Das Liebesleben von Insekten ist notorisch vielgestaltig: Das Spektrum reicht von stundenlangen Paarungsflügen, wie bei manchen Libellenarten, bis zum fallweise fatalen Ausgang, wie für die Männchen der Gottesanbeterinnen. Die tropische Ameisenart Cardiocondyla obscurior ist diesbezüglich buchstäblich zu Fuß unterwegs, denn sie verzichtet im Unterschied zu den meisten anderen Ameisenspezies auf einen Hochzeitsflug.

Dafür weist ihre Fortpflanzungsbiologie andere Besonderheiten auf, die seit einiger Zeit am Institute of Science and Technology (IST) Austria erforscht werden: Unter anderem bringt sie zwei Männchen-Typen hervor, die sich sowohl äußerlich als auch "charakterlich" unterscheiden. Gemeinsam ist ihnen beiden, dass der Sex mit ihnen das Leben der Königinnen verlängert.

Bei der tropischen Ameisenart Cardiocondyla obscurior gibt es drei Geschlechter: Arbeiterinnen (seitlich), Männchen (Mitte) und Königinnen.
Foto: IST / Sina Metzler und Roland Ferrigato

Besondere Fortpflanzung

Der weitaus größte Teil der mehr als 13.000 beschriebenen Ameisenarten weltweit lebt in den Tropen, darunter auch Cardiocondyla obscurior. Die Vertreter der Art, deren Ursprung noch nicht ganz geklärt ist, die aber wohl aus dem südostasiatischen, tropischen oder subtropischen Raum stammt und mittlerweile auch in andere Teile der Welt verschleppt wurde, sind winzig: Eine Arbeiterin misst gerade einmal 1,5 Millimeter, während es eine Königin immerhin auf 1,8 Millimeter bringt.

Sie leben in kleinen Kolonien von einigen Dutzend bis ein paar Hundert Arbeiterinnen und einer bis mehreren Königinnen in verschiedenen Hohlräumen an Büschen und Bäumen und ernähren sich sowohl von tierischer als auch von pflanzlicher Kost. Wissenschaftlich interessant sind sie vor allem durch ihre Fortpflanzungsbiologie.

Prinzipiell gibt es in einem Ameisenstaat drei "Geschlechter": die "echten" Weibchen bzw. Königinnen, Männchen, die meist kurz nach der Paarung sterben, und unfruchtbare weibliche Tiere, die Arbeiterinnen, die den weitaus größten Teil der Kolonie ausmachen. Die Königin paart sich nur einmal zu Beginn ihres Lebens.

Das dabei übertragene Sperma bewahrt sie in einer Körperhöhle, der Spermathek, auf und verwendet es ihr ganzes restliches Dasein zur Befruchtung der Eier. Dabei entscheidet sie selbst über deren Geschlecht: Befruchtete Eier entwickeln sich zu Arbeiterinnen oder Königinnen, unbefruchtete zu Männchen. Wie sie diese Entscheidung trifft, ist ungeklärt.

Nachkommensproduktion

Die Paarung der Geschlechtstiere findet bei den meisten Ameisenarten im Zuge eines sogenannten Hochzeitsfluges statt. Dabei schwärmen die – zu diesem Zeitpunkt noch beflügelten – Weibchen und Männchen gemeinsam aus und finden sich zur Kopulation zusammen. Danach werfen die Königinnen ihre Flügel ab, suchen sich eine geeignete Stelle und beginnen mit der Produktion von Eiern, aus denen zuerst nur Arbeiterinnen schlüpfen. Wenn genügend Arbeiterinnen vorhanden sind, besteht die einzige weitere Tätigkeit der Königin in der Produktion von Nachkommen. Die männlichen Tiere sterben bei den meisten Arten nach der Paarung.

Bei Cardiocondyla obscurior hingegen ist alles ein bisschen anders. Zum Ersten gibt es keinen Hochzeitsflug: Die zukünftigen Königinnen haben beim Schlupf zwar Flügel, wurden aber noch nie im Flug beobachtet, sondern paaren sich im mütterlichen Nest, wie Sina Metzler erklärt, die am IST Austria ihre Dissertation über die Art schreibt. Stattdessen werfen sie ihre Flügel nach der Paarung ab und ziehen mit ein paar Arbeiterinnen zu Fuß aus, um eine neue Kolonie zu gründen.

