"Die machen Schaffelle aus Plastikflaschen. Die machen Lampen aus Seegras. Die machen Schüsseln aus Mais." So lautet die aktuelle Ikea-Werbekampagne, die seit einigen Wochen im österreichischen und deutschen Fernsehen ausgestrahlt wird. Am Ende schließlich, mit schwedischem Akzent: "Ideen sind unsere wertvollste Ressource."

Häuser aus Abfall? Das von der Architekturforscherin Mae-ling Lokko entwickelte Agrowaste -Biokomposit wurde auf zahlreichen Ausstellungen und Festivals gezeicht.
Foto: Mae-ling Lokko

Allein, das Experimentieren mit innovativen Materialien beschränkt sich nicht nur auf die Möbel- und Haushaltsindustrie. Architektinnen und Architekten beschäftigen sich schon seit geraumer Zeit mit der Entwicklung von Baustoffen aus nachwachsenden Rohstoffen wie etwa Palmenfasern, Myzelien und Hanf. Eine davon ist die New Yorker Architekturforscherin Mae-ling Lokko, die kommende Woche an der Universität für angewandte Kunst einen Vortrag halten wird.

Seit rund 15 Jahren forscht die gebürtige Saudi-Araberin, die in Ghana und auf den Philippinen aufgewachsen ist, zu den Potenzialen jener Abfallstoffe, die als Nebenprodukt der globalen Nahrungsmittelproduktion anfallen – des sogenannten Agrowaste. Weltweit fabrizieren wir, während wir unsere Schnitzel und Pommes frites heranzüchten, rund 350 Milliarden Tonnen Müll pro Jahr, Tendenz steigend.

Organische Müllberge

"Immer mehr Menschen brauchen immer mehr Nahrung", sagt Lokko. "Daher sehe ich hier einen wachsenden Rohstoffmarkt, der zwar unglaubliches Potenzial hat, dessen Möglichkeiten wir heute aber nur marginal nutzen. Der überwiegende Teil der hier anfallenden Fasern und organischen Müllberge landet auf der Deponie oder wird verbrannt."

Derzeit arbeitet Mae-ling Lokko mit Pilzsporen.
Foto: Shannon Straney

An den Stadträndern der ghanaischen Hauptstadt Accra, erzählt die Forscherin, werden jede Nacht illegal Tonnen von Kokos fasern und Kokosnussschalen abgeladen und angezündet und schleudern auf diese Weise – anstatt im Kreislauf zu bleiben – Unmengen von CO2 in die Atmosphäre.

Dummes Downcycling

"Klar kann man Kokosfasern verbrennen und damit Energie produzieren", sagt die Forscherin. "Aber das ist nichts anderes als dummes Downcycling, mit dem der potenzielle Lebenszyklus dieses Werkstoffs drastisch verkürzt wird." Lokkos Antwort auf das Problem: In Zusammenarbeit mit dem Rensse laer Polytechnic Institute in Troy, Upstate New York, und dem von ihr gegründeten Forschungsunternehmen Willow Technologies in Ghana trennte sie die Spelzen vom Kokosfasermark, häckselte das Ganze zu feinen Fasern und verpresste die Gemengelage unter Einwirkung von Hitze und Druck – ganz nach den Fertigungsprinzipien von Sperrholz – schließlich zu dreidimensionalen Modulen, die als Raumteiler oder Schallschutzelemente eingesetzt werden können.

"Leider ist der Fertigungsprozess sehr aufwendig und energieintensiv und eher für die Produktion und den Verkauf in hochentwickelten Industrieländern geeignet, während der Rohstoff selbst im Global South in meist sehr armen Regionen anfällt", resümiert Lokko. "Die geografischen, wirtschaftlichen und geopolitischen Hürden sind kaum zu überwinden. Daher kann man dieses Projekt wohl als gescheitert betrachten." Im Rahmen der Vienna Biennale for Change 2021 sind die Platten zurzeit im Angewandte Innovation Lab (AIL) in der Otto-Wagner-Postsparkasse zu sehen.

Weitaus aussichtsreicher ist Lokkos aktuelle Vision, mit der sie keineswegs allein dasteht, sondern sich in eine ganze Riege von innovativen Schwammerlutopisten aus dem Kunst- und Designbereich einreiht: Sie entwickelt Geschirr, Möbelstücke und Bausteine aus Pilzsporen in der noch vegetativen Phase, sogenannten Myzelien. Mit diversen Fasern aus der Reis-, Mais-, Kokos- oder Getreideproduktion vermengt und in entsprechende Schalungen gepresst können die Myzelien – die richtige Temperatur und Luftfeuchtigkeit vorausgesetzt – innerhalb von ein paar Tagen zu harten, dichten Formstücken heranwachsen, die anschließend nur noch getrocknet werden müssen.

Kein Sick-Building-Syndrome

In den letzten drei Jahren wurde das von ihr entwickelte Agrowaste-Biokomposit auf zahlreichen Festivals und Ausstellungen ausgestellt und wurde unter anderem mit dem Visible Award 2019 und dem Royal Academy Dorfman Award 2020 ausgezeichnet. Unter dem Titel Agricologies schafften es die von ihr gepflanzten Tassen, Teller, Schüsseln, Schalen und Vasen, die im täglichen Umgang mit der gleichen Sorgfalt wie etwa unlackiertes, naturbelassenes Holz behandelt werden müssen, sogar ins Reich der Lifestylemagazine. Nun soll das bis jetzt gewonnene Know-how im Rahmen von Schulworkshops an Kinder und Jugendliche weitergegeben werden.

Bis zum Einsatz im Baubereich ist es noch ein langer Weg. Doch es gibt vielversprechende Pilotprojekte.
Foto: Mae-ling Lokko

"Wir träumen heute davon, unsere Häuser in Zukunft im 3D-Drucker hochzuziehen", sagt Mae-ling Lokko, die soeben einen Job als Professorin an der Yale University angenommen hat und dort ab 2022 unterrichten wird. "Aber wer weiß, vielleicht werden unsere Gebäude eines Tages von allein wachsen und sich verfestigen." Im Gegensatz zu vielen Produkten, an denen heute geforscht wird, kommt die fungale Myzelienarchitektur ganz ohne Weichmacher oder künstliche und mineralische Bindemittel aus. "Der nächste Schritt", so Lokko, "sind Langzeitstudien, die etwaige Auswirkungen auf die Gesundheit der darin lebenden Menschen unter suchen. Aus heutiger Sicht aber gibt es keinerlei Anzeichen für ein Sick-Building-Syndrome."

Noch ein langer Weg

Bis zum Einsatz im Baubereich sei es noch ein langer Weg. Es brauche noch jahrelange Arbeit, um die biologischen, chemischen und physikalischen Eigenschaften von Myzelien zu erforschen und zu optimieren. Doch realisierte Pilotprojekte wie etwa der 13 Meter hohe Hy Fi Tower aus reinen Myzelziegelsteinen, den der New Yorker Architekt David Benjamin vor drei Jahren im MoMA PS1 in Brooklyn in den Himmel hochgeschlichtet hat, lassen die Spekulation zu, dass diese Utopie in nicht allzu ferner Zukunft eintreten könnte.

Wenn einem auf der Architektur-Biennale in Venedig das Träumen schon vermiest und vermieft wurde, so darf man sich in Zeiten, in denen schwedische Möbelhäuser Bettwäsche aus Holz machen, zumindest auf der Vienna Biennale for Change ein wenig vom Idealismus verleiten lassen. Solche Köpfe braucht die Welt. (Wojciech Czaja, 6.6.2021)