Vor der Terrasse, die zum Innenhof weist, steht der Esstisch, an dem Alice Stori Liechtenstein auch gerne arbeitet. Vom Hof sind die typischen Geräusche von Tennisplätzen bzw. dem Tennisspiel zu vernehmen.

Foto: Katharina Gossow

Alice Stori Liechtenstein ist international als Designkuratorin umtriebig. Hierzulande ist sie vor allem für ihre Ausstellungen, Symposien und Workshops bekannt, die sie in der Steiermark unter dem Namen "Schloss Hollenegg for Design" im gleichnamigen Familienschloss veranstaltet. Auch ein "Designer in Residence"-Programm gehört dazu.

Foto: Katharina Gossow

Nachdem der Regen wie eine Armee Duracell-Hasen auf die Autodächer geprasselt ist, kommt plötzlich die Sonne durch und spiegelt sich neben dicken Wolken in den Fenstern des nahen Franz-Josefs-Bahnhofs.

Vor dem Haus, in dem Alice Stori Liechtenstein wohnt, blitzen die nassen Straßenbahnschienen im Licht. Die Fassade des Hauses im neunten Bezirk sticht aus den anderen heraus. Und das nicht gerade im dekorativen Sinne. Denn im Unterschied zu all den schicken Vorderansichten der Gründerzeithäuser, die sich hier aneinanderreihen, ist diese alles andere als wohlgestaltet.

Angeblich wurde die Erscheinung des Hauses in den 1950er-Jahren aus Angst vor den Kommunisten herabgetunt. Was auch immer das genau bedeuten mag, Alice Stori Liechtenstein sagt, so habe man ihr die Fadesse der Fassade erklärt.

Betritt man das Haus, in dem sie seit vergangenem Jahr wohnt, sieht die Sache anders aus. Marmorsäulen schmücken das Entrée und das gesamte Stiegenhaus. Das Bild wirkt wie eine dreidimensionale prächtige Postkarte aus der Zeit des Großbürgertums. Nach Erklimmen des vierten Stockes – es gäbe schon einen Lift – erreicht man die Wohnung der Design-Kuratorin, in der sie unter der Woche mit zwei ihrer Kinder daheim ist, das dritte besucht mittlerweile in England die Schule.

Auf dem Bild über dem Esstisch ist ein Foto der Künstlerin Candida Höfer zu sehen, das die Bibliothek in der Uni von Dublin zeigt und sich gut als Hintergrund für Videocalls eignet.
Foto: Katharina Gossow

Jedes Wochenende und in den Ferien geht’s mit den Kids heim ins 1163 erstmals urkundlich erwähnte Schloss Hollenegg, wo ihr Mann den Forstbetrieb leitet, wenn er nicht auch mit in Wien ist. Seit 1821 ist das barocke Schloss im Besitz der Fürsten Liechtenstein. Doch dazu später.

Mittendrin

Als Stori Liechtenstein einem die Tür öffnet, steht man quasi schon nach dem ersten Schritt mittendrin in der Dachwohnung, die 180 Quadratmeter misst. Mittendrin heißt mitten in einem verwinkelten, aber trotzdem großzügigen Raum, der Küche, Wohnzimmer, Esszimmer und Salon umfasst. Von ihm aus geht es in die drei Kinderzimmer, das elterliche Schlafzimmer sowie die drei Badezimmer und auf die Terrasse, auf der die aus Bologna stammende Stori Liechtenstein schon morgens das charakteristische Geräusch hört, das Tennisbälle von sich geben, wenn sie zwischen zwei Schlägern hin- und hersausen.

Im Innenhof des Hauses sind tatsächlich Tennisplätze angelegt. Das stört die Bewohnerin keineswegs, ganz im Gegenteil, es erinnert sie an Urlaube im Süden. Auch die Dachschrägen der Wohnung empfindet sie nicht als unangenehm: "Den Kopf hab ich mir noch nicht angehaut." Noch nicht.

Hier zeigen sich das Schlafzimmer und ein weiterer Arbeitsplatz, hinter dessen Fenstern die Vöglein lautstark um die Wette zwitschern.
Foto: Katharina Gossow

"Früher", sagt Stori Liechtenstein, die der Liebe wegen nach Österreich kam, "war das ganze Dachgeschoß eine einzige Wohnung. Irgendwann wurden dann drei Einheiten daraus gemacht." Die Wohnung war die zweite, die sie sich auf der Suche nach einer Bleibe angeschaut hat. "Sie hat mir auf Anhieb sehr gut gefallen, doch ich dachte mir, man kann doch nicht gleich schon bei der zweiten unterschreiben. Also habe ich mich aus Gewissensgründen dazu gezwungen, noch fünf andere zu besichtigen, um dann doch wieder hier zu landen", erzählt sie weiter.

Ausgesuchte Gustostückerl

Der Stil der Wohnung ist schwer in eine Schublade zu stecken. Die Bleibe wirkt modern, durchdacht, mit einem ordentlichen Schuss Mid-Century und einem leicht konservativen, aber doch bunten Touch.