Cardiocondyla obscurior ist ein Winzling, was vor allem beim Vergleich mit anderen Ameisenarten offensichtlich wird. Hier ist sie neben der auch nicht gerade riesigen Ameisenart Myrmica rubra zu sehen.
Foto: Roland Ferrigato und Sina Metzler /IST Austria

Zwei Arten von Männchen

Auch die Männchen unterscheiden sich deutlich vom "klassischen" Modell: Sie können nämlich in zwei Varianten auftreten, und zwar mit und ohne Flügel. Jene ohne Flügel patrouillieren das ganze Jahr über durch die Kolonie – immer auf der Suche nach frisch geschlüpften Königinnen. Dabei dulden sie keine Konkurrenz: Treffen zwei solche Exemplare aufeinander, kommt es zu einem Kampf auf Leben und Tod. Der Sieger aus all solchen Begegnungen kann sich im Laufe seines Lebens mit vielen Weibchen paaren.

Bei ungünstigen Bedingungen hingegen, wie Kälte oder schlechten Nistbedingungen, bringt C. obscurior geflügelte Männchen hervor, die ausgesprochen friedfertig sind. Auch diese sind auf der Suche nach Paarungspartnerinnen, werden von ihren "toxischen" Brüdern aber nicht attackiert. Das liegt daran, dass sie während der ersten zehn Tage ihres Lebens so riechen wie junge Königinnen. Nach Ablauf der Frist verlassen sie das Nest und suchen sehr wahrscheinlich in anderen Kolonien nach Kopulationschancen.

Im Unterschied zu manchen anderen Insektenarten wirkt sich die Paarung auf die Weibchen von C. obscurior positiv aus: Männliche Fruchtfliegen etwa übertragen mit dem Sperma ein Protein, das bei ihren Partnerinnen zu erhöhter Eiablage führt, gleichzeitig aber deren Leben verkürzt. Bei C. obscurior ist das Gegenteil der Fall: Verpaarte Königinnen haben mit 6,5 Monaten eine um acht Wochen höhere Lebenserwartung als jungfräuliche. Noch ausgeprägter ist dieser Effekt bei Paarungen mit einem geflügelten Partner: In diesem Fall können die Weibchen bis zu acht Monate alt werden. Bei den Männchen liegen die Verhältnisse genau umgekehrt: Wie Metzler und Kollegen zeigen konnten, ist ihre Lebensspanne desto kürzer, je mehr sexuelle Aktivität sie entfalten.

Vererbte Immunität

In ihrer Doktorarbeit widmet sich Metzler nun einem weiteren Aspekt der Fortpflanzungsbiologie von C. obscurior, nämlich wie sich ein Krankheitserreger darauf auswirkt. Als Modellorganismus dient der bodenbewohnende Pilz Metarhizium robertsii , der zahlreiche Insektenarten befällt. Wenn die Sporen des Pilzes mit einem Insekt in Kontakt kommen, heften sie sich daran fest und wachsen in das Tier hinein. Während der Pilz sich dort vermehrt, setzt er Giftstoffe frei, die seinen Wirt letztlich umbringen. Metzler will nun herausfinden, inwieweit sich eine Infektion mit Metarhizium auf das Paarungsverhalten der Ameisen auswirkt.

Zu diesem Zweck etabliert sie im Labor kleine Versuchskolonien von einer Königin und 20 Arbeiterinnen, die sie in einer Avocado-Plantage auf Teneriffa gesammelt hat. Je nach Versuch werden Weibchen und/oder Männchen mit dem Pilz beimpft. Die IST-Forscherin will unter anderem herausfinden, ob Jungköniginnen Paarungen mit einem kranken Partner vermeiden.

Alternativ wäre nämlich auch denkbar, dass die Kolonie von einer Ansteckung der Königin mit einer geringen Infektionsdosis sogar profitieren könnte: "Wir wissen, dass es etwa bei Hummeln einen Transfer von Immunität auf den Nachwuchs gibt, wenn die Mutter vor der Eiablage krank war", erklärt Metzler, "und wir wollen wissen, ob bei C. obscurior Kontakt zum Krankheitserreger entweder durch Mutter oder Vater die nächste Generation gegen die Krankheit schützt." (Susanne Strnadl, 5.6.2021)