Norbert Hofer erklärte am Mittwoch überraschend seinen Rücktritt.

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Der Abgang des "sanften Blauen" Norbert Hofer von der freiheitlichen Parteispitze wird die Blauen einen Stechschritt weiter nach rechts führen, wenn Hardliner Herbert Kickl das Kommando übernimmt. In welcher Funktion auch immer: Er wird die Fäden ziehen. Ihm wird es egal sein, wer unter ihm Parteichef oder -chefin ist.

Der Wechsel an der Spitze der FPÖ könnte ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz nun schwer in Bedrängnis bringen, denn mit der Machtübernahme von Kickl wird sich die FPÖ auch wieder in ihrem politischen Kernstück festbeißen: der Zuwanderung in all ihren Facetten. Und das kann für Kurz höchste Gefahr bedeuten, denn das Duell um die Migration, um den radikalpolitischen Islam kann Kurz gegen eine Kickl-FPÖ nicht gewinnen. Kickl kann im Gegensatz zu Kurz immer ein Schäufchen nachlegen. Für Kickl gibt's keine Tabus. Ein Blick zur befreundeten deutschen AfD lässt erahnen, was auch für eine Kickl-FPÖ alles möglich ist.

Kurz kann nicht mithalten

Da kann Sebastian Kurz auf Dauer nicht mithalten, er ist ohnehin schon sehr weit, zu weit gegangen. Seine migrationsfeindlich-populistische Politik, sein EU-unsolidarisches Verhalten, sein unmenschliches Beharren darauf, keine Kinder aus den griechischen Flüchtlingslagern zu holen, das alles kann er nicht noch weiter nach rechts ausreizen. Irgendwann ist auch in der alten bürgerlichen ÖVP Schluss.

Dann aber wird Kurz viele der von der FPÖ angelockten blauen Stimmen wieder verlieren. Letzte Umfragen deuten bereits darauf hin, dass es einen Rückfluss an blauen Wählerstimmen zur FPÖ gibt. Zudem hat er – für das rechte Wählerreservoir wichtig – den Nimbus des jungen Unbesiegbaren verloren. Langsam wandelt er sich zu einer Lame Duck.

Kurz ist nahe daran, durch irrationale Selbstüberhöhung, Machtgeilheit und Machtübermut fast alles wieder zu verspielen. Die letzte Umfrage von Market, der zufolge sich SPÖ und ÖVP bis auf einen Prozentpunkt wieder angenähert haben, lässt erahnen, was sich momentan in der ÖVP abspielt. Einmal in der Negativspirale drinnen, gibt es kaum ein Entrinnen.

Eine beispielhafte PR-Kampagne hat Kurz in lichte Höhen gejazzt, die millionenschwere Markteinführung des türkisen Projekts hatte aber ganz offensichtlich keinen Krisenmodus vorgesehen. Die Krisenkommunikation der Kurz-AG ist bis jetzt grottenschlecht. Die Auszucker des U-Ausschuss-Fraktionsführers Andreas Hanger gegen die Korruptionsstaatsanwaltschaft können nur als hilflose Hoffnung, das Ruder wieder herumzureißen, gewertet werden.

Und auch wenn der Sommer Erleichterungen in Sachen Pandemie bringen wird, sind für die ÖVP kaum noch Punkte zu sammeln. Da helfen all die süßen Prognosen, dass die Welt wieder wird wie damals, nicht weiter. Kurz hat durch seine nicht einhaltbaren Versprechungen auch hier viel Kredit verspielt. Und bis Herbst werden zudem noch jede Menge an dunklen Flecken des türkisen Projekts ans Tageslicht kommen. Das Momentum ist nicht mehr auf der Seite des Sebastian Kurz.

Aus ähnlichem Holz geschnitzt

Auch wenn es jetzt vielerorts heißt, mit einer Kickl-FPÖ komme Kurz eine Regierungsoption abhandeln, so muss diese These nicht auf Dauer valide sein. Dass Kurz nicht mit Kickl kann und ihn angeblich persönlich über alles hasst, mag gut sein, machtpolitisch spielt das keine Rolle. Sie sind beide – so unterschiedlich sie in ihrer Persönlichkeit auch sein mögen – aus ähnlichem Holz geschnitzt. Es zählt für beide nur der politische Sieg. Zwei tiefgehende Aussprachen reichen – und die Welt sieht wieder anders aus.

Kurz und Kickl würden am Ende des Tages einen Modus Vivendi finden, um zu koalieren. Dann, wenn es beiden nützt. Dazu muss Kickl gar nicht an der blauen Parteispitze stehen. (Walter Müller, 2.6.2021)