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Seit fünf Jahren gibt es wieder Wolfsnachwuchs auf österreichischem Bundesgebiet – eine Entwicklung, die durchaus Vorteile hat.
Foto: AP/Jacob W. Frank/National Park Service

Nachdem Österreich von Wölfen lange Zeit allenfalls als Durchzugsgebiet betrachtet worden war, ist spätestens Anfang 2016 erstmals wieder ein Pärchen hierzulande sesshaft geworden. Im folgenden August kamen auf dem Truppenübungsgelände in Allentsteig vier Junge zur Welt, wahrscheinlich die ersten seit mehr als hundert Jahren auf österreichischem Staatsgebiet. Trotz dieses Erfolgs steht die heimische Wolfpopulation auf tönernen Beinen. Neben ihrer geringen Anzahl dürften wohl auch gewisse Vorbehalte gegen die Rückkehr der großen Beutegreifer ein Grund für ihren wackeligen Status sein.

Zuletzt drei Rudel

Immerhin sind es mittlerweile drei Wolfsfamilien, die im westlichen Waldviertel und im Grenzgebiet zu Oberösterreich und Tschechien zumindest vorübergehend eingezogen sind: Neben jenem in Allentsteig fanden sich im Vorjahr Belege für zwei weitere Rudel, eines in Harmanschlag und eines bei Gutenbrunn. Diese beiden sind allerdings nicht ident mit zwei Rudeln, die 2018 bei Karlstift und nahe Litschau beobachtet worden waren, dann aber wieder verschwanden.

Insgesamt geht man derzeit aufgrund von DNA-Untersuchungen von rund 40 Individuen aus, trotz des mysteriösen Rudelschwundes waren es 2019 auf dem gesamten Bundesgebiet noch 48 nachgewiesene durchreisende und sesshafte Wölfe. Für die sinkenden Zahlen machen Experten unter anderem illegale Abschüsse verantwortlich.

Nachweise von Wölfen in Österreich im Jahr 2020.
Grafik: Büro für Wildökologie/G. Rauer

Begründet wird die Ablehnung bei einigen Vertretern von Landwirtschaft und Jagd häufig mit Schäden, die Wölfe Jahr für Jahr insbesondere bei den Schafbauern verursachen. Dem widersprechen Umweltschützer und verweisen auf die im Verhältnis geringe Zahl von Nutztieropfern. Tatsächlich stehen für 2020 den 400.000 in Österreich gehaltenen Schafen 262 Wolfsrisse gegenüber, erklärte der WWF im vergangenen März. Bis zu 10.000 Schafe kommen dagegen jedes Jahr durch Unwetter, Steinschlag oder Krankheiten um.

Kaum Angriffe auf Menschen

Andere wiederum befürchten, dass der Wolf auch für den Menschen selbst eine Gefahr darstellt. Doch auch dagegen spricht die Statistik: Eine Forschungsgruppe des Norwegischen Instituts für Naturforschung (NINA) hat sich im Vorjahr genauer angesehen, wie häufig Wolf und Mensch in den letzten Jahrzehnten unmittelbar aneinandergeraten sind. Zwischen 2002 und 2020 zählten die Forscher weltweit 491 Angriffe durch Wölfe, 26 davon endeten tödlich.

Der Großteil davon ereignete sich in der Türkei, im Iran und in Indien, bei fast 80 Prozent dieser Attacken litten die Tiere an Tollwut. In Europa und Nordamerika allein waren in diesen 18 Jahren 14 Menschen von Wölfen angegriffen worden, zwei Personen kamen ums Leben. Die Wahrscheinlichkeit, in unseren Breiten von einem Wolf angefallen zu werden, ist also denkbar gering – und doch stehen in der Diskussion um seine Wiederkehr stets die Gefahr und der wirtschaftliche Schaden im Vordergrund.

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Wölfe nutzen gerne lineare Merkmale einer Landschaft als Bewegungskorridore. Dazu zählen auch Straßen. Ihre Beutetiere lernen das schnell und halten sich entsprechend fern.
Foto: AP/Tim Bartlett

Wölfe retten Menschenleben

Was dagegen kaum bedacht wird, ist die Tatsache, dass die Anwesenheit des Wolfes auch Vorteile bringt – in gewisser Hinsicht sogar Leben retten kann: In den USA hat sich gezeigt, dass dort, wo die Räuber wieder Fuß gefasst haben, Verkehrsunfälle mit Wildbeteiligung deutlich zurückgegangen sind.

