Meinen ersten Rasierer kaufte mir meine Mutter, ein Gillette Venus musste es sein. Der wurde in der Castingshow "Germany’s Next Topmodel" beworben. Wieso sie das pink-gewaschene Plastikteil als gestandene Feministin nur schweren Herzens ihrer Teenager-Tochter überreichte, verstand ich damals nicht. Seitdem habe ich Zeit und Geld in die Enthaarung meiner Beine gesteckt und Rasierpickel und fiese Schnitte in Kauf genommen. Aber warum eigentlich?
Ich begann mich als Jugendliche aus demselben Grund zu rasieren, wie es laut einer Studie der US-Wissenschafterin Susan Basow die meisten jungen Frauen tun: aus sozio-normativen Gründen, "man macht es halt". Erst später, und auch damit ging es mir laut Basows Untersuchungen wie den meisten Frauen, wurde mir der ästhetisch-sexuelle Hintergrund bewusst.
Die Not mit der Norm
Menschen, vor allem Männer, fänden es eben schöner. Haarige Frauen seien unhygienisch (Mythen), zottelige Beine seien "verwildert". Dieser Aspekt hat tatsächlich eine jahrtausendealte Tradition. Im antiken Griechenland und im alten Rom entfernten sich die Menschen ihre Körperhaare, vermutlich um sich von den "barbarischen" Völkern abzugrenzen.
Dass sich Frauen heute mit Kaltwachs und Co quälen, geht allerdings auf einen deutlich jüngeren Trend zurück. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden die Kleider kürzer und die Beine sichtbar.
Kurze Kleider, kahle Beine
In den USA wurde die Beinhaarentfernung zuerst populär, schnell schwappte der Haarlos-Hype auf Europa über. Dass kahle Beine als schöner galten, wurde unter anderem damit begründet, dass sie femininer wirken würden. Schnell erkannte die Schönheitsindustrie in diesem Trend einen Milliardenmarkt. Den Werbestrategien dieser Industrie ist es zu einem guten Teil zuzuschreiben, dass ich regelmäßig wie ein beschwipster Flamingo im Bad herumhüpfe und mich schäme, wenn ich mit stoppeligen Beinen im Freibad liege.
Zwar sind unrasierte Beine als feministisches Statement nicht gerade Neuland, doch gemeinhin galt weiterhin: "haarig gleich hässlich". Auch ich stellte bisher meine emanzipatorischen Ideale hinter den Wunsch zu gefallen. Dabei wurde es in den letzten Jahren immer normaler, dass Frauen ihre Haare bewusst stehen lassen. Die Musikerin und Schauspielerin Miley Cyrus wehrte sich dagegen, dass ihre Körperbehaarung bei Fotos wegretuschiert wurde, Adidas warb mit dem schwedischen Model Arvida Byström – die für ihre haarigen Beine allerdings sogar Vergewaltigungsdrohungen bekam.
Diese Episode fiel mir ein, als ich neulich vor den ersten Sommerkleidtagen in der Drogerie nach den Rasierklingen griff. Ich dachte daran, wie oft ich behauptete, mich "für mich" zu rasieren – aber stimmt das, wenn die Gesellschaft sogar auf die unrasierten Beine eines Topmodels mit so viel Hass reagiert? Natürlich kann jede mit ihrem Körper und ihrer Behaarung tun, was sie will. Doch ich habe die Rasierklingen fürs Erste wieder ins Regal gestellt. (Antonia Rauth, RONDO exklusiv, 15.8.2021)