Freund des schönen Klangs: Semyon Bychkov.

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Wäre Karl Valentin ein Musikhistoriker um die letzte Jahrtausendwende gewesen, hätte er behaupten können: "Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen." Hätte er dann im Wiener Konzerthaus das neue Konzert für zwei Tasteninstrumente und Orchester (2017) von Bryce Dessner gehört, wäre Valentin vielleicht aufgefallen, dass schon das G-Dur-Klavierkonzert von Maurice Ravel (1931) mit einem Peitschenknall beginnt und das neue Stück diesen Effekt ausnutzt. Leider bis zum Überdruss.

Natürlich gab es auch Gelegenheit für die Pianistinnen Katia und Marielle Labèque, mit Repetitionen, Kaskaden und ganzen Tontraubenfruchtkörben virtuos zu glänzen. Doch ist das Stück kaum mehr als eine fröhliche Spielwiese der Beliebigkeit: Da fallen nicht nur endlos wiederholte simple Melodiefragmente und bunte Schlagzeugaktionen auf. Da ist auch ein orchestraler Dauerklangteppich, der einen Grundton harmonischen Wohlklangs mit Dissonanzen würzt – so gekonnt, wie das beim systemgastronomischen Showkochen zu beobachten ist. Im Satz, dass Bryce Dessner auch Filmmusik schreibe, ließe sich das "auch" durchaus weglassen.

Nett, aber ohne Dringlichkeit

Fast zwei Jahrhundert früher schrieb Felix Mendelssohn Bartholdy seine Symphonien, die im Mittelpunkt der Porträtkonzerte der Tschechischen Philharmonie dieser Saison im Konzerthaus stehen (sollten). Das Problem, dass kurz zuvor Beethoven die symphonische Gattung bis an die Grenzen ausgereizt hatte, begegnete Mendelssohn mit klassizistischer Souveränität und schrieb nette Musik, meist aber eher ohne existenzielle Dringlichkeit.

Man kann sich in einer Interpretation mit diesen Themen auseinandersetzen. Man kann allerdings einfach die Stücke virtuos und klangschön zur Geltung bringen. Dirigent Semyon Bychkov tat mit der Tschechischen Philharmonie bei der 3. Symphonie ("Schottische") ebendies auf hohem Niveau – jedoch mit quasi unverbindlicher Perfektion. Natürlich: Nach einer langen Phase ohne Livekonzerte lässt sich schon dessenthalben sehr dankbar sein. Und es gibt ja immer auch ein nächstes Mal. (daen, 1.6.2021)