Dieses bereits in mehreren Regionen beobachtete Phänomen hat nun ein Team um Jennifer L. Raynor von der Wesleyan University im US-Bundesstaat Connecticut auch anhand von Zahlen belegt. Die Forscher haben Daten über Verkehrsunfälle mit Wild und Wolfsbewegungen in Wisconsin gesammelt und konnten auf dieser Grundlage quantifizieren, wie die dort sesshaft gewordenen Wölfe die Häufigkeit von Kollisionen zwischen dem lokalen Beutewild – in diesem Fall Weißwedelhirsche (Odocoileus virginianus) – und Fahrzeugen beeinflusst haben.

"Korridore der Angst"

"Es zeigte sich, dass innerhalb kurzer Zeit nach der Ansiedlung der Wölfe die Unfälle mit Wild um rund 24 Prozent zurückgingen", sagt Dominic Parker, Koautor der im Fachjournal "Pnas" veröffentlichten Studie. Der Grund dafür sei einerseits die Ausdünnung der lokalen Wildpopulation durch die Wölfe, vor allem aber Verhaltensänderungen der Beutetiere durch die Anwesenheit der Räuber, sagt Parker.

"Wölfe nutzen lineare Merkmale einer Landschaft als Bewegungskorridore. Dazu zählen Straßen, Wege und Pipelines ebenso wie etwa Bachbette. Hirsche lernen dies schnell und können sich anpassen, indem sie sich von solchen Strukturen fernhalten", erklärt der Ökonom von der University of Wisconsin. Es entstünden gleichsam "Korridore der Angst", die das Wild zunehmend meidet. Das deutet auch darauf hin, dass Jäger nicht denselben Effekt hätten, wenn sie einfach genauso viel Wild schießen würden, wie es die Wölfe erbeuten.

Wirtschaftlicher Gewinn

"Die meisten wirtschaftlichen Studien zu Wölfen beschäftigen sich nur mit den negativen Auswirkungen und konzentrierten sich auf Verluste bei Nutztieren", sagt Dave Mech, leitender Forscher des U.S. Geological Survey in Minnesota, der nicht an der aktuellen Studie beteiligt war. "Aber Wölfe verändern Ökosysteme in vielerlei Hinsicht, was wirtschaftlich bisweilen schwer fassbar ist." Einige Studien befassten sich in der Vergangenheit mit den Einnahmen, die durch Touristen generiert werden, die beispielsweise zur Wolfsbeobachtung in den Yellowstone National Park kommen. Dieses Geld komme allerdings nur selten den lokalen Kommunen zugute, meint Jennifer Raynor.

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Wildwechsel kann im schlimmsten Fall für alle Beteiligten tödlich enden. Leben Wölfe in der Gegend, reduziert sich die Anzahl der Unfälle mit Wildbeteiligung.
Foto: AP/Jim Cole

Pumas haben einen ähnlichen Effekt

Die Untersuchung aus Wisconsin lässt allerdings darauf schließen, dass die Anwesenheit der Wölfe auch anderweitig Geld sparen hilft – ganz abgesehen vom Rückgang bei Todesfällen im ländlichen Straßenverkehr. Im Jahr 2008 kam eine Analyse des US-Verkehrsministeriums zu dem Schluss, dass durch Unfälle mit Wild jährlich ein Schaden von mehr als acht Milliarden US-Dollar entsteht. Der Effekt ist auch bei anderen großen Raubtieren zu beobachten: Eine Studie aus dem Jahr 2016 ergab, dass auch die Wiederansiedlung von Pumas die Zahl der Unfälle mit Wild im Osten der USA um etwa 22 Prozent verringern konnte.

Ähnliche Effekte darf man sich in Österreich bei der Handvoll Wölfe vermutlich noch nicht erwarten. Was die Haltung gegenüber der Ausbreitung des großen Beutegreifers betrifft, könnte die aktuelle Studie aber ein Umdenken in vor allem wirtschaftlich orientierten Kreisen anstoßen. In der breiten Bevölkerung war die Ankunft des Wolfes in den letzten Jahren ohnehin bereits mehrheitlich wohlwollend aufgenommen worden: Bei Umfragen 2017 in Österreich und 2019 in Deutschland stand der Großteil der Befragten der Rückkehr des Wolfes positiv gegenüber – auch wenn der Rückhalt zuletzt weniger zu werden schien. (tberg, 7.6.2021)