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Giovanni Brusca bei seiner Festnahme im Mai 1996.

Reuters / Tony Gentile

Im sizilianischen Dialekt nannten sie ihn "u verru", das Schwein. Erarbeitet hatte sich Giovanni Brusca seinen Spitznamen mit der extremen Brutalität und Rücksichtslosigkeit, mit welcher er sich bis Mitte der Neunzigerjahre zu einem gefürchteten Mafiaboss hochgemordet hatte. Die rechte Hand des einstigen Super-Paten Totò Riina hatte bis dahin weit über hundert Menschen eigenhändig ermordet oder deren Liquidierung in Auftrag gegeben.

Wie viele Morde es genau waren, weiß er nicht, irgendwann hatte Brusca aufgehört, seine Opfer zu zählen. "Ich erinnere mich nicht mehr an alle, die ich umgebracht habe. Sicher waren es viel mehr als hundert, aber bestimmt weniger als zweihundert", schrieb er in seiner Biografie "Ho ucciso Giovanni Falcone" (Ich habe Giovanni Falcone getötet).

Der Richter und Mafiajäger Falcone war sein prominentestes Opfer: Brusca war es, der in Riinas Auftrag am 23. Mai 1992 die Bombe auf der Autobahn nach Palermo zündete, die den Richter, seine Frau und drei Männer seiner Eskorte zerfetzte.

Bub aus Rache getötet

Wenige Monate zuvor hatte Brusca, zusammen mit seinem Bruder Enzo, den zwölfjährigen Giuseppe Di Matteo entführt, sie hielten ihn zwei Jahre lang gefangen, um ihn dann zu erwürgen und seine Leiche in Salzsäure aufzulösen. Giuseppe musste sterben, weil sein Vater, ebenfalls ein Mafioso, bei den Carabinieri "gesungen" hatte. Bruscas Mordlust machte nicht einmal vor schwangeren Frauen halt.

"Das Schwein" begann nach seiner Verhaftung 1996 ebenfalls auszupacken. So wurde der Killer zu einem wichtigen Kronzeugen späterer Mafiaprozesse; dank seiner Aussagen konnten zahllose ranghohe Mitglieder der Cosa Nostra hinter Schloss und Riegel gebracht werden.

In seinen eigenen Prozessen wurde Brusca zu mehreren Hundert Jahren Gefängnis verurteilt, doch dank seiner Zusammenarbeit mit der Justiz wurde seine Strafe auf 30 Jahre reduziert; außerdem kam er in den Genuss diverser Hafterleichterungen, wie es das Gesetz für die "pentiti", die reuigen Mafiosi, vorsieht. Dank guter Führung erhielt der heute 64-Jährige einen weiteren Strafnachlass von fünf Jahren und konnte am Sonntagabend das Römer Rebibbia-Gefängnis als freier Mann verlassen.

Heftige Kritik

Die Freilassung des Serienkillers, der für seine Taten nie aufrichtig Reue gezeigt und sich bei den Familien seiner Opfer auch nie entschuldigt hatte, löste in Italien heftige Reaktionen aus. "Dass ein Mörder wie Brusca nach nur 25 Jahren das Gefängnis verlassen kann, raubt mir den Atem: Das ist ein Affront für die Familien aller Opfer und Staatsdiener, die ihren Kampf gegen die organisierte Kriminalität mit dem Leben bezahlt haben", kritisierte die Chefin der postfaschistischen Fratelli d'Italia, Giorgia Meloni. Der Chef der rechten Lega, Ex-Innenminister Matteo Salvini, erklärte, dass das Land keine solche Justiz verdiene.

Auch viele Opferangehörige zeigten sich entsetzt. "Man sagt der Justiz ein paar Worte, und dann wird man freigelassen? Was ist das für ein Staat?", fragte sich Rosaria Schifani, deren Mann Vito als Leibwächter von Falcone das Leben verlor. Mit der Freilassung von Brusca werde das unermessliche Leid der Angehörigen mit Füßen getreten.

Auch Maria Falcone, die Schwester des ermordeten Mafiajägers, sagte, dass ihr die Freilassung Bruscas großen Schmerz bereite, fügte aber hinzu, dass das Kronzeugengesetz dies nun einmal vorsehe. Und ihr ermordeter Bruder Giovanni sei selbst ein "überzeugter Befürworter" dieses Gesetzes gewesen.

Tatsächlich wären die Erfolge bei der Bekämpfung von Cosa Nostra, Camorra und 'Ndrangheta ohne das "Pentiti"-Gesetz nicht vorstellbar. (Dominik Straub aus Rom, 1.6.2021)