der Bevölkerung lebt noch immer knapp über der Armutsgrenze.

Die "Drei-Kinder-Politik" scheint also der einzige Ausweg. Dass sie die erwünschten Resultate liefert, ist unwahrscheinlich. Ein zynischer Kommentator schrieb auf Twitter: "Ich persönlich könnte mir ja noch weitere Maßnahmen vorstellen, um die Geburtenrate zu steigern, zum Beispiel ein Ende der Zwangssterilisationen in Xinjiang, aber ich sitze auch nicht im Politbüro." (Philipp Mattheis aus Schanghai, 31.5.2021)