Am Anfang war das Wort", so steht es schon in der Bibel. Nun, beginnen wir mit einer typisch österreichischen Episode. Nehmen wir an, jemand heißt Schwarz. Um seinen Namen am Telefon oder beim Vorlegen einer der vielen heute üblichen Kundenkarten in einem Geschäft zu nennen, buchstabiert der- oder diejenige also "Siegfried, Cäsar, Heinrich", und so weiter, und so fort. Besagte Form entspricht der sogenannten Norm.

Alexia Weiss, "Jude ist kein Schimpfwort. Zwischen Umarmung und Ablehnung. Jüdisches Leben in Österreich". € 22,– / 190 Seiten. Verlag Kremayr & Scheriau, Wien 2021.
Foto: Verlag Kremayr & Scheriau

Autorin Alexia Weiss berichtet von einer Erkenntnis, zu der sie angesichts der weitverbreiteten Verwunderung, wenn sie ihren Namen "Weiss, wie die Farbe", mit "Wilhelm – Emil – Ida – Samuel – Samuel" buchstabierte, kam. Seit Jahrzehnten wird ein D im deutschen Sprachraum mit Dora statt David, ein J mit Jot statt Jacob, ein S mit Siegfried statt Samuel, ein Z mit Zeppelin statt Zacharias angesagt. Diese der ÖNORM A 1081 entsprechende Zuordnung geht eigentlich auf das "Berliner Telefonbuch" von 1903 zurück, das allerdings 1934 geändert wurde. Seit der Initiative eines gewissen Herrn Schliemann wurden sämtliche jüdische Namen durch "geeignete deutsche" Namen ersetzt. Interessant in dem Zusammenhang das Faktum, dass in der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2020 ein Erlass erging, dass das Buchstabieralphabet "entnazifiziert" werde.

Anders läuft das in Österreich. Statt sich einer längst notwendigen Debatte zu stellen, wurde das Dokument ersatzlos außer Kraft gesetzt. Generell wurden gleich alle Standards zum Thema Büroorganisation und schriftliche Kommunikation zurückgezogen. Seit 2019 gibt es kein Komitee mehr, das derartige Normen festsetzt. Die Anwendung obliegt dem Individuum. Ein österreichischer Klassiker, ganz im Sinne und Stile des "Herrn Karl". Typischer könnte es in der Heimat des Hamma-net, Samma-net, Tamma-net und Kömma-net nicht laufen.

Anfeindungen

Mehr als 75 Jahre nach dem Holocaust erstarkt der Antisemitismus in der Welt wieder. Auch in Österreich melden jüdische Gemeinden vermehrt Übergriffe, Beleidigungen, Belästigungen, Anfeindungen verbaler und körperlicher Art. Staat und Zivilgesellschaft reagieren mit Gegenmaßnahmen, mit Umsicht, Vorsicht und Gedenkveranstaltungen. Es scheitert, so Weiss, aber oft an "Normalität", der Möglichkeit, ein normales Leben führen zu können, ohne beschützt werden zu müssen. Journalistin Alexia Weiss, Jahrgang 1971, beschreibt den jüdischen Alltag mit Ambivalenz; als Jude sei man oft mit Hass konfrontiert, oder aber auch mit übertriebener Sensibilität.

Weiss erzählt anhand zahlreicher Anekdoten wie des erläuterten Phänomens des Buchstabieralphabets sowie von Gesprächen mit Zeitgenossen, wie Stereotype entstehen und unwissentlich weitergeführt werden. Vorurteilen begegnet sie mit Verweisen auf historische Fakten. In Interviews mit einem Rabbiner, einer queeren Veranstalterin von Clubbings, mit orthodoxen und atheistisch lebenden Juden seziert sie den latenten, alltäglichen Antisemitismus.

In Anbetracht des gemeinsamen Erbes des jüdisch-christlichen Abendlands ruft sie zu einem normalen Umgang auf, auch in der Benennung. Die Israelitische Kultusgemeinde werde oft mit dem Staat Israel gleichgesetzt; und eine allfällige Kritik an der Politik des Landes in Bezug auf die Situation in Palästina, im Gazastreifen münde in alte Muster.

Weiss ermutigt, trotz Verständnisses dafür, wenn von "mosaischen" oder "jüdischen Mitbürgern" die Rede ist, "man könne ruhig Jude sagen. Denn Jude ist kein Schimpfwort." Bleibt einem Goj nur an den demokratischen Auftrag "Wehret den Anfängen!" zu erinnern. (Gregor Auenhammer, 31.5.2021)