Birgit Minichmayr mit "ihrer" Combo Quadro Nuevo. Rechts Komponist Bernd Lhotzky.

Sascha Kletzsch

Wär’s ein Theaterstück, könnte es sich um eine Szene in einer Kellerkneipe handeln: Das Bierglas, das vor einem steht, ist vor lauter Rauch nur noch schemenhaft zu erkennen. Auch hören nur Tischgenossen die vergiftete Lobpreisung, welche die heisere Stimme über ihr Objekt der Begierde raunt: "My mistress’ eyes are nothing like the sun ...", würgt es Birgit Minichmayr heraus – unter Beimischung leichten Ekels.

Minichmayr nimmt den ruppigen Ausdruck auch in tiefere Stimmregionen mit. In ihrer rauchigen "Mistress"-Beschreibung scheint sich schließlich auch ein Hauch von unterdrückter Aggressivität zu mischen. Zuneigung hat ja so viele ambivalente Gesichter ...

Der Theatermoment

Dass – obwohl es sich nur um einen Song handelt – eine ganze Szene imaginiert werden kann, ist ihrem quasi schauspielerischen Zugang zum Gesanglichen zu danken. William Shakespeares My Mistress’ Eyes (Sonett Nr. 130) wird bei Minichmayr zum Theatermoment, den Tangorhythmen und Saxofonsoli nicht mit gefälligen Farben verhindern können. Aber davon später.

Minichmayr, die gegenwärtig Maria Stuart für die Salzburger Festspiele probt, kann ihr Ausdrucksrepertoire auch abseits des Derben aktivieren. Extrem formuliert: Aus Lady Macbeth kann durchaus Ophelia werden, wenn sie zum Finale ihrer Einspielung As An Unperfect Actor etwa How Like A Winter als Exempel lakonisch dargebotener, melancholischer Poesie haucht.

Keine neue Erfahrung

Die neun (der 154) Shakespeare-Sonette, die Pianist Bernd Lhotzky vertont hat, sind nicht der erste Versuch der Schauspielerin, als Vokalistin in Erscheinung zu treten. Da gab es den Song Auflösen mit Campino von den Toten Hosen. Und der Tiroler Elektroniker und Komponist Wolfgang Mitterer integrierte Minichmayrs markante Stimme bereits 2008 in seine reizvoll experimentelle Einspielung Sopop.

Recht gefällig

Nicht nur im Vergleich zu dieser exzentrischen Arbeit mutet die neue Einspielung – ihrer Arrangements wegen – bisweilen bis zur Trivialität geglättet an. Die von Quadro Nuevo gediegen umgesetzten Stücke bewegen sich zwischen Cocktail-Jazz (Mine Eye Hath Played The Painter), Chansons und gefälligem Tangoflair, was bei substanzvollen Balladen kaum störend wirkt (etwa bei When In Disgrace).

Bisweilen, wenn weder Stück noch Arrangement Substanz aufweisen, zieht die Musik Minichmayr allerdings in Bereiche des reinen Buchstabierens herab. Unentschlossen klingt es dann, wie bei Sin Of Self-Love (Sonett Nr. 62). Da zeigt sich: Jener Vorteil, kein Routinier des Vokalen zu sein, wird in kitschiger Umgebung zum Nachteil. Es scheint dann nicht mehr um das Erwecken der Geschichten zu gehen, sondern nur noch um das Aufrechterhalten von Tonhöhe und schmusiger Stimmung.

Glaubwürdig und stark

So erbringt Minichmayr in gelungener und zugleich auch gegenteiliger Art und Weise den Beweis für die ewige These: Songs klingen am glaubwürdigsten und stärksten, wenn Interpreten das Gefühl vermitteln, es würde das Gesungene quasi im Augenblick als neue Erzählung entstehen und erlebt werden. As An Unperfect Actor liefert dafür nicht überall, aber doch einige Belege, Minichmayr taucht tief in die Seele der Sonette ein. Die Musiker folgen ihr auf diesem Weg jedoch nur sporadisch. (Ljubiša Tošic, 1.6.2021)