Fast erübrigt es sich zu sagen, dass die Kuratorin, die unter anderem die jährlich stattfindende Ausstellung Schloss Hollenegg for Design samt Symposien und Workshops ausrichtet, mit ausgesuchten Gustostückerln aus der Welt der Gestaltung lebt.

Ein Stelldichein geben sich ein Barhocker des experimentellen Designers Jerszy Seymour ebenso wie ein Tisch des Duos "Mischer Traxler", ein wundervoll abgewetztes Sofa von Massimo Vignelli, das aus dem Besitz der Mutter stammt, oder eine große silberne Palme des Künstlers Mario Schifano.

Die Gegenstände, die in die Wohnung kommen, wählt die Designfachfrau mit Bedacht. Nichts wird dem Zufall überlassen.
Foto: Katharina Gossow

An der Stirnseite des großen Esstisches, an dem Stori Liechtenstein gerne arbeitet, hängt ein Großformat der Fotografin Candida Höfer, das die Bibliothek der Universität von Dublin zeigt. " ‚Meine Biblothek‘ kommt vor allem als Hintergrund bei Videocalls sehr gut", erzählt die 1978 Geborene, die mit Designgalerien auf der ganzen Welt zusammenarbeitet, zum Beispiel jener von Friedman Benda in New York.

Wohnen als Gefühl

Wohnen bedeutet für Stori Liechtenstein ein Gefühl, im besten Fall ein gutes Gefühl bei so ziemlich allem, was man zu Hause tut, "egal ob man am Sofa sitzt, arbeitet oder liest. Licht zum Beispiel ist ja nicht nur etwas, das einen Ort erhellt, sondern auch Emotion erzeugt." Zu diesem Gefühl gehöre aber ebenso ein bewusstes Wahrnehmen der Dinge, mit denen man sich umgibt.

Und die hat Stori Liechtenstein wohl gewählt. "Auch nicht das kleinste Porzellanobjekt steht hier zufällig. Ich staple keine Bücher um der Bücherstapel willen, sondern schau mir alles ganz genau an und überlege gründlich, was es in meine Wohnung schafft und was nicht. Wohnen ist etwas Aktives und hat sehr viel mit der eigenen Persönlichkeit zu tun. Das ist vielen Menschen zu wenig bewusst. Auch wenn eine Wohnung für einen Außenstehenden skurril, kitschig oder sonst wie wirkt, wenn es zum Bewohner passt, dann ist es gut so."

Hier sind die Küche und die Eingangstüre zu sehen.
Foto: Katharina Gossow

Die Leidenschaft für Wohnumgebungen scheint der Designauskennerin in die Wiege gelegt worden zu sein. Sie erinnere sich genau an den ersten Umzug ihrer Familie, als sie vier Jahre alt war. Heute noch sieht sie die Kartons, den Lastwagen und die neue Wohnung vor sich.

Ein paar Jahre später schon versuchte sie der Mutter in Einrichtungsfragen dreinzureden, und auch den ersten Entwurf ihres Traumhauses hat sie immer noch vor Augen. "Es handelt sich um eine Wohnung auf einer Ebene mit einem oktogonalen Eingangsbereich, von welchem aus man die acht umliegenden Räume betreten kann. Darüber thront eine Kuppel ähnlich jener der Wiener Secession. Vielleicht baue ich das eines Tages."

Auf einer Ebene

Liechtenstein zieht das Wohnen auf einer Ebene vor, das gibt ihr den nötigen Überblick, und genau das schätzt sie auch an der Wiener Wohnung, die für sie einen liebgewonnenen Kontrast zum Leben auf dem Schloss darstellt. "Auch wenn es überheblich klingen mag, aber mein Mann und ich lebten die ersten Jahre in Graz, weil ich so einen Horror vor dem Leben auf dem Land und in einem Schloss hatte, wo man sich vor lauter Zimmern und Räumen nicht auskannte. Es gibt dort sogar eine Kirche."

Mittlerweile sieht sie es als großes Privileg, auf dem Schloss mit seinem Renaissance-Innenhof leben zu dürfen. "Aber ich liebe Menschen und die Stadt um mich herum. Das ist mir während der Pandemie einmal mehr so richtig klar geworden. Ich mag sogar die Geräusche, die von Nachbarn stammen. Es ist einfach wunderbar, beides zu haben,", sagt Liechtenstein und schießt nach: "vor allem für jemanden, der im Sternzeichen des Zwillings geboren wurde." (Michael Hausenblas, RONDO exklusiv, 11.6.2021)

Das gilt auch für das alte, abgewetzte Sofa, das einst bei ihrer Mutter stand.
Foto: Katharina Gossow
Verwinkelt und doch großzügig kommt die 180 Quadratmeter große Mietwohnung unter dem Dach eines Gründerzeithauses rüber. "Wohnen", so sagt sie, "hat sehr viel mit der eigenen Persönlichkeit zu tun", und meint, das sei viel zu wenigen Menschen bewusst.
Foto: Katharina Gossow