Im Gastkommentar ärgert sich Georg Kury über das Zögern und Bremsen der Wirtschaftskammer beim Klimaschutz.

Das Klimaschutzpaket von Ministerin Leonore Gewessler (Grüne) stößt bei den Kammervertretern auf wenig Gegenliebe.
Foto: APA / Helmut Fohringer

Was wäre, wenn der Wirtschaftskammer die Zukunft der Wirtschaft am Herzen läge?
DER STANDARD berichtete über ein Analysepapier der Wirtschaftskammer zu dem Entwurf des in Ausarbeitung befindlichen Klimaschutzgesetzes (siehe "WKO zu Entwurf des Klimagesetzes: 'Äußerst problematisch', teils 'untragbar'", "Aussagen der Wirtschaftskammer zum Klimaschutz sorgen für dicke Luft"). Darin befürchtet die Wirtschaftskammer, dass das Gesetz erheblichen Druck aufbauen würde, die im Regierungsübereinkommen der türkis-grünen Regierung vereinbarte Klimaneutralität bis 2040 tatsächlich zu erreichen. Und es wird weiters befürchtet, die Festschreibung der Klimaneutralität und des dazugehörigen Pfads der Reduktion der Treibhausgase in der Verfassung würde auch zukünftige Regierungen auf dieses Ziel festlegen.

Kein Zögern

Ich habe als Meteorologe und Unternehmer daraufhin in einer E-Mail der Wirtschaftskammer mitgeteilt, dass ich meine aktuell vorgeschriebenen Kammerbeiträge vorerst nicht einzahlen werde. Meine Beweggründe für diese Notfallmaßnahme sind die folgenden:

Ein stabiles Klima, das unseren Lebensraum nicht unentwegt weiter aufheizt, ist nur mit Klimaneutralität, also einem Gleichgewicht zwischen dem Entweichen von Treibhausgasen in die Atmosphäre und der Aufnahme der Treibhausgase an der Erdoberfläche, zu erreichen. Das lässt auf lange Sicht ein Verbrennen von fossilen Energieträgern nicht zu. Dabei bestimmen der Zeitpunkt und die Schnelligkeit des Ausstiegs aus Kohle, Erdöl und Erdgas das Maß der Erderhitzung. Wird dieser Ausstieg zu lange hinausgezögert, können Kipppunkte erreicht werden, bei denen wir die Kontrolle über das Klima vollständig verlieren.

Keine politische Vorgabe

Im Regierungsübereinkommen wurde daher wissenschaftlich fundiert und aus Verantwortung gegenüber den nächsten Generationen das Erreichen der Klimaneutralität bis 2040 festgeschrieben. Dieses Ziel müssen Unternehmerinnen und Unternehmer als physikalische und nicht als politische Vorgabe verstehen lernen und darauf ihre wirtschaftliche Strategie ausrichten. Ein Aufweichen dieses Ziels würde vielleicht die erforderliche Umstrukturierung der Wirtschaft um wenige Jahre hinauszögern, aber am Ergebnis nichts ändern.

Die Europäische Union hat das Ziel für die Treibhausgasreduktion bis 2030 auf 55 Prozent gegenüber 1990 nachgebessert, und auch Deutschland hat aufgrund eines bahnbrechenden Urteils des Bundesverfassungsgerichts sein Reduktionsziel bis 2030 auf mindestens 65 Prozent und bis 2040 auf mindestens 88 Prozent gegenüber 1990 angehoben.

Klimabewusst reisen

Da Deutschland der größte Handelspartner Österreichs ist, muss sich die österreichische Wirtschaft – ob gewollt oder nicht – auf tiefgreifende Veränderungen einstellen. Ein Tiroler Vertreter der Seilbahnwirtschaft hat einmal sinngemäß gesagt, die deutschen Touristinnen und Touristen sind entscheidender als die "Rülpser" aus Wien. Man stelle sich vor, die deutschen Touristinnen und Touristen wollen klimabewusst mit Bahn und Bus zu den österreichischen Urlaubsorten reisen. Sind die österreichischen Urlaubsregionen dafür gerüstet? Ebenso wird das Auslaufen des Verbrennungsmotors nicht mit einem offenen Brief der österreichischen Zulieferindustrie an den Bundeskanzler entschieden, sondern von deutschen Automobilherstellern. Man stelle sich vor, es gäbe in Deutschland zusätzlich auch noch eine grüne Kanzlerin oder Vizekanzlerin nach der Bundestagswahl im September – die aktuellen Umfragen geben das her.

Anstatt also auf Biegen und Brechen alte Strukturen – auch mit dem Hinweis auf eine angebliche Technologieoffenheit – zu erhalten und der Erdölindustrie Rabatte auf die Kammerbeiträge zu gewähren, wäre es für die Funktionärinnen und Funktionäre der Wirtschaftskammer dringend notwendig, die von ihnen betreuten Unternehmen klar auf die bevorstehende Umstrukturierung vorzubereiten. Auch ist es für den raschen Ausbau der erneuerbaren Energieträger erforderlich, einen Rechtsanspruch auf Klimaschutz gesetzlich zu verankern. Dieser Rechtsanspruch wird in dem Analysepapier der Wirtschaftskammer abgelehnt, obwohl gleichzeitig erkannt wird, dass Verfahrensbeschleunigungen für erneuerbare Energien für das Erreichen der Klimaziele wesentlich sind.

Keine Vorstellungskraft

Ebenso wichtig wäre es angesichts des eindeutigen Zielpfades, die Unternehmerinnen und Unternehmer vor Fehlinvestitionen zu warnen. Es ist kontraproduktiv, kleine Gewerbetreibende dazu aufzufordern, noch schnell vor Einführung der Normverbrauchsabgabe für Nutzfahrzeuge mit Verbrennungsmotor einen Diesel-Kleintransporter zu kaufen, wenn eine zunehmende Ausdünnung des fossilen Tankstellennetzes und Fahrbeschränkungen für Dieselfahrzeuge in den Städten am zeitlichen Horizont aufziehen.

Letztlich braucht es bei der bevorstehenden Veränderung vor allem Vorstellungskraft, wie diese klimaneutrale Welt aussehen würde, und Entschlossenheit, die politischen Rahmenbedingungen für die Umstrukturierung vorausschauend zu gestalten. Beides fehlt derzeit bei vielen Funktionären der Wirtschaftskammer. Möge es zu einem Umdenken kommen, damit die nachhaltigkeits- und zukunftsorientierten Unternehmerinnen und Unternehmer wieder guten Gewissens ihre Kammerbeiträge zahlen können. (Georg Kury, 3.6.2021)