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Fluchtachterl
Foto: Sion Ap Tomos

Pro
von David Krutzler

Der Fall ist ganz klar: Wie kann man nur gegen ein Fluchtachterl sein? Das ist zum Beispiel dem Reparaturseidl aber so was von vorzuziehen. Auch wenn natürlich eines zum anderen führen kann: Das Fluchtachterl, unvorsichtig im Plural genossen, kann im Reparaturseidl enden. Aber das Hervorragende ist: Beim Fluchtachterl im Hier und Jetzt ist ein potenzielles Reparaturseidl der Zukunft nicht existent.

Das erste Fluchtachterl nach dem monatelangen Gastro-Lockdown etwa hat ein Gefühl der Erhabenheit ausgelöst. Ein Augenblick, so schön, der zum Verweilen geradezu aufgefordert hat. Ein Moment zum Festhalten – mit fast vergessenen Düften, Geräuschen und Gesprächen.

Wenn das Auseinandergehen schwer wird, verschiebt das letzte Getränk den unausweichlich drohenden Abschied. Nur einmal noch. Es werden dann Worte fallen, die zuvor nicht formuliert werden konnten. Gesten geformt, die unbewusst unterdrückt wurden.

Das Fluchtachterl feiert das Leben und das Jetzt. Und es urteilt nicht. Da kann ein Mensch einfach nur Mensch sein. Ob mit Frucade oder Eierlikör.

Kontra
von Margarete Affenzeller

Es gilt: Wenn es am schönsten ist, soll man aufhören. Diese Weisheit haben Generationen vor uns aufs Neue bestätigt. Nur äußerst selten ist es jeweils danach noch besser geworden. Eher schlimmer! Seien wir ehrlich, ein Fluchtachterl markiert immer das Tor zum schiachen Abgang. Und dann reut es das katholisch gelernte Herz am nächsten Tag wieder bitterlich.

Abschiede sollen bitte begossen werden, aber schon das Achterl davor darf dafür vollinhaltlich geltend gemacht werden. Das barocke Gemüt will halt immer noch mehr und kann sich vom goldenen Zapfhahn nicht trennen. Und wir sehen ja, wohin das führt. Menschen glauben dann ein Leben lang, ein bisserl was geht immer noch. Falsch gedacht.

Sachen in die Länge zu ziehen ist unnötig und entscheidungsschwach. Bei näherer Betrachtung kann es sich nur um eine österreichische Erfindung handeln: Schluss machen, aber doch nicht ganz.

Indes müssen wir froh und dankbar sein, dass sich im Gegensatz zum Fluchtachterl der Begriff Scheidebecher (Grillparzer, geh bitte!) in unseren Breiten nie durchgesetzt hat. (RONDO exklusiv, 4.5.2022)