Neue Allianzen zwischen Journalisten und Whistleblowern: Frederik Obermaier, Edward Snowden und Bastian Obermayer (v. li.) in "Hinter den Schlagzeilen".

Foto: Crossing Europe

Wer von Fake-News redet, hat so gut wie immer eine unlautere Agenda. Doch auch von Leuten, die "ansonsten fest im Leben stehen", habe Daniel Sager wiederholt die absurdesten Unterstellungen gegenüber Medien gehört. Daraus erwuchs bei dem deutschen Dokumentaristen die Idee, einen Film über Journalismus zu drehen: "Viele Menschen wissen nicht, wie Medienhäuser funktionieren." Hinter den Schlagzeilen begleitet die Arbeit der beiden preisgekrönten Journalisten Frederik Obermaier und Bastian Obermayer im Investigativressort der Süddeutschen Zeitung. Der Zeitpunkt erwies sich als ideal: Bei den Reportern landete ein Video aus Ibiza, das von hohem öffentlichem Interesse war – besonders in Österreich. Am Donnerstag feiert der Film bei Crossing Europe seine hiesige Premiere.

STANDARD: Das Ibiza-Video beschäftigt die österreichische Innenpolitik zumindest indirekt auch zwei Jahre später noch. Haben Sie mit dieser Zeitspanne gerechnet?

Sager: Nein, das war mir damals nicht bewusst. Das hat sich erst abgezeichnet, als es veröffentlicht war und dann schnell Neuwahlen ausgerufen wurden. Das hat für mich die Tragweite verdeutlicht – und was investigativer Journalismus leisten kann. Auch in Hinblick des Films, der das ja zeigen soll.

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STANDARD: Für den Film war es ein Glücksfall. Zunächst ist alles recht geheimnisvoll: Das Videomaterial kommt verschlüsselt an, konnte nicht abgefilmt werden. Namen werden nicht genannt. Waren Sie da bereits in die Details involviert?

Sager: Bastian Obermayer rief mich an, nachdem er das erste relevante Treffen mit einer Quelle hatte, und erzählte mir bestimmte Sachen, aber natürlich nicht alles; etwa um welche Personen es genau geht. Sie mussten den Quellenschutz wahren. Das hat dazu geführt, dass in den jeweiligen Szenen ein wenig darum herum geredet werden musste.

STANDARD: Man wusste ja auch noch gar nicht, ob die Geschichte veröffentlicht wird.

Sager: Genau, das war nicht absehbar und barg deshalb ein hohes Risiko. Ein ganzes Jahr war es so, dass die Geschichte zu jedem Zeitpunkt freigegeben werden konnte. Wir mussten den Dreh extra verlängern.

STANDARD: Gab es rote Linien?

Sager: Alles, was mit Quellenschutz zu tun hatte. Das war das größte Anliegen der Redaktion, denn sie arbeitet mit sensiblen Informationen. Das konnten Treffen mit Informanten sein oder ein Gespräch, in dem Namen genannt werden – da stößt man mit Direct Cinema an seine Grenzen. Das mussten wir dann anders drehen, verklausulierter. Ich finde jedoch, dass der Film das Verhältnis zwischen Filmemachern und Protagonisten ganz offen kommuniziert. Man kann es spüren.

STANDARD: Es lässt sich sehr gut mitverfolgen, mit welcher Akribie die Geschichte vorbereitet wurde, wie etwa die Echtheit und rechtliche Fragen überprüft wurden. Das Ibiza-Video wird fast zum Vorzeigefall.

Sager: Das war mein Anliegen. Ich wollte einen offenen, ehrlichen Blick auf das journalistische Handwerk legen. Vielen ist in der Debatte um Medien, Fake-News und Lügenpresse ja nicht bewusst, dass es journalistische Regeln, eine Sorgfaltspflicht gibt und dass in einem Zeitungshaus ganz unterschiedliche Personen und Positionen aufeinandertreffen. Der Film zeigt aber auch, dass es eine wahnsinnig zähe Arbeit sein kann, es ist teilweise langweilig, und man braucht große Anstrengungen und Durchhaltevermögen.

STANDARD: Nicht jedes Haus agiert so seriös wie die "SZ". Anderswo ist Journalismus immer stärkeren Aufmerksamkeitsökonomien unterworfen. Ist diese Qualität nicht eher bereits die Ausnahme?

Sager:Für mich thematisiert der Film die Stärken des modernen Journalismus, dazu zählen auch internationale Kooperationen. Da sind nicht immer nur die Großen dabei. Zum Beispiel ist bei Forbidden Stories, der Gruppe, die sich für die Malta-Recherche rund um die ermordete Journalistin Daphne Caruana Galizia trifft, auch ein kleines italienisches Kollektiv involviert. Aber es stimmt, dass für die großen investigativen Geschichten mittlerweile nur noch die großen Medienhäuser die Mittel aufbringen. Dass sich dies jedoch lohnt, das zeigt am Ende auch dieser Film.

Daniel Sager (36) ist deutscher Dokumentarfilmregisseur. 2015 realisierte er sein Debüt "The Long Distance" über eine Marathonläuferin aus Kenia.
Foto: Crossing Europe

STANDARD: Wie beurteilen Sie das Verhältnis von Whistleblowertum und Journalismus? Da geht es ja auch um Verschiebungen, was Aufdeckung und Kontrolle anbelangt.

Sager: Es gibt eine Abhängigkeit zwischen investigativem Journalismus und Whistleblowertum. Das Spannungsfeld ist enorm, weil es um Vertrauensfragen geht – das wird schon in der Szene am Anfang mit Edward Snowden angesprochen. Gleichzeitig können Journalisten nicht die Interessen der Whistleblower vertreten, sondern müssen ihre eigenen Geschichten in den Daten finden. Sie können den Whistleblower nicht schützen, und das ist ein Problem. Es klingt im Film nur an, aber mir war es wichtig, darauf hinzuweisen, dass Whistleblowerrechte in Deutschland und in der EU viel zu sehr vernachlässigt sind. Durch gestärkte Whistleblowerrechte würde es auch zu mehr Leaks kommen.

STANDARD: Zugleich gibt es eine andere Allianz zwischen Whistleblower und Dokumentarfilmer – man denke nur an Laura Poitras’ Film über Snowden, "Citizenfour". Hat der Dokumentarfilm andere Möglichkeiten?

Sager: Es gibt einen großen Unterschied zwischen Journalismus und Dokumentarfilm. Journalisten sind verpflichtet, alle Perspektiven einer Geschichte freizulegen. Wir Dokumentarfilmer sind das nicht, weil wir Chronisten sind. Wir können Porträts, Geschichten von Individuen erzählen. Auch Poitras hat keinen umfassenden Blick. Ihre Wahrheit hat etwas Subjektives, dennoch erzählt sie viel von unserer Welt. Deswegen gibt es auch diese Synergien zwischen Whistleblowern und Dokumentaristen. (INTERVIEW: Dominik Kamalzadeh, 1.6.2021)